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„Ich habe um mein Leben geschrien“ – Wie ein Holocaust-Überlebender fast von Mitschülern verbrannt wurde

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Von: Marten Vorwerk

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Ivar Buterfas-Frankenthal trägt sich in das Goldene Buch der Stadt Wildeshausen ein. Neben ihm Bürgermeister Jens Kuraschinski (l.) und Andreas Langen, Schulleiter des Gymnasiums.
Ivar Buterfas-Frankenthal trägt sich in das Goldene Buch der Stadt Wildeshausen ein. Neben ihm Bürgermeister Jens Kuraschinski (l.) und Andreas Langen, Schulleiter des Gymnasiums. © vorwerk

Der Holocaust-Überlebende Ivar Buterfas-Frankenthal aus Hamburg hat am Mittwoch im Wildeshauser Gymnasium über seine Erlebnisse in der Nazi-Zeit berichtet.

Wildeshausen – „Mitschüler haben mich zu Boden geworfen, getreten, Zigaretten auf meinem Oberschenkel ausgedrückt“, erzählte Ivar Buterfas-Frankenthal am Mittwochmittag bei seinem Vortrag „Gegen das Vergessen“ im Wildeshauser Gymnasium. Gespannt lauschten rund 300 Schüler den Worten des 90-jährigen Holocaust-Überlebenden aus Hamburg.

Anschließend hätten die Mitschüler ihn auf ein Rost gestellt und darunter Papier angezündet, setzte er seinen Bericht fort. „Ich habe um mein Leben geschrien“, erinnerte sich der Mann, dessen Vater Jude, die Mutter Christin war. Im Sinne der Nazis war er damit kein „Arier“, sondern ein Halbjude. „Zum Glück haben mich Passanten gerettet, sonst wäre ich an diesem Tag elendig verbrannt“, betonte er mit angefasster Stimme.

Die Geschichte, die Buterfas-Frankenthal erzählte, ereignete sich im Jahr 1938 – fünf Jahre, nachdem Adolf Hitler in Deutschland an die Macht gekommen war. Noch heute habe der 90-Jährige Albträume von diesem Schultag, an dem er als Sechsjähriger fast ums Leben gekomen war. Beinahe getötet von Kindern, die Mitglied der „Hitlerjugend“ und des „Bunds deutscher Mädel“ waren. Es sei nach gerade mal sechs Wochen Schulzeit sein letzter Schultag gewesen – für immer. Nie wieder wollte er so etwas erleben.

Vortrag in Wildeshausen: Erzählungen ziehen Zuhörer in den Bann

Nicht nur diese, sondern viele weitere Begebenheiten aus der Zeit des Nationalsozialismus, die er als Jude erlebte, ließen den Zuhörern den Atem stocken. Zu ihnen gehörten außer Gymnasiasten auch Schüler der Berufsbildenden Schulen und der Realschule in Wildeshausen.

Buterfas-Frankenthal selbst war auf die Idee gekommen, in der Kreisstadt vorzusprechen. Er habe einen Artikel über ein Projekt zum Holocaust-Gedenktag gelesen. Ihn habe fasziniert, dass in Wildeshausen auf die Ereignisse von früher aufmerksam gemacht werde. „Deswegen habe ich angeboten, vorbeizukommen und einen Vortrag über diese schreckliche Zeit damals zu halten“, sagte er.

Bürgermeister Jens Kuraschinski ließ sich das nicht zweimal sagen und lud den Hamburger ein. „Ich muss mich bei Schulleiter Andreas Langen bedanken, dass wir diesen besonderen Menschen im Gymnasium vortragen lassen können“, sagte Kuraschinski. Langen war begeistert darüber, dass „den Schülern solche exklusiven Einblicke gewährt werden“. Buterfas-Frankenthal trug sich außerdem im Büro des Schulleiters in das Goldene Buch der Stadt Wildeshausen ein.

Mit dem Bruder in Hamburger Kellern versteckt: „Wenn sie uns gefunden hätten, wären wir als Juden sofort ermordet worden“

Seine Geschichten von damals zogen die etwa 300 Teilnehmer immer wieder in den Bann. Der Vater kam ins Konzentrationslager, überlebte aber. Auch seine Mutter und die sieben Geschwister hätten die Kriegsgräuel überstanden. Aber es war ein beschwerlicher Weg. Buterfas-Frankenthal erzählte, wie er sich mit einem Bruder jahrelang in den Kellern Hamburgs vor den Nazis versteckte. „Wenn sie uns gefunden hätten, wären wir als Juden sofort ermordet worden. Mein Bruder hatte uns Handgranaten besorgt. Er sagte: ,Wenn sie uns finden, bringen wir damit zwar uns um, nehmen aber noch ein paar Nazis mit‘.“

Immer wieder machte der 90-Jährige, der schon mehr als 1 000 Vorträge dieser Art gehalten hat, lautstark darauf aufmerksam, dass er stolz darauf sei, heute in Deutschland zu leben. „Ich bin auch stolz auf euch, dass ihr hier seid, mir zuhört und nicht weggeht“, rief er und appellierte: „Eines müsst ihr mir versprechen: Schützt die Demokratie! Wenn ihr wählen geht, müsst ihr euer Kreuz an der richtigen Stelle machen, damit unser Land nie wieder Mördern überlassen wird. Versprecht ihr mir das?“ Ein lautes „Jaaa“ hallte durch die Schule.

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