Aus für die Förderschule Lernen: Jugendliche kommen erst zum Schluss zu Wort

Wildeshausen/Landkreis – Das Ende der Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen ist so gut wie beschlossene Sache (wir berichteten) – die amtierende rot-grüne Landesregierung hatte ihre Bestrebungen, diese Bildungseinrichtungen auslaufen zu lassen und deren Schüler im Sinne der Inklusion an Regelschulen zu unterrichten, schon während des Wahlkampfes propagiert. Im Schul- und Kulturausschuss des Landkreises Oldenburg entspann sich am Dienstag gleichwohl eine intensive Debatte zu dem Thema.
Ausgangspunkt war ein ausführlicher Bericht der Kreisverwaltung über die Auswirkungen der Abschaffung dieser Schulform. Verschärft wurde der kontrovers und hitzig geführte Meinungsaustausch durch einen Antrag der Gruppe FDP/UWG/„Freie Wähler“/CDW, eine Resolution für die Wahlfreiheit der Eltern abzugeben – diese sollten entscheiden können, welche Schule ihre Kinder besuchen sollen.
Was wird aus der Hunteschule und der Letheschule?
Die umfangreiche Sitzungsvorlage, die die Kreisverwaltung zu dem Thema erarbeitet hatte, sei nur der Einstieg in eine Beratung, die Politik und Verwaltung die kommenden Monate beschäftigen werde, sagte Schulamtsleiter Maik Ehlers eingangs des Tagesordnungspunktes. Die Zielrichtung sei nach der Landtagswahl „mehr oder minder fixiert“, er sehe nicht, dass es sich noch in eine andere Richtung bewegen werde. Während für die Schule am Habbrügger Weg in Ganderkesee wegen des vorhandenen zweiten Förderschwerpunktes derzeit keine Gefährdung bestehe, sehe dies bei der Hunteschule in Wildeshausen und der Letheschule in Wardenburg schon anders aus. Leider gebe es seitens der übergeordneten Behörden in Osnabrück und Oldenburg noch keine Hinweise, wie mit der Auflösung umzugehen sei, und wie sich das Land oder das Ministerium in Hannover das Prozedere vorstelle, so Ehlers. Im Kreis könne sich jedoch niemand ausmalen, dass die Schulleiter nach Ablauf der letzten noch beschulten Klassen „einfach das Licht ausmachen“.
Eltern sollen Wahlrecht haben
Marlies Pape (FDP) stellte den Antrag für die besagte Resolution zu dem Thema. Die Eltern sollten doch zumindest entscheiden können, wo ihre Kinder beschult werden sollen – anstatt sie „vor vollendete Tatsachen“ zu stellen. In den Förderschulen gebe es „soviel, was positiv ist“, sagte die Freidemokratin. Das werde nun alles aufs Spiel gesetzt.
Dirk Vorlauf (CDU) begrüßte den Antrag und die Aussagen seiner Vorrednerin. Er verwies auf einen entsprechenden Antrag, den seine Partei im Landtag gestellt habe. Von der jetzigen rot-grünen Landesregierung fehlten hingegen Antworten auf den schon jetzt herrschenden Lehrermangel oder die Aussage, was passieren sollte, wenn ein Förderschule-Kind auf einer Regelschule nicht klarkomme. Ziel müsse doch sein, die Kinder später in ein Leben zu entlassen, in dem sie selbstständig zurechtkommen können.
„Der Weg ist nicht mehr umkehrbar“
Der SPD-Landtagsabgeordnete Thore Güldner wies sowohl die Einwendung Vorlaufs als auch die Forderung nach einer Resolution entschieden zurück. Die CDU lege nach der Wahl eine andere Haltung an den Tag, als noch zuvor in der Großen Koalition in Hannover. „Der Weg ist nicht mehr umkehrbar“, unterstrich er. Es sei an der Zeit, „den gesetzliche Realitäten“ ins Auge zu schauen. „Jetzt haben wir Klarheit. Es liegt an uns, dies positiv zu begleiten“, so der Aschenstedter. Ein Zurück werde es mit der SPD nicht geben, sagte er entschieden.
