Agaplesion Diakonieklinikum macht auf Volkskrankheit Depression aufmerksam

Rotenburg - Von Joris Ujen. Schlafstörungen, Schuldgefühle, Freudlosigkeit –nur einige von vielen Anzeichen einer Depression. Mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter der Volkskrankheit, die deshalb zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in der Bundesrepublik zählt.
Am Weltgesundheitstag am 7. April macht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter dem Motto „Depression – Sprechen wir’s an“ auf dieses Thema aufmerksam. Professor Carsten Konrad ermutigt Betroffene: „Depression kann jeden treffen, aber sie ist behandelbar!“
Frauen seien genetisch gefährdeter
Jeder Mensch hat ein Risiko von 16 bis 20 Prozent, im Laufe seines Lebens daran zu erkranken, erzählt der Chefarzt im Zentrum für Psychosoziale Medizin im Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg in einem Pressegespräch. Und: „Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer.“ Dieses Phänomen habe mit der biologischen Konstitution, genetischen Faktoren, aber auch einer Reihe von psychosozialen Erklärungsansätzen wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft zu tun. „Männer, die erkrankt sind“, vermutet Konrad, „tendieren, noch viel weniger als Frauen freiwillig zum Arzt zu gehen.“ Dabei ist es wichtig, so der Chefarzt, dass die Erkrankung kein Zeichen von Schwäche ist, „sondern eine ganz natürliche Reaktion des Körpers auf langandauernde konflikthafte und stressige Faktoren“.
Erste Symptome einer Depression sind der Einbruch der Leistungsfähigkeit und eine erhöhte Erschöpfung. „Da fallen sogar alltägliche Dinge schwer, zum Beispiel morgens aufzustehen, sich die Zähne zu putzen oder sich zu duschen“, beschreibt Konrad, der zudem auch als Vorsitzender beim Bündnis gegen Depression im Landkreis Rotenburg aktiv ist und vor Kurzem ein Lehrbuch zur Therapie der Depression publiziert hat. Gedrückte Stimmung, Schwarzmalerei und Hoffnungslosigkeit zählen zu den weiteren Kernsymptomen.
Schlaflosigkeit kann auf Depression hinweisen
Ein ganz charakteristisches Indiz für eine Depression sei zudem die Schlaflosigkeit, insbesondere das morgendliche Aufwachen gegen 2 oder 3 Uhr: „Interessanterweise ist eine der nichtmedikamentösen Behandlungsmaßnahmen gegen eine Depression die sogenannte Wachtherapie“, erörtert Dr. Mirjam Bühring, Geschäftsführende Oberärztin im Zentrum für Psychosoziale Medizin. „Dabei machen die Patienten zweimal in der Woche einen Schlafentzug.“ Bedeutet: Um 1 Uhr nachts wird der Kranke geweckt und muss den Rest des Tages wach bleiben. „Andernfalls funktioniert die Behandlung nicht“, so Bühring. Das Ganze läuft in Eigenregie, bevorzugt innerhalb von Dreier- oder Vierergruppen, die aufeinander achtgeben, nicht einzuschlafen, ergänzt Konrad. Neben der Wachtherapie bietet die Psychosoziale Medizin noch eine Vielzahl weiterer Behandlungsmöglichkeiten gegen Depression an. „Dazu zählen pharmakologische, Einzel- und Gruppen-, aber auch Ergo- sowie Physiotherapien“, zählt Bühring auf.
Aber wann gilt ein depressiver Patient als geheilt? „Akademisch betrachtet, muss eine gewisse Anzahl Symptome rückläufig sein. Einfacher formuliert: Der Heilprozess zeigt sich, wenn der Erkrankte wieder in der Lage ist, ein normales Leben zu führen und vor allem wieder Freude empfinden kann.“ Im Regelfall verlassen die Betroffenen nach vier bis acht Wochen, bei schweren Erkrankungen nach etwa acht bis zwölf Wochen die Klinik.
Erkrankte lassen sich heutzutage eher helfen
Ein Drittel der rund 120 Patienten im Psychosozial-Zentrum leiden unter Depressionen. Eine Zunahme in den vergangenen Jahren haben Bühring und Konrad in ihrer Einrichtung allerdings nicht wahrgenommen: „Es ist richtig, dass die Anzahl der Behandlungen von psychisch Erkrankten steigt“, weiß Konrad zu berichten. „Aber daraus zu schlussfolgern, dass die Gesamtheit der Fälle steigt, ist falsch. Es liegt vielmehr an dem Phänomen, dass Menschen heutzutage eher zu ihrer Krankheit stehen und Hilfe aufsuchen, was begrüßenswert ist.“
Eine weitere Statistik ist nicht so erfreulich: Ungefähr zwei Drittel der psychisch Erkrankten sind Eltern, „wodurch viele Kinder mit betroffen sind“, sagt Klaus Henner Sperling, Psychologe im Sozialpädiatrischen Zentrum des Diako. „Im Landkreis Rotenburg sind es etwa 5 000 Kinder.“ Mit „Kidstime“ bietet das Diakonieklinikum seit mehr als zwei Jahren betroffenen Familien „in einem geschützten Rahmen, in dem sie sich in offener Atmosphäre zu den Themen psychischer Erkrankungen austauschen können“, einen kostenlosen Workshop an. Gruppendiskussionen für Eltern sowie eine spielerische und gestaltende Arbeit für Kinder und Jugendliche sollen dabei dem Gefühl der Isolation entgegenwirken.
Jeden letzten Freitag im Monat können Interessierte am Workshop teilnehmen. Anmeldungen sind bei Klaus Henner Sperling unter der Telefonnummer 04261 / 776850, E-Mail an kidstime@diako-online.de möglich.