1. Startseite
  2. Lokales
  3. Niedersachsen

Unzureichende Kinderbetreuung: „Kita-Zeiten wie vor 20 Jahren“

Erstellt:

Von: Katia Backhaus

Kommentare

Um 12 Uhr ist der Sandkasten leer: Kita-Träger müssen derzeit immer häufiger die Betreuungszeiten kürzen.
Um 12 Uhr ist der Sandkasten leer: Kita-Träger müssen derzeit immer häufiger die Betreuungszeiten kürzen. © dpa

Niedersächsische Kindertagesstätten kürzen Betreuungsangebote. Verbände fordern ein Gipeltreffen zur Kitakrise.

Osnabrück/Hannover – Manchmal, erzählt Melanie Krause, muss sie alles liegen lassen und sich in die Küche stellen. „Ich sage dann immer: Ich bin die am besten bezahlte Hauswirtschafterin“, erzählt sie am Telefon. Sie lacht, und überhaupt klingt Krause ziemlich gut gelaunt. Angesichts der aktuellen Lage in den niedersächsischen Kitas ist das bemerkenswert.

Denn Krause hat keinen Arbeitsvertrag als Hauswirtschafterin unterzeichnet, sondern als Leiterin der Kita Niedersachsenring in Leer. Trotzdem steht sie am Herd, wenn alle Hauswirtschaftskräfte ausgefallen sind und niemand anderes als sie selbst mehr einspringen kann. Wenigstens am Essen soll es den Kindern ja nun wirklich nicht mangeln.

Den Kitas im Land fehlt es an zweierlei: an Personal und, als Folge davon, an Zeit. „Für die Eltern heißt das, dass wir wieder in Betreuungszeiten kommen, die wir vor 20 Jahren hatten: von acht bis zwölf“, sagt Krause, die außerdem Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Niedersachsen und Bremen ist. Eine düstere Prognose. Aber sie wird in immer mehr Kommunen ein Thema.

 Für die Eltern heißt das, dass wir wieder in Betreuungszeiten kommen, die wir vor 20 Jahren hatten: von acht bis zwölf.

Melanie Krause, Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Niedersachsen und Bremen

Am prominentesten in Niedersachsen ist der Fall Osnabrück. Im kommenden Kita-Jahr müssten die Kernbetreuungszeiten der städtischen Kitas von acht auf sechs Stunden am Tag gekürzt werden, teilte die Kommune im Februar mit. Der Fachkräftemangel sei so drängend, dass anders eine verlässliche Betreuung nicht möglich sei, erklärte der Erste Stadtrat. Mittlerweile hat er vermeldet, es sei gelungen, die vorhandenen Kapazitäten umzuschichten: Kinder, die eine Betreuung bis 16 Uhr brauchten, werden diese auch erhalten. Mehr als acht Stunden sind aber nicht drin.

„Was als erstes eingeschränkt wird, sind natürlich Früh- und Spätdienste“, sagt Tim Arndt-Sinner, Vorsitzender des Landesverbands Niedersachsen des Deutschen Kitaverbands. Sein Verband vertritt die Kitas in freier Trägerschaft. Die Betreuung im bisherigen Umfang aufrecht zu erhalten, sei eigentlich nicht möglich, sagt er. „Ich glaube, es gibt keine Einrichtung, die nicht Stellen hat, die neu zu besetzen wären.“ Bereits Ende Oktober gaben beispielsweise die Kitas der Landeskirche Hannover in einer Umfrage an, wegen Personalmangels in jeder zweiten Einrichtung Betreuungszeiten kürzen zu müssen.

Seitdem sind vier weitere Monate vergangen, geprägt von Magen-Darm- und Erkältungsviren, von ungeplanten Schließungen und wachsendem Druck. „An sich muss man als Fachkraft sagen: Die Kürzungen der Zeiten sind positiv, weil der Träger für Entlastung sorgt“, sagt Krause vom Kita-Fachkräfteverband. Der Arbeitgeber habe ja eine Fürsorgepflicht.

Was sind die Gründe für die Kitakrise?

Wie es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist, die in den sozialen Medien von Fachkräften und Eltern unter den Schlagworten #kitabrennt und #kitasamlimit diskutiert wird, hat viele Gründe. Vor allem die fehlende Vergütung der Ausbildung ist ein Knackpunkt. Wer dann im Beruf ist, vermisst Wertschätzung, Zeit für Bildungsarbeit und Elterngespräche. Zudem ist die Arbeit mit kleinen Kindern fordernd und anstrengend, was vor allem die Älteren spüren.

Verstärkend kommt laut Fachkräfte-Vertreterin Krause hinzu, dass die Fachkräfte während der Corona-Zeit erlebten, wie entlastend die Arbeit in kleineren Gruppen sein kann. „Das hat den ein oder anderen wachgerüttelt“, sagt sie, und Wünsche nach besseren Standards und Arbeitsbedingungen geweckt. Manche wandern deshalb in andere Bereiche ab, etwa den Grundschul-Ganztag oder den Jugendbereich. „Die Leute wollen nicht mehr immer am Limit sein.“

98 600 Fachkräfte...

... fehlen 2023 bundesweit in den Kindertagesstätten. In Niedersachsen liegt der Bedarf bei 11 952 Personen.

Nicht nur bei den Fachkräften, die sich nach neuen Jobs umsehen, oder den Trägern, die wie die Stadt Osnabrück pauschal Betreuungszeiten streichen, sondern auch bei den Eltern hat sich Resignation eingeschlichen.

Christine Heymann-Splinter, Vorsitzende der Landeselternvertretung der niedersächsischen Kitas, spricht von einem Ohnmachtsgefühl. „Die Eltern sind einfach zu erschöpft. Die schlucken jedes Mal die bittere Pille, wenn gestreikt wird. Die nehmen das so hin und machen dann noch eine Nachtschicht bei der Arbeit.“

Fehlen Betreuungsangebote, können Eltern nicht arbeiten

Noch vermisse sie den Aufstand der Eltern, sagt Heymann-Splinter. Sie wünscht sich, dass sie sich stärker zusammenschließen, und auf allen politischen Ebenen gegen die Probleme vorgehen. Schließlich sei das Potenzial für politischen Druck da: Weniger Betreuung bedeute weniger Gehalt, weil Eltern weniger arbeiten können. Und das bedeute wiederum weniger Steuereinnahmen und Konsum.

Täglich um 18 Uhr per Mail: Unser Newsletter aus der Region, für die Region – hier kostenlos anmelden!

Druck macht derzeit auch die Gewerkschaft Verdi. Sie ruft unter anderem Kita-Beschäftigte zu Warnstreiks auf. Die seien allerdings allein mit der Entgeltforderung für den öffentlichen Dienst begründet, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Katja Wingelewski. Sicher aber sei der drohende Kollaps des Kita-Systems ein zusätzlicher Anreiz zu protestieren.

Und wie geht es nun weiter? „Einfache und schnelle Antworten“ gebe es für den Fachkräftemangel in den Kitas nicht, sagte Landeskultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) jüngst. Gewerkschaft, Fachkräfte-, Träger- und Elternvertretungen fordern von der Landespolitik einen Kita-Gipfel.

Veranstaltungshinweis: Podiumsdiskussion „Kitas in Not – Aktuelle Situation und Perspektiven“, Mittwoch, 15. März 2023, ab 19 Uhr, Lagerhalle Osnabrück.

Auch interessant

Kommentare