Die EVB nimmt zwei Wasserstoff-Bahnen in Betrieb

Bremervörde - Von Matthias Röhrs. In Bremervörde haben am Sonntag zwei Wasserstoff-betriebene Züge den Fahrgastbetrieb aufgenommen – eine Weltpremiere. In den kommenden Jahren wird sich ihre Anzahl auf 14 erhöhen. Für die Beteiligten ein wichtiger Schritt in Richtung Zukunft. Der Blick der internationalen Bahn-Branche fällt in den kommenden Jahren wohl öfter auf den Landkreis und Bremervörde.
Eine kleine Verspätung gehört wohl doch dazu, wenn eine neue Bahn-Innovation vorgestellt wird. Sechs Minuten verspätet sich der „Coradia iLint“ des französischen Herstellers Alstom, als er zur Premierenfahrt auf das Betriebsgelände des Bahnunternehmens EVB am Bremervörder Bahnhof einfährt. Dabei hatte Jörg Nikutta, seines Zeichens Alstom-Chef für Deutschland und Österreich, anfangs sehr Wert viel darauf gelegt, dass alles „nach Fahrplan“ abläuft. Die Fahrt selbst beginnt dann nur noch eine Minute verspätet. Um 14.21 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung.
Die eineinhalb Stunden zuvor hatten sich die beteiligten Firmen und Behörden alle Mühe gegeben, die Fortschrittlichkeit des Zuges und die Bedeutung dieses Moments für die Zukunft des Bahnfahrens hervorzuheben. Nikutta ließ sich naheliegende Wortspiele jedenfalls nicht entgehen. Der Zug bedeute eine bahnbrechende Innovation, sagte er. Sein Chef, Alstom-Präsident Henri Poupart-Lafarge, betonte die Besonderheit dieses Tages für die Bahnbranche. Ein Zug, der die gleiche Leistung wie die herkömmliche Diesel-Variante bringt, aber viel leiser sei und keine schlechten Emissionen ausstoße – vier Jahre Entwicklung hätten sich gelohnt. „Ein bedeutender Tag für die Zukunft der Mobilität.“ EVB-Geschäftsführer Marcel Frank: „Dieser Zug ist nicht nur ein Meilenstein für die Region, sondern weltweit.“ Zwei Millionen Menschen fahren jährlich mit den Zügen der EVB.
Dabei wirkt der blaue Wasserstoff-Zug bei der Einfahrt wie genau das: wie ein Zug. Wer nicht darauf achtet, dem fällt die Brennstoffzelle auf dem Dach, die den Wasserstoff mit Sauerstoff in elektrische Energie umwandelt, nicht auf. Als der erste Zug langsam über die alten Weichen an den Bahnsteig des Betriebshofes rollt, knarrt das Holz wie bei einem alten Segelschiff. Nachdem alle eingestiegen sind, setzt sich der Zug langsam in Bewegung. Ein dauerhaftes, mittellautes, schrilles Pfeifen ertönt während der Anfahrt. Eine Stimme aus den Lautsprecherboxen wünscht eine „emissionsfreie Fahrt“.
300 beteiligte Ingenieure
Nur 60 Prozent des Schienennetzes in Niedersachsen sind elektrifiziert, hat zuvor der niedersächsische Wirtschafts- und Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) auf die lokales Existenzberechtigung des „Coradia iLint“ hingewiesen. Die EVB-Strecke von Cuxhaven über Bremerhaven und Bremervörde nach Buxtehude, auf der die neuen Bahnen zukünftig hin und her pendeln, gehört zu den übrigen 40 Prozent.
Dass sich diese Zahl in Zukunft großartig verringert, schätzt Althusmann als unwahrscheinlich ein: zu zeitaufwendig, zu teuer. Der „iLint“ sei dagegen eine „echte Alternative“. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann (CDU), verfiel bei der Pressekonferenz richtig in Enthusiasmus. 300 Ingenieure seien an der Entwicklung beteiligt gewesen. Mutig sei es gewesen, einen solchen Zug auch auf die Schiene zu stellen. Nicht jeder sei einer neuen Antriebstechnologie aufgeschlossen gegenüber gewesen.
Die Fahrt führt etwa eine Viertelstunde lang Richtung Süden, nach Selsingen. Leise fährt er durch Felder, Wiesen und Wälder – mit 80 Kilometern pro Stunde. Im Fahrgastverkehr wird er bis zu 120 Stundenkilometer schnell sein. 1 000 Kilometer ist die Reichweite. Die Lautstärke ist mit einer herkömmlichen elektrischen Regionalbahn vergleichbar. Entlang der Strecke stehen immer wieder Passanten und schauen dem Zug hinterher. Auch sogenannte Trainspotter, Sammler von Zug-Fotografien, lassen sich die Gelegenheit dieser Premiere nicht entgehen.
„Sehr gut angelegtes Geld“
Die beiden nun in den Dienst gestellten Züge sind sogenannten Vorserienfahrzeuge. Ab Ende 2021 liefert Alstom 14 weitere Züge aus, die EVB ersetzt damit ihre Flotte auf dieser Strecke. Wert dieses Auftrags: rund 81 Millionen Euro. „Sehr gut angelegtes Geld“, wenn man Bernd Althusmann glaubt. Und danach? „In Niedersachsen gibt es 120 Dieselzüge“, erklärt die Chefin der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen, Carmen Schwabl, auf, „und die erreichen in einigen Jahren das Ende ihrer Lebensdauer“. Auch lohne sich ein Wasserstoffzug auch finanziell: Zwar sei er bei der Beschaffung teurer, die Betriebskosten seien aber nach Ablauf der Lebensdauer 30 bis 40 Prozent niedriger, so Schwabl.
Am Montag um 8.38 Uhr startet der erste der beiden Wasserstoffzüge in Bremervörde dann auch in den Linienverkehr. Dann geht es zunächst einmal nach Bremerhaven. Welche Bahnhöfe irgendwann noch vom „iLint“ angefahren werden, bleibt abzuwarten. Das Interesse der Branche ist jedenfalls geweckt worden, sind sich Behörden und Unternehmen einig. Vier Bundesländer wollen den Wasserstoffantrieb bei Ausschreibungen mit ins Spiel bringen. Alstom-Präsident Henri Poupart-Lafarge berichtete vom Interesse an dieser Technik aus einer Vielzahl an Ländern.