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Gandalfs Glück währte nur etwa ein Jahr

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In einem Steinzeugrohr im Graben (kleines Foto) hat der angeschossene junge Fuchs nach Darstellung von Karin Petra Freiling Schutz gesucht, ehe er als Folge der Bejagung verendete. Ein Grabstein in unmittelbarer Nähe erinnert an den toten Gandalf. Die Biologin hatte den Rotfuchs 2015 mit ihrem Mann und weiteren Angehörigen aufgezogen und ausgewildert. - Foto: Bohlken
In einem Steinzeugrohr im Graben (kleines Foto) hat der angeschossene junge Fuchs nach Darstellung von Karin Petra Freiling Schutz gesucht, ehe er als Folge der Bejagung verendete. Ein Grabstein in unmittelbarer Nähe erinnert an den toten Gandalf. Die Biologin hatte den Rotfuchs 2015 mit ihrem Mann und weiteren Angehörigen aufgezogen und ausgewildert. - Foto: Bohlken

Klosterseelte - Von Jürgen Bohlken. „Ruhe in Frieden, geliebter Gandalf. Du warst ein Teil unserer Familie. Wir haben dich gehegt und gepflegt, wo wie es unsere Pflicht als Mensch ist! Es tut uns unendlich leid.“ Mit diesen Worten auf einem Grabstein am Rande der Straße „Bei der Schule“ in Klosterseelte gedenken Karin Petra und André Freiling einem Rotfuchs, den sie 2015 für die Wildtieraufzuchtstation Rotenburg aufgezogen und dann ausgewildert hatten.

Am Sonnabendnachmittag soll das Tier vor der eigenen Haustür Opfer einer erbarmungslosen Jagd mit Hunden geworden sein. Einer der beteiligten Jäger erklärte hingegen gegenüber unserer Zeitung, das Tier sei keineswegs zerfleischt, sondern per Kugelschuss erlegt worden. Dafür gebe es Zeugen. Karin Petra Freiling selbst habe indes gar nicht gesehen, wie der Fuchs verendet sei.

Zumindest in einem Punkt herrscht Übereinstimmung: Gandalf war nicht gleich tot. Angeschossen hatte er Zuflucht im Straßengraben gesucht – in einem Durchlass, der zu seinem Grab wurde. Was die weiteren Einzelheiten angeht, so steht Aussage gegen Aussage. Der Knall des Schusses, der den Fuchs verletzte, habe sich „sehr nah“ angehört, sagt Karin Petra Freiling. Widerspruch aus kommt aus den Reihen der beteiligten Jäger: In direkter Hausnähe sei nicht geschossen worden. Waidmänner hätten die für die Jagd eingesetzten Hunde angestachelt, „drauf zu gehen“ auf den Fuchs, so Biologin Freiling, auch Vorsitzende des bei ihr beheimateten Tierschutzvereins „Verbindung zwischen den Arten e.V.“. Eine mit dem Smartphone gemachte Audio-Aufzeichnung soll diese Schilderung belegen; der genaue Wortlaut lässt sich aber nur schwer identifizieren.

„Die Gedärme hingen heraus“

Etwa eine Stunde nach dem Schuss sei sie nach draußen gegangen,

Mit der Flasche mussten die Freilings aus Klosterseelte das Fuchsbaby nicht aufpäppeln, als es zu ihnen kam. Gandalf trank die Aufzuchtmilch aus einem Schälchen. - Foto: Freiling
Mit der Flasche mussten die Freilings aus Klosterseelte das Fuchsbaby nicht aufpäppeln, als es zu ihnen kam. Gandalf trank die Aufzuchtmilch aus einem Schälchen. - Foto: Freiling

erzählt Freiling. „Die Jäger standen im Graben an dem Durchlass. Eine Frau, die mit dabei war, sagte, das sei ja eine tolle Gelegenheit, die Hunde wildscharf zu machen. Was denn da vor sich gehe, wollte ich wissen. Da sei ein Fuchs, der gerade verende, bekam ich zur Antwort. Es war unser Gandalf. Er lag immer noch in diesem Rohr und wurde von den Hunden traktiert.“ Der Fuchs habe etwa eine Stunde lang unnötig gelitten. „Schlimmer geht’s vor den Toren eines Tierschutzvereins nicht mehr“, sagt die 48-Jährige empört und entsetzt.

Den Anblick des verendenden Fuchses ersparte sie sich aus verständlichen Gründen. Ihr Mann André sah hingegen den blutenden Kadaver. „Die Gedärme hingen heraus“, erzählt er. Wie grausam Gandalfs Ende auch gewesen sein mag – dass er generell bejagt werden durfte, bezweifelt Karin Petra Freiling nicht.

