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„Die Leiche spiele ich nicht“

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Axel Petermann arbeitet als Profiler.
Axel Petermann arbeitet als Profiler. © ksy

Scheeßel - Von Hannes Ujen. Stargast des vierten bereits ausverkauften Krimidinners des Büchereifördervereins Scheeßel im Meyerhof ist am Freitag, 1. November der Kriminalkommissar, Fallanalytiker und Bestsellerautor Axel Petermann.

Geboren 1952 in Bremen, absolvierte er zunächst die klassische Ausbildung bei der Polizei. In fast 35 Jahren bearbeitete er mehr als 1 000 Fälle. 2004 begann Petermann mit dem Aufbau der Dienststelle „Operative Fallanalyse“.

Herr Petermann, Sie sind bekannt für ihre eigene Herangehensweise als Fallanalytiker. Wie gehen Sie vor?

Axel Petermann: Eine Fallanalyse basiert heute immer noch auf der Bewertung der Informationen vom Tatort, der rechtsmedizinischen Befunde und der Einschätzung der Opferpersönlichkeit. Ein Täter trifft bei dem Verbrechen ständig Entscheidungen, die als Spuren am Tatort und an dem Opfer zu sehen sind und gleichzeitig seine Bedürfnisse widerspiegeln. Anschließend bewerte ich alle Informationen. Zum zweiten bemühe ich mich, das Verbrechen so genau wie möglich zu rekonstruieren. Mit Kollegen stelle ich einige Tatsequenzen vor Ort nach. Ich bin davon überzeugt, dass nur auf diese Weise Theorien oder Versionen über Tatabläufe überzeugend überprüft werden können.

Arbeiten Sie als Profiler hauptsächlich allein oder eher im Team?

Petermann: Bei einer Fallanalyse ist der Teamansatz gefragt. Mindestens drei Analytiker sollten in die Bewertung des Tatgeschehens eingebunden sein. Dazu können dann noch verschiedene Sachverständige, wie Rechtsmediziner, Ballistiker, Toxikologen oder Psychologen kommen. Und dann gibt es noch Experten, die aus der Praxis kommen und mir Kenntnisse über Milieus und Lebensumstände vermitteln, die mir sonst verschlossen bleiben würden. Eine besondere Expertin werde ich Ihnen auf meiner Lesung auch vorstellen: eine Domina.

Wie hoch ist die Aufklärungsquote in Ihrem Wirkungskreis?

Petermann: Generell ist die Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten sehr hoch. Gut 90 Prozent aller Fälle werden geklärt. Die restlichen unaufgeklärten Taten sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass eine Täter-Opfer-Beziehung nicht erkennbar ist beziehungsweise dass sich das Motiv des Verbrechens den Ermittlern nicht erschließt. Mit solchen Fällen beschäftigen sich meine Kollegen und ich, und wir versuchen, neue Ermittlungsansätze zu finden.

In Ihren Bestsellern „Auf der Spur des Bösen“ und „Im Angesicht des Bösen“ beschreiben Sie wahre Geschichten. Welcher Fall hat Sie besonders beschäftigt?

Petermann: Ach, es sind so viele, an die ich immer noch denken muss. An die junge Frau, die von einem sadomasochistischen Täter ermordet wurde – ein Fall, von dem ich auch in Scheeßel berichten werde. An Carmen Kampa, die vor vielen Jahren nach einer Tanzveranstaltung nach Hause fahren wollte und nie dort ankam; ihre geschändete Leiche wurde erst zwei Tage später gefunden. Es war „mein“ erster Mord mit dem ich zu tun hatte und für die Aufklärung brauchte es fast 40 Jahre.

Wie viele ungeklärte Fälle liegen noch auf Ihrem Schreibtisch?

Petermann: Es gibt leider noch einige. Taten ab den 70iger Jahren, doch ich hoffe, dass auch die noch geklärt werden können, denn Mord verjährt nicht und glücklicherweise haben sich die Beweismöglichkeiten mit der DNA-Methodik revolutionär verbessert.

Kommt es vor, dass Sie ungewollt trotz aller Neutralität Verständnis oder gar Sympathien für einen Mörder entwickeln?

Petermann: Ja, denn nicht jeder Mensch, der einen anderen getötet hat, muss per se böse sein. Ich denke zum Beispiel an Frauen, die sich aus einer Gewaltbeziehung befreien wollten und aufgrund ihrer Persönlichkeit kein anderes Mittel fanden als den „Tyrannen“ zu töten. Oder an Täter, die aus der Dynamik der Situation töteten und nie zuvor in ihrem Leben daran gedacht hatten, dazu fähig zu sein. Für mich kommt es wirklich immer auf die Umstände an und, dass ist ein wichtiger Ansatz von mir, der Täter muss sich und sein Motiv verstanden wissen. Auch wenn es schreckliche und brutale Verbrechen sind, darf ich nicht werten und muss den Menschen sehen, der hinter der Tat steht. Nur so kann ich erreichen, dass er sich mit mir unterhält und auch das offenbart, was er eigentlich niemanden sagen wollte.

Wünschen Täter auch nach ihrer Verurteilung noch Kontakt mit Ihnen und kommen Sie diesem Wunsch nach?

Petermann: Es hat tatsächlich den einen oder anderen Täter gegeben, der mit mir nach seiner Verurteilung in Kontakt getreten ist. Häufiger habe ich allerdings den Kontakt zu ihnen gesucht. Ich wollte von ihnen wissen, warum sie sich bei ihren Taten so und nicht anders verhalten haben und ob ich mit meinen früheren Überlegungen und Einschätzungen richtig gelegen hatte.

Wie kommen Sie als Mordermittler mit dem Geschehen am Tatort zurecht?

Petermann: Eine professionelle Einstellung zu den Taten und den doch manchmal sehr belastenden Begleiterscheinungen zu entwickeln, war sicherlich ein sehr langer Weg. Ich denke, dass ich mich heute in diesen Momenten sehr in das Geschehen am Tatort einbringen kann, dann jedoch wieder genauso schnell abschalten und mich anderen Dingen im Leben zuwenden kann. Andererseits habe ich aber auch gemerkt, dass mir das Schreiben meiner Bücher oder Lesungen helfen, die belastenden Eindrücke vom Tatort oder Obduktionstisch zu verarbeiten. Entspannung finde ich unter anderem beim Fotografieren. Und natürlich hilft mir meine Familie dabei, immer wieder in ein Leben einzutauchen, in dem es viele schöne Momente gibt.

Sie sind seit 2000 als Experte bei der Fernsehserie „Tatort“ gefragt. Könnten Sie sich vorstellen, selbst einmal eine Rolle in einem „Tatort“ zu übernehmen?

Petermann: Die letzten vier Frankfurter Tatorte mit Nina Kunzendorf und Joachim Król wurden nach Vorlagen aus meinen Büchern gedreht, bei vielen Dreharbeiten war ich beratend dabei. Und Joachim Król als Fernsehkommissar zu erleben, wie er Situationen aus meinem Leben nachspielte, war ein Erlebnis. Aber selber einmal eine Rolle im „Tatort“ zu übernehmen – warum nicht? Nur so viel weiß ich schon: Die Leiche spiele ich nicht!

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