Eine diffuse Sommernacht mit Schlägen in Sottrum

Gefährliche Körperverletzung lautet die Anklage vor dem Amtsgericht Rotenburg, aber so richtig passen die verschiedenen Erinnerungen und Erzählungen im Prozess nicht zueinander.
Rotenburg/Sottrum – Irgendwann wird es Michael Zinke zu bunt. Zu diffus. Konkret: zu unglaubwürdig. „Ich habe keine Lust mehr, mir Ihre Lügengeschichten anzuhören“, ranzt der Rechtsanwalt als Verteidiger einer Angeklagten den Zeugen im Verhandlungssaal des Rotenburger Amtsgerichts an diesem Dienstagvormittag an. Als Zinke das von sich lässt, pausiert Michael Helwig mit dem Kopfschütteln bereits. Als Anwalt der Nebenklage ist er auf schlüssige Geschichten der Geschädigten, die als Zeugen geladen sind, angewiesen. Doch stattdessen gibt es deutlich mehr Erinnerungslücken, Ungereimtheiten und Widersprüche als klare Aussagen. Das Urteil lässt auf sich warten.
War ein Schlagring dabei?
Was ist passiert in dieser Sommernacht am 19. Juli 2020 in Sottrum? So ganz, das ist klar, wird sich das nicht mehr klären lassen. Die groben Ereignisse sind indes umrissen. Ein Geschwistertrio aus dem Wiesteort ist angeklagt. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft lauten bis hin zur gefährlichen Körperverletzung. Es hat eine Auseinandersetzung mit einer anderen Gruppe junger Menschen gegeben, alle Mitte 20. Warum genau? Dafür gibt es mindestens so viele verschiedene Aussagen wie Verfahrensbeteiligte, wobei mitunter nicht klar wird, wer nun Opfer oder Täter ist. Auf der Anklagebank jedenfalls sitzt als mutmaßlicher Haupttäter der jüngste Bruder, 27 Jahre alt, er soll mit einem Schlagring die Opfer verletzt haben. Unterstützung, heißt es im kurzen Text von Amtsanwalt Florian Jaacks, habe er von seinem Bruder, 29 Jahre alt, erhalten. Der habe auch zugeschlagen, aber ohne Schlagring. Die 26-jährige Schwester habe Beihilfe geleistet, Schmiere gestanden bei der nächtlichen Auseinandersetzung auf einem Hof in der Nähe des Sottrumer Bahnhofs und mit einem gefährlichen Hund gedroht.
Es ist eher was wie Fremdschämen, was er da macht.
Das Geschwistertrio schweigt zu den Vorwürfen. Stattdessen sagen die aus, die nicht wissen wollen, wieso es eigentlich zu dem Streit gekommen sei. Es habe keinen Ärger im Vorfeld gegeben, keine von den Verteidigern ins Feld geführten Beleidigungen, nichts, was den angeklagten „Denkzettel“ begründe. Es sei einfach zugeschlagen worden – von einem der Brüder, ist zu hören, von welchem der sich sehr ähnlich sehenden, bleibt zwischenzeitlich unklar. Zeugen sagen anders aus als bei der Polizei, verwechseln die Brüder. Ärztliche Dokumentation der Verletzungen von denen, die es am schlimmsten getroffen haben soll, gibt es nicht. Manche Aussage scheint abgesprochen, ein Beteiligter, der in Handschellen im Zeugenstand sitzt und derzeit in der JVA Bremervörde wohnt, erinnert sich kurz und bündig: „Es gab Streitigkeiten, dann habe ich die Polizei gerufen.“
Verfahren gegen Schwester eingestellt
Es sind Fäuste geflogen. Ob der bei einer Hausdurchsuchung gefundene Schlagring des jüngsten Angeklagten eine Rolle gespielt hat und so aus einer möglichen Körperverletzung eine juristisch gefährliche (Spätfolgen beklagt kein Geschädigter) wird, ist noch offen. Es wird aber nicht darüber verhandelt, wie provozierend die Geschädigten im Vorfeld aufgetreten sind. Die Lebensgefährtin des Hauptangeklagten berichtet, wie sie zuletzt am Vorabend massiv bepöbelt, beleidigt und bedroht worden sei, als sie mit ihrem Hund an der Gruppe junger Männer vorbeigegangen sei. Das habe es mehrfach gegeben, die Truppe um den Youtuber mit durchaus großer Fanschar, der jetzt als Nebenkläger auftritt, sei ja bewusst so aufgetreten und habe das dann auch für ihre Videos genutzt. Richterin Meinke lehnt es in diesem Strafprozess auch ab, einfließen zu lassen, wie einer der jetzigen Zeugen womöglich im Nachgang bei einem der Angeklagten randaliert habe: Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Und so bleiben viele unterschiedliche Sichtweisen auch in der juristischen Bewertung, die zwar zu Spitzfindigkeiten und mitunter markigen Worten in den ersten fünf Verhandlungsstunden am Dienstag führen, aber noch zu keinem Abschluss. Einzig die Schwester braucht am 6. März nicht wieder im Amtsgericht erscheinen – Verfahren eingestellt.
Haupttäter droht Strafe
Die beiden Brüder müssen aber wiederkommen, wenn dann die zwei Polizistinnen der Tatnacht aussagen sollen. Dass der Ältere gar nicht dabei war bei der Schlägerei, scheint nach den Aussagen klar. Ein Freund der Angeklagten hat das bestätigt: Er sei ja der zweite Mann gewesen. Selbst zugeschlagen habe er natürlich nicht. Der bislang nicht vorbestrafte, mutmaßliche Haupttäter wird aber wohl nicht so einfach davonkommen. Jaacks: „Ich bin auf Verurteilungskurs.“