Der Fuchs habe sich in der Siedlung in Gärten herumgetrieben, behauptet jener Jäger, der sich gegenüber unserer Zeitung äußerte. Halter von Enten und Hühnern hätten Angst gehabt, er könne zu einer Bedrohung für ihre Tiere werden. Es sei im Übrigen „ein Unding“ und nicht zulässig, dass die Wildtieraufzuchtstation Rotenburg/Wümme einer Einzelperson einen Rotfuchs zum Aufpäppeln und Auswildern überlassen habe, ohne Jägerschaft oder Jagdpächter darüber zu informieren. In diesem Zusammenhang spiele es keine Rolle, dass ein Tierschutzverein dahinter stehe. „Großen Ärger“ deswegen hatte der besagte Jäger André Freiling schon am Sonnabend bei dessen Haus angedroht. Und zwar angeblich derart laut, dass seine Frau die auf sie „einschüchternd“ und „massiv bedrohlich“ wirkenden Worte sogar drinnen problemlos mitbekam.

Karin Petra Freiling sieht sich ihrerseits im Recht. Sie fungiere als „Außenstelle“ der Wildtieraufzuchtstation. Im Übrigen sei das Aufziehen und Auswildern von Füchsen nicht genehmigungspflichtig.

Nicht zum ersten Mal hatten die Freilings mit Gandalf einen Fuchs von der Rotenburger Station überlassen bekommen. Das Aufpäppeln sei sehr anspruchsvoll und mit einem riesigen Aufwand verbunden. „Es kommt darauf an, die Waage zu halten zwischen dem natürlichen Bemuttern und dem Auf-Abstand-Halten, damit die Jungtiere nicht zu zahm werden. Schließlich sollen sie ja hinterher in der Natur bestehen können“, so Karin Petra Freiling.

Viermal täglich bekam Gandalf, anfangs zwischen drei und vier Monate jung, eine hochwertige Aufzuchtmilch, allerdings nicht mit der Flasche. „Er konnte selbst aus der Schale trinken.“ Zunächst sei er sehr verängstigt und „ganz dünn“ gewesen. Auch voller Ungeziefer. „Wir haben ihn entfloht und entmilbt“, schildert die Biologin.

„Er war topfit bei der Auswilderung“

Ihre ganze Familie habe sich beim Aufziehen ins Zeug gelegt. Vor diesem Hintergrund sei die Erkenntnis, dass „dem kleinen Kerl“ leider nur ein „kurzes Glück“ beschert gewesen sein, besonders bitter.

„Gandalf war supergesund und topfit, als wir ihn mit ungefähr sieben Monaten, mit Erreichen der Geschlechtsreife, ausgewildert haben“, erinnert sich die 48-Jährige. „Er kam hinterher zunächst regelmäßig zum Fressen zu uns und hat sich bis zuletzt immer wieder blicken lassen. Nach dem Auswildern muss man sicherstellen, dass Jungfüchse nicht gleich verhungern. Sie müssen ja erst einmal lernen zu jagen. Deswegen hat Gandalf bei uns Fresschen bekommen – rohes Fleisch, gemischt mit Gemüse und Mineralien.“

Etwa ein Jahr Lebenszeit war dem jungen Rotfuchs noch vergönnt, ehe die Jäger mit ihren Hunden seinem Leben ein Ende setzten. „Das war tierschutzwidrig hoch fünf“, urteilt die Biologin. Der Ökologische Jagdverband sei über den Vorfall in Kenntnis gesetzt. Ob sie Anzeige wegen Tierquälerei erstatten wird, weiß die Klosterseelterin noch nicht. Ungemach droht aber womöglich auch ihr selbst aus der Jägerschaft – wegen der angeblichen Rechtsverstöße, die ihr im Zusammenhang mit Aufzucht und Auswilderung vorgeworfen werden, oder gar „Verleumdung“.

Karin Petra Freiling betont indes „Reinekes“ Nutzen für das ökologische Gleichgewicht. Der Fuchs gehe eben nicht nur an Gelege; er fange auch „zig Mäuse“ sowie „schwache, kranke und alte Hasen“, trage zu einem gesunden Artenbestand bei. Die Biologin hat unter anderem den Kontakt zu Dag Frommhold gesucht. Der gelte als Fuchs-Koryphäe und habe ihr geraten, den Vorfall publik zu machen. Es sei nach seiner Ansicht eine Katastrophe, wie Jäger deutschlandweit mit den Füchsen umgingen. Aus Gesprächen mit Experten hat Freiling herausgehört, dass viele Waidmänner in diesem „Polizisten des Waldes“ einen Konkurrenten sehen, der ihnen das Niederwild streitig mache. Es gebe aber durchaus auch Jäger, die ein anderes Verständnis hätten und „anders arbeiten“. Karin Petra Freiling zählt ihren eigenen Onkel dazu, von Beruf Oberförster.

Sie selbst arbeitet schon seit 1999 mit der Leiterin der Wildtieraufzuchtstation Rotenburg/Wümme, Regina Buchop, zusammen. „Als uns Gandalf seinerzeit anvertraut wurde, war die Station hoffnungslos überlastet und froh über jede helfende Hand“, entsinnt sich die 46-Jährige aus Klosterseelte. So gern sie die Aufzucht übernahm, so niederschmetternd war aus ihrer Sicht jetzt das Ergebnis, das alle Bemühungen zunichte gemacht hat.

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