Umweltmediziner Bantz kritisiert Konzernaussagen im „Exxon Journal“

Rotenburg - Von Michael Krüger. Paul-Matthias Bantz ist empört. Er hält das in der vergangenen Woche erschienene „Erdgas Journal“ des Energiekonzerns „ExxonMobil“ in der Hand und schüttelt den Kopf.
Das, was der Umweltmediziner und ehemalige Betriebsarzt des Rotenburger Diakonieklinikums lesen muss, sei „eine Mischung aus Verharmlosung, Provokation und Falschinformation“ – wissenschaftlich nicht haltbar und gegen jede Annäherung im Diskurs gerichtet. Bantz war federführend bei der Aktion der 212 Ärzte aus der Region, die sich Anfang 2016 mit einem offenen Brief an Niedersachsens Sozial- und Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) gewandt hatten, um mehr Geld für die Aufklärung bezüglich der erhöhten Krebsraten in der Region zu fordern.
Exxon-Juristin sieht keine „faire Debatte“
Bis heute sind Ursachen für die Krebszahlen in Bothel und Rotenburg unklar – was Exxons „Media & Communications Manager“ Ritva Westendorf-Lahouse in ihrem „Erdgas Journal“-Beitrag dazu veranlasst, von „vorschnellen Anschuldigungen“ in Richtung des Unternehmens zu schreiben. Für die Juristin ist die Suche nach den Krebs-Ursachen „alles andere als eine ergebnisoffene oder gar faire Debatte“.

Anschließend verweist die Pressesprecherin auf Untersuchungen des Landesgesundheitsamts, die Exxon-eigene Studien unterstützten, dass es bislang keine nachweisbaren Zusammenhänge der erhöhten Krebszahlen mit der Erdgasförderung vor Ort gebe. Bantz spricht in seiner Kritik im Namen seiner Kollegen und betont: „Wir Ärzte haben uns bei unserer Kritik des Konzerns auf internationale wissenschaftliche Arbeiten beziehen können, die übereinstimmend einen Zusammenhang zwischen Fracking und gesundheitlichen Schäden der benachbarten Bevölkerung nachweisen. Dieses Wissen müsste auch Exxon bekannt sein.“
Die leitenden Manager seien bei dem US-Unternehmen ja nicht dumm – deswegen sei erwähnt, dass der neue US-Außenminister und vorherige Exxon-Chef Rex Tillerson gute Gründe gehabt haben wird, Fracking in der Nähe seines Wohnortes zu unterbinden. Bantz: „Die Informationen, mit denen Exxon die Öffentlichkeit versorgt, sind eine Mischung aus Verharmlosung, Propaganda und Falschinformationen.“ Dass Exxon vor Ort als Sponsor auftrete und Trikots an Sportvereine oder Sicherheitsrucksäcken an Fahrschulen verteile, helfe nicht, die Probleme zu mildern.
„Einzigartige Falschinformationen“
Konkret äußert sich Bantz zu den Stichworten der Exxon-Sprecherin Westendorf-Lahouse im „Erdgas Journal“:
- Exxon: „Nicht jeder Stoff, der giftig, umweltschädlich oder gesundheitsschädlich ist, ist auch krebserregend.“
Bantz: „Das ist richtig – aber die Bevölkerung darf diesen ,giftigen, gesundheitsschädlichen oder umweltschädlichen’ Stoffen nicht ausgesetzt werden. Es gibt auch andere Krankheiten oder Todesursachen als Krebs, die ausgelöst werden.“ • „Es gibt eine Vielzahl verschiedenster Krebsarten mit jeweils ganz unterschiedlichen Ursachen bzw. Risikofaktoren.“ Bantz: „Richtig – aber ein Teil der von Exxon freigesetzten Stoffe löst eben genau die bösartigen Tumore aus, die hier beobachtet werden.“ - Exxon: „Quecksilber scheidet als Krebsursache aus. Es ist nicht krebserregend.“
Bantz: „Auch das ist richtig, doch Quecksilber ist eine der giftigsten Chemikalien, die wir kennen und darf nicht freigesetzt werden – wie es immer wieder durch die Frackingaktivitäten geschieht. Es gehört nach den Definitionen von Exxon ,zu den Stoffen, die nicht krebserregend, aber giftig, umweltschädlich und gesundheitsschädlich sind’. In keiner Weise handelt es sich hier um eine banale chemische Substanz.“ - Exxon: „Natürliche radioaktive Stoffe fallen bei der Erdgasförderung nur in so geringen Dosen an, dass sie nicht geeignet sind, die Gesundheit von Anwohnern zu beeinträchtigen und/oder für die Krebsfälle verantwortlich zu sein“.
