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Gegen die Zeit: Marc Patrick Kuhn hilft bei der Rettung im Erdbebengebiet

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Von: Nina Baucke

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Der ehemalige Botheler Marc Patrick Kuhn engagiert sich seit zwei Jahren ehrenamtlich für die Hilfsorganisation @fire.
Der ehemalige Botheler Marc Patrick Kuhn engagiert sich seit zwei Jahren ehrenamtlich für die Hilfsorganisation @fire. © Baucke

Nur wenige Tage nach dem verheerenden Erdbeben in Syrien und der Türkei ist Marc Patrick Kuhn aus Sittensen vor Ort. Als Mitglied der Hilfsorganisation @fire hilft er dabei, in der südtürkischen Stadt Kahramanmaras verschüttete Menschen aus den Trümmern ihrer Häuser zu retten. 

Bothel/Sittensen – Fünf. Fünf Menschen hat ein Team aus 38 Helfern und drei Hunden der deutschen Hilfsorganisation @fire aus den Trümmern der südtürkischen Stadt Kahramanmaras rettet. Einer von ihnen ist der Sittenser Marc Patrick Kuhn, der ursprünglich aus Bothel stammt. Vier Tage arbeitet er im Katastrophengebiet. „Die körperliche Anstrengung ist enorm“, sagt er. Aber vor allem sind es die Eindrücke einer ganzen Region in Trümmern, die auch nach der Rückkehr an ihm haften bleiben.

Der Hilferuf erreicht ihn zwei Tage nach dem Beben, morgens um 6 Uhr, als er für die international agierende Organisation @fire einen Lehrgang zum Thema Vegetationsbrandbekämpfung in Portugal absolviert. Seit 2021 ist der 34-Jährige, der sich zu Hause seit fast 15 Jahren in der Freiwilligen Feuerwehr Bothel engagiert, in der Hilfsorganisation ehrenamtlich aktiv. „Es hat mich interessiert, weil man dort Aus- und Fortbildungen bekommt, die es so in Deutschland nicht gibt“, erklärt er.

Fünf Tonnen Ausrüstung im Gepäck

Er gehört zum zweiten Team, dass @fire nach dem Beben in die Türkei schickt. Die Zeit drängt, denn die Aufgabe der Organisation ist es, verschüttete Menschen aufzuspüren und zu retten. „Für mich war schnell klar, dass ich da helfen muss. Ich hatte ja sowieso Urlaub für den Lehrgang in Portugal genommen“, sagt Kuhn, der als Betriebsleiter in einem Recyclingbetrieb arbeitet. Und auch eine kurze Verlängerung, um nach dem kräftezehrenden Einsatz zu verschnaufen ist schnell mit dem Arbeitgeber vereinbart. Von Portugal geht es über Frankfurt am Main erst nach Istanbul, dann nach Adana und dann auf dem Landweg in Kleinbussen drei Stunden lang nach Kahramanmaras. Im Gepäck haben sie fünf Tonnen an Ausrüstung und Material. „Wir mussten komplett alles mitbringen“, erklärt Kuhn. Schon 30, 40 Fahrminuten vor ihrem Ziel sehen die Helfer von @fire erste Zerstörungen.

„Natürlich bereiten wir uns als Rettungskräfte gedanklich auf das vor, was wir im Einsatzgebiet sehen werden, und auch ich habe schon vieles gesehen – allein bei Unfällen“, sagt Kuhn. „Aber das in der Türkei, das habe ich mir vorher so nicht vorstellen können. Im Stadtzentrum von Kahramanmaras stand in manchen Straßen kein einziges Haus mehr.“

Den Helfern verlangt der Einsatz viel ab.
Den Helfern verlangt der Einsatz viel ab. © @fire

Das Team bekommt sein Einsatzgebiet, ein Stück vor der Stadtgrenze richtet @fire ein Camp ein, wo Kuhn sich in den kommenden Tagen um die Ausrüstung und Versorgung der anderen Helfer kümmern und die Logistik koordinieren wird. Aber auch er ist mit dem Team im Zentrum unterwegs. „Wir haben dort Zerstörung und absolute Hilflosigkeit bei den Menschen gesehen, aber auf der anderen Seite viel Tatkraft – und Dankbarkeit, mit der sie auf uns zugekommen sind“, erinnert sich der ehemalige Botheler. „Es herrscht dort ein starker Zusammenhalt.“

