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Mit nur einem Arm arbeiten? Kein Problem!

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Von: Jürgen Bohlken

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Auch Winfried Schreppel (2.v.r.) und Steffen Akkermann (r.) aus der Harpstedter Flüchtlingsinitiative freuen sich über die Chance, die Björn Dauskardt (2.v.l.) dem Geflüchteten Aras Omar (l.) gibt: Seit dem 1. September durchläuft der 29-Jährige irakischer Herkunft eine Ausbildung zum Verkäufer im Ofenhaus Colnrade.
Auch Winfried Schreppel (2.v.r.) und Steffen Akkermann (r.) aus der Harpstedter Flüchtlingsinitiative freuen sich über die Chance, die Björn Dauskardt (2.v.l.) dem Geflüchteten Aras Omar (l.) gibt: Seit dem 1. September durchläuft der 29-Jährige irakischer Herkunft eine Ausbildung zum Verkäufer im Ofenhaus Colnrade. © Bohlken

Colnrade – Geflüchtete haben in Deutschland mit vielen Hürden zu kämpfen. Für Aras Omar aus dem Irak kommt ein zusätzliches Handicap als Folge eines Arbeitsunfalls hinzu: In seinem Heimatland fiel er von einem Fassadenbaugerüst auf ein 33-kV-Kabel. Der Stromschlag ließ seinen linken Arm komplett verbrennen und musste amputiert werden. „Als ich im Krankenhaus aufwachte, bekam ich gesagt, ich läge schon seit drei Monaten dort“, erinnert sich der 29-Jährige. Seit dem 1. September durchläuft er im Ofenhaus Colnrade eine zweijährige Verkäuferlehre.

Seinem Chef Björn Dauskardt ist er unendlich dankbar für diese Chance. „Lore Weiß hat uns zusammengebracht. Sie engagiert sich in der Harpstedter Flüchtlingsinitiative und arbeitet bei uns in der Buchhaltung“, verrät Ofenbaumeister Dauskardt.

Aras Omar, seit September 2015 in Deutschland, hat aktuell nur eine sechsmonatige Duldung zugestanden bekommen. „Für die Dauer der Lehre werde ich aber nicht abgeschoben“, sagt er. Nach Kräften bemüht sich der Alleinstehende mit Wohnsitz in Harpstedt, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Die deutsche Sprache beherrscht er längst. Mancher kennt sein Gesicht von der Minigolfanlage, wo er während der Saison aushalf.

Corona bremst Führerschein-Vorhaben aus

Den Hauptschulabschluss hat er in Wildeshausen gemacht. Das „Vorhaben Führerschein“ legte die Coronakrise auf Eis. Der aus Albanien stammende Ermal Medulaj, gelernter Ofensetzer im Ofenhaus, nimmt Aras Omar mit zur Arbeit. Zur Berufsschule nach Wildeshausen kommt der 29-Jährige hingegen zweimal wöchentlich mit dem Bus.

Den Alltag mit körperlichem Handicap zu meistern, hat er längst gelernt. Holz nachfüllen, obwohl laut Vorschrift jede Ofentür aus Sicherheitsgründen von selbst zufallen muss? Kein Problem. Aras Omar nimmt ein Bein zur Hilfe; dann klappt’s.

Beim Verlegen von Laminat und beim Tapezieren lässt er mit nur einem Arm sogar manchen „Zweiarmigen“ blass aussehen. In diesen Gewerken wollte er sich selbstständig machen; einen Auto-Handwäscheservice fasste er ebenfalls als Option für eine Existenzgründung ins Auge. Als nur Geduldeter aber blieben ihm viele Wege versperrt – ein Problem, das Geflüchtete ohne Bleiberecht nur zu gut kennen. Ehe er eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis beantragen könne, müsse er „mindestens acht Jahre hier gelebt haben“, sagt er.

Beispiele für gelungene Qualifizierung

Mit Ali Alomar aus Syrien bildet auch die Dauskardtsche Ofenmanufaktur einen Geflüchteten aus – zum Ofensetzer. Solchen Arbeitgebern können Steffen Akkermann und Winfried Schreppel aus der Harpstedter Flüchtlingsinitiative gar nicht genug danken, unterstützen sie doch ihre eigenen Integrationsbemühungen. Für die berufliche Qualifizierung Geflüchteter, die es in die Samtgemeinde Harpstedt verschlug, gibt es weitere positive Beispiele: Adam Zakaria aus dem Sudan durfte seine Kfz-Mechatronikerlehre bei der Delmenhorst-Harpstedter Eisenbahn (DHE) GmbH beenden. Im gleichen Berufsbild absolvierte Abdu Shakur Attaher aus Dafur im Sudan eine Ausbildung in Wildeshausen. Etliche Geflüchtete hätten schon lange Jobs, ob nun bei der Post, bei Amazon oder in Bremen als Gabelstaplerfahrer, sagt Schreppel. Deutsch sprächen sie alle: „Dass sie das lernen, war uns von Anfang an wichtig.“

In der Samtgemeinde seien vielleicht noch etwa zehn geflüchtete Familien geblieben. Ebenso einige Einzelpersonen. „Die Familien wurden, wenn sich das hinbekommen ließ, direkt in Harpstedt untergebracht, um ihnen mangels Mobilität kurze Wege zum Einkaufen, zur Schule, zu Ärzten und so weiter zu ermöglichen“, erinnert sich der Flüchtlingshelfer.

Heiratsurkunden „mit unterschiedlichen Daten“

Die Kinder seien erfahrungsgemäß „die Ersten, die gut Deutsch können“. In einigen Fällen habe es Familiennachzug gegeben. „Das ist ein ziemlich heftiger Weg“, weiß Schreppel. Er hat sich durch so manchen Dschungel aus ausländischen Unterlagen und Papieren gequält. Selbst „Heiratsurkunden mit unterschiedlichen Daten“ gehörten dazu.

Die Dokumente würden „sehr genau geprüft“, weiß Schreppel. Ein mitgebrachter Führerschein eines Busfahrers aus Aleppo habe zu diesem Zweck rund ein halbes Jahr lang in Hannover gelegen. Das Ergebnis der kriminalamtlichen Prüfung: „Alles okay.“ Nun mache der Syrer den Busführerschein gleichwohl noch einmal, damit er hier Bus fahren dürfe, denn das, so Schreppel, „will er unbedingt“.

Als Flüchtlingshelfer sind ihm die enormen Unterschiede in den Lebensverhältnissen richtig bewusst geworden, gerade im afrikanisch-europäischen Vergleich. Sudanesischer Herkunft waren die ersten Asylsuchenden, die im Verlauf der letzten großen Flüchtlingswelle in Harpstedt ankamen. Winfried Schreppel kennt ihr Schicksal: „Sie sind abgehauen, weil irgendwelche Milizen ihr ganzes Dorf abgebrannt hatten.“

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