Mehringerin strickt Muffs für Demenzkranke
Die Produkte aus der Hand von Andrea Bösche machen das Leben der Betroffenen bunter.

Mehringen – Jeder Knopf, jede Lasche, jede Perle, jede Schnalle kann Erinnerungen wecken. Für Demenzkranke ist es wichtig, mit ihren Händen zu fühlen. „Der Tastsinn regt die Gehirnzellen an“, sagt Andrea Bösche aus Mehringen. „Die Beschäftigung mit einem Muff kann meditativ und beruhigend wirken.“ Bösche strickt sensorische Demenzmuffs, die sie liebevoll mit vielen verschiedenen Details gestaltet.
In Großbritannien kam die Mehringerin erstmals mit Demenzmuffs in Berührung. Der Liebe wegen zog sie nach England, lebte dort zehn Jahre, bevor sie 2022 zurück in die Heimat kehrte. Zusammen mit ihrem Partner, einem Waliser, betrieb Bösche in Torbay ein Wollgeschäft. Dort gibt es einen Verein namens „Purple Angels“ (übersetzt: „Lila Engel“), der auf die Krankheit Demenz aufmerksam macht. Die „Purple Angels“ hatten es sich zum Ziel gemacht, die Region Torquay, Paignton und Brixham – also die Orte rund um die Bucht von Torbay im Südwesten Englands – als erste demenz-bewusste Touristenregion des Landes zu deklarieren. Dort verbringen viele Bürger ihren Ruhestand und viele Rentner ihre Urlaube. Entsprechend hoch ist der Anteil an Demenzerkrankten vor Ort.
Die „Purple Angels“ gingen in jedes Café, Restaurant, Hotel und Geschäft, um über die Symptome der Krankheit aufzuklären. Und so kamen sie auch zu Andrea Bösche. Die Ladeninhaberin bekam einen Sticker und verkündete in den sozialen Medien, dass die Mitarbeiter „demenz-bewusst“ seien, woraufhin eine Dame einige Demenzmuffs vorbeibrachte und deren Sinn erklärte.
Ein typisches Demenz-Symptom ist eine ausgeprägte motorische Unruhe, hat Andrea Bösche da erfahren. Speziell die Hände sind ständig in Bewegung, zupfen und streicheln. „Hier kann ein Muff helfen, da er die unruhigen Hände beschäftigt und beruhigt“, erklärt die Mehringerin. Weil Demenz meist nicht heilbar sei, könne man nur versuchen, das Leben der Betroffenen so angenehm wie möglich zu gestalten. Sinnes- und Wahrnehmungsübungen seien ein Teil der Therapie.
Andrea Bösche legte die Muffs der Dame in ihrem Geschäft in Torbay aus, veröffentlichte im Internet ein Foto davon. „Prompt kam am nächsten Morgen eine Pflegerin aus einem Seniorenheim und kaufte alle. Sie sagte, dass sie begeistert sei und dass es nie genug gebe. Ob wir noch mehr herstellen könnten, wollte die Pflegerin wissen. Was wir dann auch taten.“
Weil sie ihre Heimat und ihre Familie vermisste, entschied Andrea Bösche, im Ruhestand nach Mehringen zurückzukehren. Hier erzählte sie von den Muffs und stellte fest, dass sie in Deutschland Nestelmuffs heißen und wenig bekannt sind. „Im Internet gibt es fast gar keine, nur ein paar wenige Kissen und Decken, und als ich die Farben sah, dachte ich, die sind alle in den falschen Farben“, erzählt die 60-Jährige. „Das kann ich besser. Also habe ich angefangen, einige zu stricken.“
Alle Muffs von Andrea Bösche sind bunt. Bewusst wählt sie häufig die Farben Rot, Gelb und Orange sowie das beruhigende Grün. „Die Wellenlängen dieser Farben können beim Demenzerkrankten Gedanken evozieren und psychologisch eine positive Wirkung auf das Langzeitgedächtnis ausüben“, erläutert die Mehringerin. „Das Langzeitgedächtnis ist der Teil des Gehirns, der gewöhnlich der letzte ist, der von der Krankheit betroffen wird.“
Mehrere Abende sitzt sie an einem Muff. Oft haben die Unikate ein bestimmtes Thema. So hat sie das Entenküken aus Plüsch, das sie geschenkt bekam, auf einem Muff in verschiedenen Blau- und Grüntönen angebracht, die an einen See erinnern.
Ein Fußball- und ein Turnschuh-Anhänger sind auf einen grün-weißen Muff genäht, der auch dank einer Gürtelschnalle als Mittelkreis einem Fußballrasen ähnlich sieht. „Das perfekte Geschenk für einen Fußball-Fan“, findet Bösche. An den Seiten des Muffs hat sie viele Knöpfe befestigt, die die Zuschauer auf den Tribünen darstellen. „Verrückt, ich weiß“, sagt Andrea Bösche und lacht.
Auch ein „Royal Muff“ gehört zu ihrem Fundus. Er ist lila und mit verschiedenen Symbolen der englischen Krone bestickt, zum Beispiel einem Corgi-Schlüsselanhänger, einer Münze mit der Queen, schottischen Karo-Bändchen, Perlen und vielen Knöpfen in Gold und Silber. Nicht zu vergessen ein kleiner Pelz.
Blumenwiese-Muff mit gehäkelten Blüten, Regenbogen-Muff, Schutzengel-Muff, Hunde-Muff, Wald-Muff – Bösche hat viele Ideen. Ihr Vorrat an Wolle, Knöpfen und Accessoires ist groß. Zum Teil stammen die Materialien aus ihrem Geschäft, dazu kommen Spenden. „Freunde, Nachbarn und Familienmitglieder haben mir geschenkt, was sie nicht mehr brauchen“, sagt Bösche. „Meine Schulfreundin hat sogar den Kunden in ihrem Geschäft von meinem Projekt erzählt und unglaublich viel Tolles zusammengesammelt.“
Da die Demenzmuffs aus Wolle sind, halten sie die Hände warm. Manche strickt Bösche mit verschieden dicken Garnen und mit unterschiedlichen Maschen, damit die Oberflächen wechselnde Strukturen haben. „So kann der demente Patient durch das Darüberstreichen die Haptik, das Tasten, die Wahrnehmung üben und stärken“, sagt sie.
Andrea Bösche macht es „unglaublich viel Spaß“, kreativ zu sein. „Stricken ist meine Passion, meine Meditation“, sagt sie. Gleichzeitig freut sie sich, mit ihren Demenzmuffs etwas Gutes zu tun. Kürzlich schenkte sie der Begegnungsstätte in Bücken, einer ambulanten Betreuungsstelle für Menschen mit Demenz, ein paar Stücke. Eine Frau fand einen Katzenknopf auf einem der Muffs und erinnerte sich an ihre Katze, hat Bösche erfahren. Eine andere war neu in der Begegnungsstätte und etwas ängstlich. „Sie bekam einen Muff in die Hand gedrückt und hat gleich gelächelt. So war sie beschäftigt und hat ihre Angst vergessen“, sagt Andrea Bösche und strahlt.
Ansonsten verkauft sie ihre Muffs für 49 Euro bei der „Fachfrau“ in Wietzen und im Internetshop Etsy. Demnächst möchte sie einen Workshop anbieten, um anderen zu zeigen, wie man Demenzmuffs anfertigen kann. Der Termin wird auf Facebook bekannt gegeben: www.facebook.com/ RuhnauSimone