1. Startseite
  2. Lokales
  3. Landkreis Rotenburg

Überfordert bis motiviert: Das Ehrenamt im Landkreis Rotenburg

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Andreas Schultz

Kommentare

Feuerwehrleute machen einen großen Teil der Ehrenamtlichen im Landkreis Rotenburg aus. Die will die Koordinierungsstelle für ehrenamtliche Arbeit künftig noch besser unterstützen. Im Rahmen einer Umfrage hat sie Bedürfnisse abgefragt.
Feuerwehrleute machen einen großen Teil der Ehrenamtlichen im Landkreis Rotenburg aus. Die will die Koordinierungsstelle für ehrenamtliche Arbeit künftig noch besser unterstützen. Im Rahmen einer Umfrage hat sie Bedürfnisse abgefragt. © Schultz

Wo Engagierten der Schuh drückt, das wollte der Landkreis Rotenburg wissen. Die Ergebnisse der Umfrage sind da. Sie ergeben ein Lagebild, das „wir durchaus ernst nehmen sollten“, wie Koordinatorin Sandra Pragmann sagt.

Rotenburg – Zehn Prozent der ehrenamtlich engagierten Menschen im Landkreis fühlen sich in ihrer Funktion überfordert. Das Potenzial für wegbrechende Freiwillige ist groß – genau wie das für möglicherweise künftige Ehrenamtliche, die sich noch nicht zum Engagement durchgerungen haben. All das sind Lehren, die der Landkreis Rotenburg aus seiner ersten Befragung zum Thema Ehrenamt zieht. „Wie steht es um das Ehrenamt und die Freiwilligen im Landkreis Rotenburg?“, lautete die Frage. Nun gibt es Antworten. Und auch ein Maßnahmenkatalog steht schon bereit, um dem nun klaren Handlungsbedarf zu begegnen.

Ehrenamt in Landkreis wichtig: Zehn Prozent fühlen sich überfordert

„Das war unser Herzensprojekt“, sagt Sandra Pragmann. Sie bildet mit Gerlinde Wozniak die Koordinierungsstelle für ehrenamtliche Arbeit im Landkreis Rotenburg – und schon da liegt der Hase im Pfeffer, denn der Name ist zu sperrig, bleibt nicht hängen. Ein weiterer Lerneffekt aus der großen Umfrage, zu der Pragmann und Kollegin 2022 eingeladen haben. Die Feststellung, dass mehr als die Hälfte der Befragten die Stelle nicht kennt, bezeichnet Pragmann als kleine „Katastrophe“. Eine Umbenennung muss also her.

Großes Potenzial

Aber zurück auf Anfang: 1. 354 Menschen aus dem Landkreis Rotenburg haben an der Umfrage teilgenommen, 1 123 von ihnen engagieren sich ehrenamtlich, 231 nicht. Die Teilnehmerzahl ist damit relativ groß – gleichzeitig weist die Ehrenamtskoordinatorin darauf hin, dass die Ergebnisse keinesfalls repräsentative seien, denn die Teilnehmer gehörten tendenziell eher höheren Altersklassen an und darüber hinaus eher dem männlichen Geschlecht – außerdem ist der Anteil von Migranten zu gering, der von Freiwilligen aus Leitungsfunktionen eher zu hoch.

Ehrenamtliche: Besorgt, von Problemen geplagt, aber motiviert

80 Prozent der abgefragten Organisationen haben Nachwuchssorgen im Leitungsgremium, 83 Prozent an der Basis. 77 Prozent von ihnen klagen über zu wenig Freiwillige, 67 Prozent über den sich reduzierenden Einsatz der vorhandenen Kräfte. Sie haben auch andere Bedarfe: Jeweils rund drei Viertel wünschen sich einfachere Datenschutzanforderungen (81 Prozent), weniger Verwaltungsaufwand (75), mehr Verständnis von Behörden (75) und mehr Geld (74). Zwei Drittel (66) wären gern besser mit Material oder Räumen ausgestattet. Aber es gibt mit Blick auf die Zahlen der Befragung auch gute Nachrichten. Die Ehrenamtlichen sind motiviert: 96 Prozent wollen die Gesellschaft mitgestalten, 98 Prozent etwas für das Gemeinwohl tun, 88 Prozent für ihre jeweilige Kommune. Fast alle (99 Prozent) eint, dass sie Spaß im Ehrenamt haben wollen.

