Rotenburger Mode-Designer Lennart Krause wechselt die Perspektive und geht neue Wege

Lennart Krause weiß, was er will, als er vor fast genau zwei Jahren bei uns in der Redaktion zu Gast ist. Der 20-Jährige studiert noch Mode-Design in Hamburg, träumt von einem eigenen Label und landet auf dem ersten Platz in einem T-Shirt-Wettbewerb von Jane Goodall. Er fühlt sich auf dem richtigen Weg, will ganz nach oben. Jetzt, zwei Jahre später, schaut er noch einmal bei uns rein.
Rotenburg - Lennart Krause weiß immer noch, was er will – aber die Pläne haben sich mittlerweile komplett geändert. Statt am Traum vom eigenen Label festzuhalten, will er heute das Konzept der Elite auf die Schippe nehmen. Der heute 22-Jährige: „Ich habe gelernt, wie unfassbar dekadent diese Mode-Industrie wirklich ist.“
Gerade erst hat der Rotenburger, der nach wie vor bei seinen Eltern in der Kreisstadt lebt, sein Studium an der Hamburger Akademie für Mode und Design mit der Note 1,1 abgeschlossen. Zuletzt war er für ein Praktikum im Haute-Couture-Haus Viktor & Rolf in Amsterdam. Spätestens im Oktober will er in Berlin sein, um dort seinen Master an der Modehochschule Weißensee zu machen. Zuvor allerdings zeigt er in Wiesbaden seine Abschluss-Präsentation, mit der er in Hamburg eine Eins eingefahren hat. Eine Kollektion, mit der er sich lustig mache „über das Konzept des Neo-Liberalismus“, wie er sagt. Diese Kollektion sei konzeptionell angelegt. „Eine künstlerische Inszenierung“, fügt er hinzu. Tragbar seien die Sachen nicht.
Tragbare Kleidung gebe es eh genug. Mode aus der Belle Etage der Mode-Industrie „brauchen wir nicht“. Nicht gesellschaftskritische Mode habe seiner Ansicht nach keine Relevanz mehr. Somit ist für den jungen Mann klar: „In diesem Beruf werde ich nicht arbeiten.“
Aber er will dran bleiben an diesem Thema – auch im Master-Studiengang. Nur habe sich eben seine Perspektive geändert. Wo einst die Begeisterung für auffallende, extravagante und auch schrille Mode war, ist heute der kritische Blick auf die, die sie machen. Der Grund: „Meine politischen und moralischen Werte sind damit nicht vereinbar.“ Und ja, er wollte in dieser Branche einmal ganz nach oben, doch heute sage er „Nein“ zum klassischen Mode-Design. Er sei politischer geworden, inzwischen Mitglied in der Partei Die Linke, und auch in der sozialistischen Jugend in Hamburg mische er mit.
Lennart Krause hat sich nicht nur inhaltlich neu orientiert, sondern die Veränderungen sind auch äußerlich zu erkennen. Vor zwei Jahren trägt er ein schrilles T-Shirt mit Rollkragen, eine weite, schwarze Hose und einen Ledermantel. „Mode glänzt erst so richtig am Menschen, erst dann erwacht sie so richtig zum Leben“, sagt Krause damals. Nur wenn Mode getragen wird, ziehe sie die Blicke auf sich, erziele also eine Reichweite, von der der junge Nachwuchs-Modedesigner spricht. Krause definiert sich vor zwei Jahren noch selbst über die Mode. Er will provozieren und damit Reaktionen auslösen. Heute ist das nicht mehr der Fall, sagt er.
Ja, früher wollte ich auffallen und mein Ego pushen.
Seine Haare unter dem Baseball-Cap sind kurz und nicht mehr gefärbt, er trägt T-Shirt und darüber einen schlichten Pullover, dazu zerrissene Jeans und schwarze Boots. „Ja, früher wollte ich auffallen und mein Ego pushen.“ Mit seiner Kleidung habe er sich bewusst abgegrenzt, eine Art Mauer um sich herum aufgebaut. Jetzt brauche er diese nicht mehr, er fühle sich heute viel sicherer. „Sehe ich ,laut’ aus, lasse ich die Leute nicht so nah an mich heran, das sorgt für einen Schutz, den ich nicht mehr benötige.“ Waren es einst Äußerlichkeiten, über die er sich definiert habe, seien es heute Inhalte. „Ich habe genug zu sagen.“
Vor allem in der Auseinandersetzung mit der Mode der Haute Couture. Er spricht von purem Luxus und von purem Konsum. Das passt ihm nicht. Und so wolle er sich in den kommenden zwei Jahren soziologisch mit dem befassen, was über die Laufstege getragen wird. Er will das System hinterfragen, das dahinter steckt. Für ihn ein Symptom unserer wirtschaftlichen Grundordnung.

Der 22-Jährige ist immer noch viel in Rotenburg. Eines hat sich im Laufe der Zeit nicht geändert. Noch heute ist er in der Autismus-Ambulanz der Lebenshilfe Rotenburg-Verden unterwegs. Kreative Projekte und Angebote stellt er dort auf die Beine. Es spricht von dem Kontrast auch zwischen dem, was er dort erlebt und in der Hamburger Privatschule für sich eingefangen hat. „Dieser Kontrast hat mich noch mehr polarisiert.“
Das Ganze mündet nicht zuletzt in jener Kollektion, die im Mai in Wiesbaden zu sehen sein wird. Da taucht der „Finanzhai“ auf, und da ist auch der „Rich, fat man“ zu sehen. Für Krause ganz typische Parodien der klassischen Businessmode. „Diese Mode hat aus meiner Sicht eigentlich ihr Ende erreicht“, findet der Designer. Er empfinde sich als sehr neugierig und mache sich nun auf die Suche nach einer Nische, um seine politischen Aussagen und Standards noch besser kommunizieren zu können. Mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes in der Tasche macht er sich nun im Masterstudiengang auf den Weg. Der Schwerpunkt für ihn würden die soziologischen Hintergründe, die hinter jenem System stecken, das am Ende die Mode erschafft, die über rote Teppiche getragen wird und aus seiner Sicht einen viel zu hohen gesellschaftlichen Stellenwert genieße.
Als freier Künstler, so versteht sich der Rotenburger, möchte Krause einen Bogen zur Politik schlagen – immer noch mit dem Ziel, am Ende Mode für seine Aussagen als Medium zu nutzen. Ihm reiche es schlicht und ergreifend nicht, Menschen einfach nur zu inspirieren, damit sie ihre Träume verfolgen. „Es ist mir wichtiger, dass wir alle damit beginnen, nach rechts und nach links und damit nicht nur auf unsere Träume zu schauen.“