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Quelle und Andreßen präsentieren neue Erkenntnisse über Lent

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Die Referenten Michael Quelle (l.) und Marc Andreßen haben ihre Recherchearbeiten auch im Internet veröffentlicht. - Foto: Ujen
Die Referenten Michael Quelle (l.) und Marc Andreßen haben ihre Recherchearbeiten auch im Internet veröffentlicht. © Ujen

Rotenburg - Von Joris Ujen. „Helmut Lent – Mythen und Fakten“ hatten die Bürgerinitiative (BI) Kasernenumbenennung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung den Informations- und Diskussionsabend am Donnerstag im Rotenburger Rathaus tituliert.

Die Referenten Michael Quelle von der Stiftung sowie Marc Andreßen von der BI wollten die rund 20 Teilnehmer über ihren neuen Wissensstand über den früheren Nachtjäger-Piloten der Luftwaffe informieren. Vor allem die viel diskutierte Frage, ob Lent – umstrittener Namensgeber der Rotenburger Kaserne – ein Nazi war, sollte durch die Recherche der beiden Männer näher beleuchtet werden. Eine Spurensuche, die einige Fakten zutage brachte.

Michael Quelle, gelernter Heilerziehungspfleger, stellte gleich zu Beginn des Abends klar: „Ich bin kein Historiker.“ Das habe er auch nie behauptet. Er sei aber jemand, der unter anderem zu den vergessenen und verschwiegenen Opfern des Nationalsozialismus in Rotenburg recherchiert. Im Herbst vergangenen Jahres wurde der 64-jährige Stader von Jakob Knab von der Gruppe „Falsche Glorie“ gebeten, Dokumente über Lent zu sammeln. „Oberstleutnant Lent steht fest auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung und ist in der Lage, nationalsozialistisches Gedankengut weiterzugeben“, lautete eine Beurteilung aus dem Jahr 1941 von Hauptmann Curt Ehle über den Luftwaffenpilot. Dieser Auszug wird laut Quelle in allen Gutachten über Lent genannt. Eine Bewertung kategorisierte diesen Satz als Allerweltsformulierung, Quelle sieht dies aber anders: Das Adjektiv „fest“ sei eine Verstärkung der Beurteilung, genauso wie die Weitergabe von Gedankengut.

70 Seiten langer Lebenslauf

Für den Referenten war das allerdings nicht ausreichend, und so wandte er sich an das Militär- und Bundesarchiv in Freiburg. Dort war Quelle auf sechs weitere Bestände gestoßen: Dokumente über das Staatsbegräbnis von Lent, die Trauerreden und viele Teile aus dem Lent-Erinnerungsbuch, das seine Frau Lena Lent verfasst hatte. Von dem 200 Seiten umfassenden Werk gibt es laut dem Erkenntnisstand von Quelle nur vier Exemplare, die Lents Frau für sich, ihre beiden Töchter und das Stadtarchiv Stade geschrieben hatte.

Darin fand der Referent einen 70 Seiten langen Lebenslauf über Lent, die Dokumentation aller Reden beim Staatsbegräbnis, Kriegsberichterstattungen über ihren Mann und zwei Schreiben an Kommandeure. „Die waren bis dato unbekannt“, betont Quelle. Ein Auszug: „Die wirksamste Belehrung ist selbstverständlich eine Fahrt durch die zerstörten Städte. Die Besatzung, die dann noch nicht weiß, was sie zu tun hat, ist feige und muss ausgerottet werden“, schrieb Lent „An die Herren Kommandeure“ am 18. August 1944.

Quelle würde nach all der Aufarbeitung jedoch nicht behaupten, dass Helmut Lent ein Nazi war. Diese Kernaussage war auch im Gutachten von Kasernenkommandant Edmund Vogel nachzulesen, da Lent nicht Parteimitglied in der NSDAP war. Auch Generalstaatsanwalt a. D. Jürgen Dehn bekräftigte diese Auffassung bei seiner Rede vor den Vertrauensleuten der Soldaten der Lent-Kaserne.

„Lent hat Gedankengut verbreitet“

Was Quelle nun den beiden Männern vorwirft: „Sie haben nicht in das Wehrgesetz von 1935 geschaut.“ Das besagte, dass Soldaten sich nicht politisch betätigen durften, somit eine Parteimitgliedschaft gar nicht erst möglich war. Diese Regelung galt bis kurz vor dem tödlichen Flugunfall von Lent und wurde erst am 24. September 1944 geändert. Aber hatte Lent nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet? „Ja“, meint Quelle. Obwohl Lent aus einer großen Pastorenfamilie stammte, fand Quelle keinerlei Belege, „dass er in seiner Kindheit Mitglied in einer kirchlichen Jugendgruppe war“. Quelle erfuhr aus dem Erinnerungsbuch, dass Lent die Jugendgruppe „Schwarze Bande“ gegründet hatte, inspiriert durch Ernst Jünger, Schriftsteller des Buches „In Stahlgewittern“, das als eine Verherrlichung des Soldatentums des Ersten Weltkrieges gilt. „Helmut Lent ist dann Mitglied des Deutschen Jungvolks geworden, eine Jugendorganisation der Hitler-Jugend.“ Normalerweise ging man mit 14 Jahren dann in die HJ. „Es sei denn, man war Führer beim Jungvolk. Und genau das war Helmut Lent“, erklärt Quelle. Bis zu Lents Wehrmachtsbeitritt im Alter von 17 Jahren fungierte er dort ab 1933 als Jungzugführer von 30 bis 45 Kindern und zwei Jahre später als Fähnleinführer von 120 bis 180 Kindern. Ziel des Deutschen Jungvolks war es, die Jugend im Sinne des Nationalsozialismus zu indoktrinieren, in Loyalität zu Adolf Hitler zu erziehen und vollmilitärisch auszubilden.

Bei dieser und anderen Erkenntnissen über die mögliche Gesinnung von Lent geben Quelle und Andreßen bewusst kein ultimatives Fazit darüber ab, sondern lassen die Fakten für sich sprechen. „Ob die Kaserne nun unbenannt wird oder nicht, liegt auch nicht in unserer Hand“, so Andreßen. Die beiden bezweckten mit der Veranstaltung nicht, den Rotenburger Rat „auf eine neue Reise zu schicken“, sondern wollen schlicht an der Geschichtsaufarbeitung mitwirken.

Eine Übersicht über ihre Recherche haben Quelle und Andreßen im Internet bereitgestellt.

www.helmut-lent.de

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