Bantz: „Diese Feststellung widerspricht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wie kann ein Konzern sich herausnehmen, der Bevölkerung eine solche Formulierung und einzigartige Falschinformation zu bieten? Zahllose wissenschaftliche Arbeiten weisen die gesundheitlichen Schäden nach, die auch durch niedrige radioaktive Dosen verursacht werden.“ - Exxon:„Benzol ist zwar krebserregend, führt aber typischerweise nicht zu dem Non-Hodkin-Lymphom und dem Multiplen Myelom, die in der Region auffällig waren.“
Bantz: „Es ist nicht zu fassen, wie Exxon entgegen allen vorhandenen wissenschaftlichen Informationen sich traut, auch zu dieser Substanz, die beim Fracking frei wird, die Bevölkerung bewusst falsch zu informieren. Gerade diese beiden Tumorformen sind besonders typisch für Benzolbelastung.“ - Exxon: „Es gibt in Deutschland Regionen mit ähnlichen statistischen Auffälligkeiten, in denen keinerlei Erdgasförderung stattfindet.“
Bantz: „Das hat nichts mit Logik zu tun und entlastet Exxon in keiner Weise.“ - Exxon: „Die meisten der untersuchten Gemeinden im Landkreis Rotenburg waren unauffällig, auch, wenn dort Erdgasförderung stattfindet.“
Bantz: „Das kann doch kein Argument sein, weiterhin hochtoxische Substanzen in der Umwelt freizusetzen.“ - Exxon: „Wenn die Erdgasförderung ursächlich wäre, müssten gerade bei ehemaligen oder heutigen Mitarbeitern Auffälligkeiten zu verzeichnen seien. Das ist nicht der Fall.“
Bantz: „Bereits in den 1970-ern wurde eine Arbeit veröffentlicht, die bei Beschäftigten der Hamburger Gaswerke, die mit eben diesen Substanzen Kontakt bekamen, eine deutlich häufigere Erkrankung an Tumoren statuiert. Eine aktuelle US-amerikanische Studie bestätigt diese Beobachtung bei Beschäftigten der Erdölindustrie. Mangelt es an der Dokumentationsfähigkeit von Exxon? Denn es ist nicht anzunehmen, dass Exxon-Mitarbeiter biologisch anders reagieren sollten. Mir ist über einen meiner in der Onkologie der Uniklinik Eppendorf behandelten Patienten aus Bothel berichtet worden, er habe dort zufällig auch einen ehemaligen Mitarbeiter von Exxon-getroffen, der ebenfalls an Leukämie erkrankt war.“
Exxon soll US-Regierung um Mithilfe in Deutschland gebeten haben
Der Umweltmediziner sieht hinter dem „Erdgas Journal“ und der offensiven Öffentlichkeitsarbeit der Erdöl- und Erdgasbranche auch politische Strategien. Bantz: „Uns liegen Kopien des E-Mail-Verkehrs der Berliner US-Botschaft mit Washington vor, in denen auf Wunsch von Exxon gefordert wird, Washington möge im Sinne der Interessen des Konzerns auf unsere Regierung einwirken.“
Politiker und Entscheidungsträger in Kommunen und Verwaltung sollten sich deswegen „des vorhandenen Wissens bedienen und ihre Entscheidungen zum Thema Fracking stärker im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung treffen.“ Die schon im Grundgesetz formulierte Vorsorgepflicht des Staates wird bisher nur unzureichend berücksichtigt, kritisiert Bantz.
Überblick: Das „Erdgas Journal“
Das „Erdgas Journal Rotenburg Heidekreis“ des Unternehmens „ExxonMobil“ erscheint seit 2015 drei bis vier Mal pro Jahr in einer Auflage von 9400 Exemplaren und lag in der vergangenen Woche auch der Rotenburger Kreiszeitung bei.
„Immer wieder wird der Wunsch nach mehr Information und Transparenz an uns herangetragen. Das Erdgas Journal ist ein Baustein von vielen, mit dem wir die Anwohner vor Ort über unsere Aktivitäten informieren und Hintergründe erläutern“, heißt es aus der Exxon-Pressestelle. Dass man selbst etwas publiziere, resultiere aus dem Eindruck, „dass wir im redaktionellen Teil der Lokalpresse weniger Gehör finden als andere“.
Demokratie lebe vom öffentlichen Diskurs, und dieser setze voraus, dass alle Beteiligten zu Wort kommen. Mit dem „Erdgas Journal“ ermögliche es Exxon den Interessierten vor Ort, auch dessen Position zu verschiedenen Themen zu erfahren.