Allgemeine Impfpflicht – ja oder nein?

Klare Befürworter und strikte Gegner. Der eine prescht vor, der andere mahnt zur Umsicht. Die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht wird auf allen Ebenen geführt. Wir haben mal bei den Politikern vor Ort nachgefragt.
Rotenburg – „Wir brauchen die Impfung“, formulierte es Christof Kluthe, Leiter der Kinderklinik am Diakoniekrankenhaus, kurz vor Weihnachten in einem Pressegespräch im Kreishaus. Sie sei der Weg aus der Pandemie – wenn genügend Menschen ihn mitgehen. Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht ist bereits beschlossen. „Eine hohe Impfquote trägt, zusätzlich zu den Hygienemaßnahmen, zur Sicherheit unserer Patienten und Mitarbeiter bei“, sagt beispielsweise Diako-Sprecher Lars Wißmann. Jetzt stellt sich die Frage nach dem Rest der Bevölkerung. Auch Landrat Marco Prietz (CDU) war sicher: Die allgemeine Impfpflicht kommt. Nicht das Ob, sondern das Wie sei entscheidend.
Eine fehlende klare Positionierung in Berlin mag der „derzeit in Teilen der Gesellschaft düsteren Stimmung“ geschuldet sein, mutmaßt Nils Bassen, Unterbezirksvorsitzender der SPD. „Ich kann nachvollziehen, dass sich Politiker schwertun.“ Der Ausschluss der Impfpflicht von mancher Seite noch vor den Wahlen sei ein Fehler gewesen. So scheint es für alle aktuell mehr um das Wie zu gehen, um die Ausgestaltung. Daher haben wir uns bei ein paar Parteien umgehört, wie sie eine allgemeine Pflicht bewerten und wie sie die Stimmung wahrnehmen.
So viel vorweg: Einheitliche Parteipositionen gibt es auch hier nicht. In einem sind sich die Befragten aber einig: Dass die Impfung vor schwerwiegenden Verläufen schützt und dadurch ein notwendiges Mittel ist. „Das lässt sich auch aus den Zahlen im Landkreis Rotenburg gut belegen“, so Marco Mohrmann, Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes. Patienten, die mit schweren Verläufen ins Krankenhaus müssen, sind zum Großteil ungeimpft.
Viele Folgen der Pandemie trägt das Gesundheitssystem. Auch das Gesundheitsamt des Landkreises ist bei steigenden Zahlen überlastet, erhält wieder Amtshilfe von der Bundeswehr. Die Neuregelung der Quarantänefristen kann Entlastung bringen. Viele haben Überstunden geschoben und Urlaube verkürzt, weiß Mohrmann. „Die Pandemie führt uns deutlich vor Augen, dass die Entwicklung unseres Gesundheits- und Verwaltungssystems auf Kosten seiner Leistungsreserven betrieben wurde“, so Grünen-Sprecher Stefan Fuchs.
„Zeit für eine grundsätzliche Entscheidung“
Das so oft angepriesene Umdenken hat für die betroffenen Berufe bislang keine Verbesserung gebracht. Hinzu kommen Ehrenamtliche, die an vielen Stellen anpacken, aber „die Kraft lässt irgendwann bei allen Beteiligten nach“, sagt Bassen. Das erfordert ein Gegensteuern. Ist die Impfpflicht daher ein notwendiges Mittel? „Impfen schützt, und ist ein Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität. Insofern werbe ich dafür, dass viele Menschen sich impfen lassen“, merkt Jan-Christoph Oetjen, Kreisvorsitzender der FDP, an.
Dennoch bleibt die Einführung umstritten. Es gibt viele Befürworter, wie Hubert Fiedler, Kreisvorsitzender der Wählergemeinschaft Freier Bürger (WFB). „Wir werden im nächsten Winter wieder ähnliche Probleme haben.“ Aber er sagt auch: „Wenn eine Impfpflicht eingeführt wird, muss sie konsequent durchgesetzt werden. Ich habe Zweifel, ob unserer Regierung das gelingt.“ Auch Mohrmann erhält in Gesprächen viel Zustimmung. Repräsentativ sei das aber nicht. Denn es gibt auch die, die sich dagegen aussprechen. Oder jene, die zur Bedachtsamkeit mahnen. Bei den Freien Wählern werde intensiv debattiert, sagt Kreisvorsitzender Günter Scheunemann, der an die Eigenverantwortlichkeit appelliert. „Jeder muss für sich entscheiden können, ob und wann er einer Impfung zustimmen will.“ Er sei gegen eine Impfpflicht, weil „es gravierende medizinische, ethische und juristische Fragen gibt, die bisher nicht beantwortet sind“.