Trotzdem bieten die Daten Gelegenheit zu Zahlenspielen und Projektionen: Hochgerechnet auf die Einwohnerzahl des Landkreises Rotenburg, laut Kreisverwaltung rund 164. 000, könne also mit etwa 55. 000 Engagierten gerechnet werden. „Wir sehen darüber hinaus großes Potenzial. Rund 8.000 Menschen stehen dem ehrenamtlichen Engagement offen“, vermutet Pragmann mit Blick auf die Zahlen.

Nur: Wie ist es zu schaffen, dass diese Menschen auch den Sprung in die Gestaltungstätigkeit in ihrer jeweiligen Kommune wagen? Und wie lässt sich damit umgehen, dass jeder Zehnte, und damit hochgerechnet 5.500 Ehrenamtliche, sagen, dass sie überfordert sind? Damit, dass der demografische Wandel etwa 2.500 von ihnen in den Ruhestand schliddern lässt?

Wir sind in einer Situation, die wir durchaus ernst nehmen sollten.

Sandra Pragmann

Letztere Frage ist vor allem vor dem Hintergrund interessant, dass die Koordinierungsstelle schon jetzt 400 freie Vorstandsposten zählt und sich 43 Prozent der überforderten Umfrageteilnehmer wünschen, ihre Tätigkeit wäre weniger zeitaufwendig. „Wir sind in einer Situation, die wir durchaus ernst nehmen sollten“, sagt die Koordinatorin.

Antwortversuche auf einen Teil dieser Fragen finden sich in der Aufgabenliste wieder, die sich Ko-Stelle selbst gegeben hat. Neben der bereits angesprochenen Umbenennung der Koordinierungsstelle für ehrenamtliche Arbeit finden sich dort Aktivitäten, die der eigenen Öffentlichkeitsarbeit dienen – zum Beispiel den Aufbau der Ressourcen für ebendiese. Aber auch die Streuung der Informationen nimmt eine wichtige Rolle ein: „Wir müssen mehr informieren, auch in den Organisationen“, sagt dazu Pragmann. So geht es unter anderem darum, die Ergebnisse der Online-Befragung in die 13 Verwaltungseinheiten des Landkreises zu tragen und gemeinsam über mögliche Lösungen für potenzielle Probleme und Unterstützungsmöglichkeiten für Ehrenamtliche zu debattieren.

Ehrungspraxis gilt als angestaubt

Ein Prüfstein dürfte diesbezüglich Pragmanns Vortrag vor den Mitgliedern des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr gewesen sein. Sie sind aber auch angesprochen, wenn es um die Würdigung des Ehrenamts geht, denn unter Einbeziehung der Kreistagsmitglieder nimmt die Koordinierungsstelle eine zeitgemäßere Form der Ehrungspraxis in den Blick – die bisherige kommt etwas angestaubt daher. „Wir wollen sehen, wie wir das moderner gestalten können“, macht Pragmann deutlich. Und auch die kreiseigene Satzung zur Entschädigung Ehrenamtlicher soll aufgefrischt werden.

Beim Engagement geht es aber nicht zuletzt auch ums Geld. Die Koordinierungsstelle ist schon jetzt Ansprechpartner und gern Wegweiser in Richtung passender Fördermittel. Sie prüft nun die Gründung eines Fördervereins für das freiwillige Engagement im Landkreis und will zudem einen Fördermittelsprechtag für gemeinnützige Organisationen etablieren. Das lässt sich praktisch mit einem weiteren Ziel verbinden: das Schaffen eines eigenen Fördertopfs in Höhe von 5.000 Euro pro Jahr mit einer höchstmöglichen Einzelförderung von 500 Euro. Das senkt zwar sicher nicht die Zahl der überforderten Ehrenamtlichen, kommt aber zumindest den 74 Prozent entgegen, die sich mehr Geld wünschen.

Ansonsten bleibt der Koordinierungsstelle und den jeweiligen lokalen Akteuren nur eins übrig. Pragmann: „Wir müssen zusammen überlegen, was wir schaffen können.“

Auch interessant

Kommentare