„Gesunder Menschenverstand gefragt“: Ulrike Niewels über die Suche nach neuen Schöffen

Rotenburg – In diesem Jahr suchen die Amts- und Landgerichte wieder neue Schöffen. Wie wichtig diese Aufgabe im Ehrenamt ist, sagt uns die Direktorin am Amtsgericht Rotenburg, Ulrike Niewels. Die neue Amtsperiode beginnt am 1. Januar 2024 – und schon jetzt können sich Interessenten bewerben.
Frau Niewels, die Justiz sucht neue Schöffen und Jugendschöffen. Warum eigentlich?
Die Schöffen werden ja alle fünf Jahre neugewählt, und die nächste Amtsperiode beginnt am 1. Januar 2024. Daher sind im Laufe dieses Jahres die Vorbereitungen zu treffen, damit die neuen Schöffen im nächsten Jahr starten können.
Was genau machen die Schöffen eigentlich?
Die Hauptaufgabe der Schöffen ist es, an den Hauptverhandlungen teilzunehmen – und zwar ohne Unterbrechung, was mitunter auch sehr lange sein kann. Dazu kommt die Aufgabe, am Schluss der Hauptverhandlung mit den Berufsrichtern und den anderen Schöffen zusammen darüber zu beraten, welche Entscheidung getroffen werden soll. Dabei haben die Schöffen das gleiche Stimmrecht wie die Berufsrichter.
Wie viele Schöffen sind bei einer Verhandlung dabei?
Neben den Berufsrichtern sind immer zwei Schöffen beteiligt.
Wer kann Schöffe werden, und welche Voraussetzungen sind an dieses Amt geknüpft?
Schöffe kann werden, wer die deutsche Staatsangehörigkeit hat, wer nicht vorbestraft ist und wer hier im Gebiet des Amtsgerichts Rotenburg wohnt. Außerdem darf man nicht jünger als 26 und nicht älter als 69 Jahre sein.
Es handelt sich ja um ein Ehrenamt. Ist eine Aufwandsentschädigung vorgesehen?
Es gibt eine Erstattung des Verdienstausfalls und eine Erstattung der Fahrtkosten. Mehr gibt es nicht.
Es gibt ja unterschiedliche Verhandlungen am Amtsgericht. In welchen Fällen sind Schöffen dabei, in welchen nicht?
Das hängt grundsätzlich von der Straferwartung ab, ob die Staatsanwaltschaft Anklage beim Strafrichter, beim Schöffengericht oder bei der Strafkammer erhebt. Bei den weniger schweren Fällen entscheidet der Berufsrichter alleine. Bei den schweren Fällen werden die Schöffen hinzugezogen, und da wird dann vor dem Schöffengericht verhandelt. Konkret ist es so, dass die Straferwartung über zwei Jahren Freiheitsstrafe liegen muss, um Anklage beim Schöffengericht zu erheben.
Wie viele Schöffen werden gebraucht, und wer entscheidet denn darüber, wer Schöffe wird – und wer nicht?
Die Zahl der Schöffen, die gebraucht werden, richtet sich nach der Zahl der Einwohner. Im Bezirk des Amtsgerichts Rotenburg mit Rotenburg, Sottrum, Bothel, Fintel, Scheeßel und Visselhövede stellt jede Gemeinde eine Vorschlagsliste auf, deren Länge sich nach der Einwohnerzahl richtet. Für das Gericht hier in Rotenburg werden sechs Schöffen sowie vier Ersatzschöffen benötigt. Darüber hinaus brauchen wir sechs Jugendschöffen – genauso viele Jugendschöffen und Jugendersatzschöffen. Die Kandidatenlisten müssen jeweils mindestens doppelt so lang sein. Als Jugendschöffen kommen Frauen und Männer infrage, die Erfahrungen aus dem Bereich der Kinder- und Jugenderziehung haben. Das sind Erzieherinnen und Erzieher, aber auch Sozialpädagogen. Bei den Schöffen sind Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst besonders stark vertreten. Über die Auswahl der Schöffen entscheidet das Los.
Braucht es noch weitere Schöffen?
Darüber hinaus müssen hier auch Schöffen gewählt werden, die später am Landgericht in der Strafkammer und der Jugendkammer tätig sein werden. Hierfür sind aus unserem Bereich zehn Schöffen und zwei Jugendschöffen zu wählen.
Das heißt also, dass Schöffen nur am Strafgericht zum Einsatz kommen?
Richtig. Bei Zivilprozessen gibt es ehrenamtliche Richter – zum Beispiel am hiesigen Landwirtschaftsgericht. Das sind dann Landwirte, die ihren Sachverstand ebenfalls einbringen.
Zurück zu den Bewerberlisten: Wie landet man darauf?
Es ist Aufgabe der Gemeinden, die Vorschlagsliste für die Schöffen aufzustellen, und es ist Aufgabe des Landkreises, die Liste für die Jugendschöffen zu führen. Es ist daher sinnvoll, wenn man Schöffe werden will, sich an die Gemeinden oder an den Landkreis zu wenden.
Gibt es denn eigentlich immer wieder ausreichend Interessenten für die Aufgabe?
Die Listen sind bislang immer voll geworden. Wenn das nicht der Fall wäre, könnte man auch Personen zwangsverpflichten. Das ist ähnlich wie bei den Wahlhelfern, dieses Amt kann man grundsätzlich nicht ausschlagen. Es sei denn, man ist selbst in der Justiz beschäftigt.
Ist es dazu schon mal gekommen?
Ein solcher Fall ist mir bisher nicht bekannt.
Sind es eigentlich mehr Frauen oder mehr Männer, eher jüngere oder doch eher ältere Menschen, die Schöffen werden möchten?