Bei der FDP liegt der Fokus auf Corona allgemein, auf Maßnahmen und Auswirkungen, weniger speziell auf der Impfpflicht, sagt Oetjen. Er halte die Pflicht aber für erwägenswert, um eine weitere Welle im Herbst zu vermeiden. „Es sollte allerdings wissenschaftlich nachgewiesen sein, dass diese einen tatsächlichen Nutzen hat.“ Sorgfältig abwägen, die Gewissheit haben, dass andere Maßnahmen nicht ausreichen, dafür plädiert auch Fuchs. Aber: „Nach den Erfahrungen mit mehreren Infektionswellen und unterschiedlichster Infektionsschutzmaßnahmen ist jetzt auch verfassungsrechtlich der geeignete Zeitpunkt, eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen.“
Kein körperlicher Zwang
Dass die Abstimmung im Bundestag zu dem ehthisch sensiblen Thema ohne Fraktionszwang erfolgen soll, wird positiv begrüßt. „Im Laufe der Pandemie sind zu viele Entscheidungen aus der parlamentarischen Mitbestimmung in reines Exekutivhandeln von Regierungen umgewandelt worden. Bei einer solch gewichtigen Frage darf das nicht passieren“, meint Oetjen. „Alles andere würde das Verfahren auch weiter verzögern und die Menschen im Ungewissen lassen“, ist sich Mohrmann sicher.
Ihm dauert die Entscheidungsfindung dennoch zu lange. „Bund und Länder haben sich bereits am 30. November darauf geeinigt, eine schnelle Entscheidung herbeizuführen. Die neue Bundesregierung muss das Thema nun endlich anpacken und einen Gesetzentwurf vorlegen. Dass in dieser Woche erst ein Zeitplan vorgestellt wurde, verdeutlicht die unterschiedliche Ausrichtung der drei Ampelparteien und lässt wertvolle Zeit verstreichen“, betont Mohrmann. „Da eine Impfpflicht in die Zukunft gerichtet ist, ist es vertretbar, dass hinreichend diskutiert und abgewogen wird“, hält Oetjen dagegen.
Eine hohe Impfbereitschaft ist in der Bevölkerung vorhanden, doch hat das nicht zur der Quote geführt, die zu einer „Herdenimmunität“ benötigt wird. „Eine Impfpflicht würde wahrscheinlich dazu führen, dass die fehlenden Prozente noch dazukommen. Es wird aber keinen körperlichen Zwang geben können“, sagt Mohrmann.
Warum das Konzept der Freiwilligkeit nicht ausreichend funktioniert hat, mit der Frage tun sich die Vertreter schwer. Das „Hin und Her in den Entscheidungen“ hat nicht zur Vertrauensbildung beigetragen, stellt Scheunemann fest. Einen Vertrauensverlust in Medien, Politik und Wissenschaft sieht auch Mohrmann. „Es ist Aufgabe von Politik, dieses Misstrauen wieder abzubauen.“
Kommunikation scheint in allem nach wie vor ein wichtiges Stichwort zu sein. Nur hat eben die bisher an vielen Stellen versagt. Man habe zu lange die Hoffnung geschürt, dass die Pandemie sich im Sommer 2021 verabschiedet, sagt Fuchs. „Die früh vorhandenen Warnungen wurden zunächst ignoriert.“ Fragen nach sozialer Verantwortung und Sicherheit wurden zugunsten der individuellen Freiheit hinten angestellt. „Nur durch diese Fehleinschätzung war es möglich, die Freiwilligkeit der Impfungen so lange hervorzuheben, obwohl sie faktisch schon früh nicht mehr bestand.“
Dennoch müsse man weiter versuchen, die zu erreichen, die man bisher nicht erreicht hat. Fiedler lässt nicht die unerwähnt, die triftige Gründe für ihre Ablehnung äußern. Doch gerade Menschen, die zögern, zum Beispiel aus schlechter Erfahrung mit Impfungen, müsse man ansprechen. „Es muss eine aufsuchende Art der Kommunikation gewählt werden“, meint Oetjen. „In medizinischen Fragen geht es häufig um Vertrauen, daher müssen wir die Hausärzte noch enger einbinden.“