Inhaltlich gleichlautend, aber etwas schroffer im Ton antwortete Götze Rohde für die Grünen-Fraktion. Er hinterfragte den Zeitpunkt, zu dem die Resolution gestellt werden solle. Das Thema sei seit Jahren entschieden und nach der Landtagswahl 2022 „final entschieden“. So zu tun, als ob durch ein solches Schreiben der von den Wählern neu bestimmte Gesetzgeber seine Meinung ändern könne, sei „Volkstäuscherei“, wetterte der Harpstedter, zudem unsinnig und verantwortungslos – es gebe schließlich eine „klare Lage“. Die Politik müsse „auch mal den Mehrheitswillen akzeptieren, auch wenn diese dem eigenen nicht entspricht“.
„Auf dem Rücken der Schüler ausgetragen“
Das Vorhaben der Landesregierung sei „fern von der Wirklichkeit“, entgegnete André Klümpen (CDU). Das Regelschulsystem sei jetzt schon an den Grenzen angelangt. Darüber hinaus fehlten an den aufnehmenden Schulen die Kompetenzen und Vorbereitungen. „Nichts ist in Stein gemeißelt, wenn es zulasten der Menschen geht“, sagte er. Das Niveau der Regelschulen sinke immer weiter ab, stimmte ihm Arnold Hansen (Freie Wähler) zu. Die Gruppe wolle deutlich machen, was der Wille der Eltern sei. Doch vielmehr werde seitens der Landesregierung „ohne Not die nächste Sau durchs Dorf getrieben“ und auf dem Rücken der Kinder ausgetragen, sagte er in einer im Ton zusehends schärfer werdenden Debatte. Es sei „dreist“, das Vorhaben als realitätsfern zu bezeichnen, empörte sich Güldner über Klümpen. Inklusion sei ein Menschenrecht. Die anderen Schüler litten nicht darunter, weil künftig „L-Schüler“ dabei seien. Dieser Förderbereich sei zudem eine deutsche Sondersituation und der Begriff „Lernbehinderung“ sei hierzulande „ein Stück weit erfunden worden“. Das brachte ihm den Zwischenruf: „Er sollte mal eine Woche in einer solchen Schule sitzen“, einer der Zuhörerinnen ein.
Der Antrag über die von der Gruppe vorgeschlagene Resolution scheiterte, weil es keine Mehrheit gab: Die acht Mitglieder der Gruppe und der CDU stimmten dafür, die sieben Mitglieder von SPD und Grünen dagegen. Letzteren hatte sich aber Sabine Nolte angeschlossen, die als stimmberechtigtes Mitglied im Ausschuss die Lehrer der allgemeinbildenden Schulen im Landkreis vertritt.
Schulsprecherin meldet sich zu Wort
Zahlreiche Lehrer, Eltern und Schüler verfolgten die Sitzung als Zuhörer. Ihr Beifall und zustimmende Äußerungen machten klar, wofür die meisten von ihnen gestimmt hätten – nämlich für die Resolution. In der Einwohnerfragestunde zum Abschluss der Sitzung meldete sich eine Schülerin zu Wort: Schulsprecherin Joleen von der Habbrügger Förderschule in Ganderkesee. Sie hatte zusammen mit ihrem Mitschüler Lucas ein Meinungsbild in der Schule eingeholt. Die Idee dazu war während einer Sitzung der Schülervertretung entstanden, berichtete Schulleiter Rainer Müller auf Anfrage. Die Berichterstattung in den Medien über den Wegfall ihres Förderschwerpunktes habe die Schüler sehr erstaunt.
„Lucas und ich sind durch die Klassen gegangen und haben über die Auflösung der Förderschule Lernen diskutiert. Das hat sehr viel Betroffenheit ausgelöst. Wir Schülerinnen und Schüler sind fast alle aus inklusiven Grundschulen und Oberschulen zur Förderschule gekommen und haben dann viel Unterstützung erhalten“, las Joleen vor. Und weiter: „Wir fragen uns: Wie soll es in Zukunft gelingen, dass ohne Förderschule unsere Bedürfnisse nach Erfolgserlebnissen, kleinen Klassen, stressfreier Lernzeit und kein Mobbing erfüllt werden“, sagte die Schülerin.
Wirkliche Antworten bekam sie an dem Ausschuss-Abend keine mehr. Der Zettel mit ihrem Statement wurde buchstäblich zu den Sitzungsakten gelegt.