Tatortreiniger im Interview: „Am häufigsten sind einfache Leichenfunde“

Landkreis/Oldenburg – Jeden Tag zur Arbeit zu kommen, dort Blut und menschliche Überreste beseitigen und dabei immer mit dem Thema Tod konfrontiert zu werden. Schwer vorstellbar, aber für den 34-jährigen Oldenburger André Rohde Alltag. Er ist Tatortreiniger und fährt für seine Arbeit durch ganz Niedersachsen. Unsere Zeitung hat nachgefragt, was seinen Beruf ausmacht.
Herr Rohde, eines habe ich mich schon immer gefragt: Wie wird man eigentlich Tatortreiniger?
Eigentlich bin ich gelernter Kaufmann, ebenso wie meine Frau Kathrin. Wir haben vor unserer Selbstständigkeit im selben Unternehmen gearbeitet. Wir wollten uns beruflich umorientieren. Sie hatte im Gegensatz zu mir aber schon genauere Vorstellungen ihres weiteren Werdegangs. Die Ausbildung zur staatlich anerkannten Desinfektorin beziehungsweise zum staatlich anerkannten Desinfektor haben wir dann gemeinsam absolviert. Staatlich anerkannte bzw. geprüfte Desinfektoren sind in der Regel in Krankenhäusern, Arztpraxen, Gemeinschaftseinrichtungen, Reinigungsbetrieben oder im Rettungsdienst beschäftigt – also überall dort, wo die Hygiene oder der Infektionsschutz zum Tragen kommt. Wir haben uns dann auf die Erstellung von Hygienekonzepten spezialisiert – also individuelle Hygienepläne erstellt, beispielsweise für Pflege- und Betreuungseinrichtungen. Irgendwann erhielten wir dann einen Anruf: Eine Frau war im Bad ungünstig gestürzt und ist infolge einer schweren Schädel-Hirn-Verletzung verstorben. Erst einige Tage später wurde sie dort von einem Angehörigen tot aufgefunden. Der Anrufer erklärte, dass er schon mehrere Stunden herumtelefoniere und keine Firma fände, die ihm weiterhelfen könne. So sei er im Internet auf uns gestoßen und hoffe, dass wir – als Desinfektoren – uns der Sache annehmen könnten. Wir sagten zu. Nach und nach haben wir uns weiter fortgebildet und uns zusätzliche Qualifikationen angeeignet. Weitere Aufträge folgten, sodass dies schnell unser neuer Schwerpunkt wurde. Das Ganze liegt inzwischen fast 13 Jahre zurück. Heute erstellen wir keine Hygienekonzepte mehr, sondern haben uns auf die Tatortreinigung spezialisiert.

Damit haben Sie sich selbstständig gemacht. Wie viele Mitarbeiter arbeiten nun in Ihrem Unternehmen?
Unser Unternehmen besteht derzeit aus vier Mitarbeitern – meine Frau und mich eingerechnet. Es ist also sehr familiär.
Und wer beauftragt Sie?
Der Auftraggeberkreis ist recht groß. Angefangen bei Polizeidienststellen, Opferhilfen, Justizvollzugsanstalten, Kommunen, Bestattern und Immobilienverwaltungen. Aber auch Angehörige Verstorbener, Vermieter, Eigentümer, Betreuungsbüros und Firmen beauftragen uns. Durchschnittlich kommen wir so auf etwa 300 Einsätze pro Jahr. Ungefähr ein Drittel davon sind echte Tatorte. Dazu zählen aber auch Suizide und Gewaltverbrechen ohne Todesfolge.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Was fällt auf der Arbeit am häufigsten an?
Am häufigsten sind einfache Leichenfunde. Jemand – meist ältere Personen – ist alleine in den eigenen vier Wänden verstorben. Häufig werden diese erst Wochen oder gar Monate später aufgefunden. Das ist eigentlich der alltägliche „Klassiker“. Auch die Anzahl an wirklichen Tatorten ist nicht unerheblich. Dazu zählen dann aber auch Selbsttötungen und Gewaltverbrechen ohne Todesfolge. Insbesondere jetzt zu Corona-Zeiten haben wir das Gefühl, dass viele Leute buchstäblich „durchdrehen“, sodass die echten Tatortreinigungen – zumindest gefühlt – stark zugenommen haben.

Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, was ein Tatortreiniger können muss?
Neben dem Wissen, wie ein Tat- oder Leichenfundort fachlich korrekt aufzubereiten ist, muss ein Tatortreiniger noch eine Menge persönlicher Eigenschaften mitbringen. Dazu zählt zum Beispiel auch die Bereitschaft zur Flexibilität. Wer auf feste Arbeitszeiten pocht, hat in diesem Beruf grundsätzlich nichts verloren. Größtenteils ist immer Eile geboten. Darüber hinaus sollte man sich gut in Menschen hineinversetzen können, denn häufig suchen Hinterbliebene das Gespräch mit uns. Wenn es dann an Empathie und Einfühlungsvermögen mangelt, hat man seinen Beruf ebenfalls verfehlt. Zu guter Letzt sollte man dem Tod nicht kritisch gegenüberstehen, sondern akzeptieren, dass dieser zum Leben einfach dazugehört – egal, wie er uns heimsucht. Ansonsten sieht man sich bei jedem Einsatz mit der Frage „Warum?“ konfrontiert.
Auf welche Art und Weise verzweifelte Menschen den Freitod wählen, erschüttert mich immer wieder aufs Neue. Das ist manchmal tatsächlich absonderlich.
Was ist das ungewöhnlichste, was Ihnen bisher an einem Arbeitsort passiert ist?
Ungewöhnlich oder befremdlich war für mich anfangs, zu was Menschen in der Lage sind, sich selbst oder anderen anzutun. Zum Beispiel ist mir bis heute ein besonders brutales Tötungsdelikt in Erinnerung geblieben. Ein junger Mann wurde auf sehr bestialische Weise aus dem Leben gerissen. Der Täter hat sein Opfer nicht nur mit dutzenden Messerstichen schwer verletzt, sondern hat ihm noch vor Eintritt des Todes mehrfach mit einer Bohrmaschine in den Kopf gebohrt. Das war wirklich einer der schlimmsten Tatorte, den wir zu reinigen hatten. In einem anderen Fall hat ein Mann in Anwesenheit der drei kleinen gemeinsamen Kinder 64 Mal auf seine Ehefrau eingestochen und ihr anschließend die Kehle durchgeschnitten. So was ist für mich bis heute einfach unbegreiflich und wird nie zur Normalität für mich werden. Und auch auf welche Art und Weise verzweifelte Menschen den Freitod wählen, erschüttert mich immer wieder aufs Neue. Das ist manchmal tatsächlich absonderlich.
Das klingt grausam. Fällt es Ihnen leicht nach der Arbeit abzuschalten? Können Sie nachts schlafen?
Im Alltag kann ich sehr gut von der Arbeit abschalten und auch schlafe ich nachts prima – zumindest so lange, wie das Telefon ruhig bleibt. Grundsätzlich ist die Arbeit im Privatleben eigentlich kein Thema. Anfangs wurde ich zwar noch häufig zu unseren Einsätzen befragt. Mittlerweile ist dies aber kaum noch Gesprächsstoff im Familien- und Freundeskreis. Für mich ist ein Einsatz abgeschlossen, wenn der Tatort gereinigt ist. Nur wenn ein Fall in den Medien ein großes Thema war, verfolge ich diesen gelegentlich weiter.
Haben Sie die Serie „Der Tatortreiniger“ mit Bjarne Mädel geschaut? Nerven Sie die Vergleiche, oder sind manche Aspekte vielleicht sogar ganz akkurat?
Tatsächlich werde ich beinahe täglich auf diese Fernsehserie angesprochen und gefragt, wie realitätsnah sie ist. Nun ja, ich mag Bjarne Mädel in seiner Rolle als „Schotty“ wirklich sehr und ich finde die Serie insgesamt auch amüsant. Allerdings hat sie mit der Realität nicht viel gemein. Dies liegt aber auch daran, dass sich „Schotty“ mit so ziemlich allen Dingen beschäftigt – jedoch kaum mit seiner Arbeit an sich.