Dazu kommt, dass die Erde noch längst nicht zu Ruhe gekommen ist, täglich folgen Nachbeben. „Und die waren sehr deutlich spürbar“, sagt Kuhn. „Da liegt man nachts in seinem Zelt und auf einmal wackelt der Boden.“ Ein Grund, sich zurückzuziehen, ist das für ihn allerdings nicht. „Man darf da nicht darüber nachdenken. Wenn doch, ist man da fehl am Platz.“ Und noch etwas macht die Situation für die Helfer nicht ungefährlicher, Unruhen kommen auf. Aber verständlich für Kuhn: „Das ist ein Ventil der Trauer. Erst kommen die Hoffnung und der Tatendrang, dann setzt der Frust ein, und die Emotionen entladen sich.“

Politik im Hintergrund

Grundsätzlich hilft jeder jedem in der Bevölkerung. Auch unter den Hilfsteams: „Da haben wir untereinander schon mal Spritkanister ausgetauscht.“ Und noch etwas fasziniert ihn: „Dass Rettungsteams und Hilfsmannschaften aus der Ukraine und Russland dort im Einsatz sind. Das ist beeindruckend, die Politik rückt in den Hintergrund, alle haben das gleiche Ziel: Menschen zu retten“, betont der 34-Jährige.

Das ist eine Aufgabe gegen die Uhr. Immer wieder erreichen die Helfer von @fire Hinweise aus der Bevölkerung, die unter Trümmern eine Stimme oder Klopfgeschäusche gehört haben wollen. Erst geht es mit zwei Hunden an den betreffenden Ort, schlagen beide positiv an, gehen die Retter dem weiter nach. Unter anderem retten sie im Laufe der Tage ein 15-jähriges Mädchen, das 110 Stunden in den Trümmern eines Hauses überlebt hat. „Es gibt so viele berührende, aber manchmal auch kuriose Geschichten unter den Helfern“, weiß Kuhn.

Es war das Schwerste und Schlimmste, was ich bisher gesehen habe – einfach dieses ganze Ausmaß an Zerstörung.

Marc Patrick Kuhn

Dabei ist die körperliche Belastung groß, die Tage zwölf bis 16 Stunden lang, die hygienische Versorgung ist schwierig, die Minusgrade, vor allem in der Nacht, gehen an die Substanz. Als es vier Tage nach dem Alarm zurück nach Deutschland geht, ist Kuhn „extrem kaputt“, wie er sagt, und freut sich auf Dusche, Bett und seine Familie. Auch die Mission von @fire geht zu Ende. „In der Regel sind sie in Erdbebengebieten sieben Tage lang aktiv, dann gibt es so gut wie keine Chancen auf Überlebende mehr“, weiß Kuhn. Es folgt nur noch das Forträumen der Trümmer – und die Bergung der Opfer.

„Es war das Schwerste und Schlimmste, was ich bisher gesehen habe – einfach dieses ganze Ausmaß an Zerstörung“, sagt er. Aber gerade das ist es, was ihn darin bestätigt, sich zu engagieren, und er appelliert auch an andere, sich einzubringen – „auch wenn die Erlebnisse natürlich nicht die schönsten sind“. Ihn treibt das Helfersyndrom an: „Denn nach den Rettungskräften kommt keine Hilfe mehr.“

@fire – Internationaler Katastrophenschutz

@fire – Internationaler Katastrophenschutz Deutschland ist eine gemeinnützige Hilfsorganisation, die seit ihrer Gründung 2002 vor allem in zwei Bereichen schnelle Hilfe bei Naturkatastrophen leistet: dem Suchen und Retten von Verschütteten nach Erdbeben sowie der Waldbrandbekämpfung. Die Finanzierung der Hilfsorganisation, die rund 400 Mitglieder, größtenteils in Deutschland, aber auch in Österreich und der Schweiz, hat, basiert vollständig auf Spenden. Die Helfer engagieren sich ehrenamtlich und unentgeltlich. Mehr Infos zu der Organisation @fire gibt es im Internet unter www.at-fire.de.

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