Die Listen sind im Wesentlichen ausgewogen, was die Geschlechterparität betrifft. Das hängt auch damit zusammen, dass im Gesetz vorgesehen ist, dass eine gleiche Anzahl von Frauen und Männern gewählt werden soll. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass kaum Personen unter 40 Jahren auf den Listen stehen. Eine große Anzahl der Interessenten sind bereits im Ruhestand.
Welche Pflichten haben die Schöffen?
Die Schöffen sollen natürlich in erster Linie aufmerksam an der Hauptverhandlung teilnehmen, um hinterher auch entscheiden zu können. Das heißt, schlafende oder unaufmerksame Schöffen sind ein Hindernis und können dazu führen, dass eine Hauptverhandlung noch einmal von vorne begonnen werden muss. Auch Schöffen haben am Schluss – wie auch die Berufsrichter – nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden und der Sache unparteiisch gegenüberzustehen.
Wenn es am Ende zur Urteilsfindung kommt, sind die Schöffen nur beratend dabei, oder stimmt die Gruppe über das Urteil ab?
Die Schöffen haben dasselbe Stimmrecht, wie die Berufsrichter. Wenn es zu Uneinigkeit kommt, wird abgestimmt.
Wie läuft denn erfahrungsgemäß die Zusammenarbeit zwischen den Profis und den Amateuren?
Das lässt sich so allgemein nicht sagen. Ich denke, es hängt sehr stark davon ab, wie die Berufsjuristen den Schöffen die juristischen Zusammenhänge erklären und verständlich machen. Auf Seiten der Schöffen ist es wichtig, auch die Zwänge des Gerichts zu verstehen. Sehr hinderlich kann es zum Beispiel sein, wenn Hauptverhandlungen sich über viele Tage erstrecken und nur begrenzt unterbrochen werden kann. Es ist also ungünstig, ein Schöffenamt anzutreten, wenn man gleichzeitig eine Weltreise plant.
Wie bereitet das Amtsgericht, die Richterin oder der Richter die Schöffen auf ihre Aufgaben vor?
Die Einführung in das Amt geschieht durch das Landgericht. Grundsätzlich ist es so, dass die Schöffen ja vor allem ihren gesunden Menschenverstand einbringen sollen. Das soll ja gerade kein fortgebildeter Jurist sein, der daran teilnimmt, sondern die Schöffen sollen mit ihrem ganz normalen laienhaften Menschenverstand in die Sitzung kommen. Deshalb ist es für Schöffen natürlich hilfreich, etwas über das Amt zu erfahren, aber nicht Voraussetzung, um loszulegen.
Warum brauchen wir an den Gerichten Schöffen, warum brauchen wir diesen gesunden Menschenverstand, was ist dabei der grundsätzliche Ansatz?
Ich denke, der grundsätzliche Ansatz ist, die Strafurteile für die Bevölkerung verständlicher zu machen und die Entscheidung in der Bevölkerung besser zu verankern – weil eben auch Laien dabei waren und das Urteil mitgetragen haben.
Meistens finden diese Verhandlungen vormittags statt. Viele Schöffen arbeiten. Wie problematisch ist das? Brauche ich die grundsätzliche Genehmigung meines Arbeitgebers, oder muss der sich damit abfinden?
Es handelt sich um ein Amt, das man nicht ablehnen kann. Das heißt, auch der Arbeitgeber kann sich nicht querstellen, sondern muss akzeptieren, wenn der Arbeitnehmer sich für eine Bewerbung entscheidet. Natürlich gibt es faktische Zwänge, die Menschen davon abhalten, Schöffen zu werden, weil sie Nachteile befürchten. Aber jeder kann als Schöffe verpflichtet werden, und deshalb ist es von allen Seiten zu akzeptieren, dass der Schöffe für diese Zeit auch ausfällt. Er bekommt ja auch einen Verdienstausfall erstattet.
Was ist denn das Schöne an dieser Aufgabe?
Ich würde sagen, es gibt vieles, was interessant ist daran. Ob es wirklich schön ist, ist eine andere Frage, denn man setzt sich ja mitunter mit sehr traurigen und traumatischen Sachverhalten auseinander. Es ist insofern eine interessante Aufgabe, als man als Laie in die Welt der Strafjustiz eintaucht und ein Verständnis für den Verlauf und den Ausgang von Strafverfolgung entwickelt. Man lernt sozusagen den Rechtsstaat von innen kennen.
Sind die Aufgaben, Rechte und Pflichten bei Schöffen und Jugendschöffen identisch?
Ja, die sind identisch. Lediglich in der Bewertung ist bei Jugendlichen mehr der erzieherische Gedanke zu berücksichtigen. Das muss einfließen in die Urteilsfindung. Deshalb sollten Jugendschöffen auch entsprechende Erfahrung haben.
Tauchen eigentlich auf den Bewerberlisten viele Wiederholungstäter auf, also Menschen, die immer wieder als Schöffen dabei sein möchten?
Es gibt sehr viele Menschen, die dieses Amt erfreulicherweise immer wieder übernehmen. Und wir Berufsrichter begrüßen das auch sehr, weil dann auch wieder eine eigene Erfahrung auf Seiten der Schöffen hinzukommt.
Infos auch im Internet
Das Bundesministerium der Justiz hat im Internet eine Seite mit umfangreichen Informationen über das Schöffenamt platziert. Sie ist zu finden unter www.schoeffenwahl2023.de. Dort geht es nicht nur um die erforderlichen Voraussetzungen, die ein Schöffe zu erfüllen hat, sondern auch um die Aufgabe selbst sowie um organisatorische Fragen. Dazu gehören auch Hinweise, wie das mit der Bewerbung funktioniert.