Kriminologe nach gewaltsamem Tod in Bramsche: „Männer sind wahllos“

Nach dem gewaltsamen Tod einer 19-Jährigen in Bramsche schweigt der 20 Jahre alte mutmaßliche Täter. Viele Fragen sind noch offen.
Hannover – Die Kreiszeitung hat Professor Thomas Bliesener, den Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover, um eine Einschätzung gebeten.
Die 15-jährige Anastasia aus Salzgitter, der 14-jährige Jan aus Wunstorf, jetzt die 19-jährige Partybesucherin aus Bramsche – sie wurden alle von etwa gleichaltrigen Bekannten getötet. Hat die Brutalität unter jungen Menschen zugenommen?
Nein. Das können wir so nicht sagen. Wenn wir uns in der polizeilichen Kriminalstatistik ansehen, wie sich die Gewaltkriminalität entwickelt – also die schwere Körperverletzung, Raubtaten, Sexualstraftaten –, dann stellen wir gerade auch bei Jugendlichen fest, dass wir den Gipfel eigentlich schon seit Jahren überwunden haben und die Zahlen sinken. Ein ganz ähnliches Bild haben wir, wenn wir unsere eigenen Studien ansehen. Wir machen sogenannte Dunkelfeldstudien, befragen beispielsweise Neuntklässler alle zwei Jahre: Was hast du denn im letzten Jahr so gemacht? Hast du mal einen Diebstahl begangen? Hast du mal jemanden verprügelt? Und auch da stellen wir fest, dass die Gewaltausübung gesunken ist. Das entwickelt sich also ganz anders als man es gemeinhin annehmen könnte.
Die mutmaßlichen Täter sind männlich, zwei Drittel der Opfer weiblich. Liegt hier ein Schema zugrunde?
Das ist ein ganz üblicher Befund. Gerade bei den ganz schweren Delikten, den Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, überwiegt das männliche Geschlecht deutlich. Wenn Frauen töten, was seltener der Fall ist, dann töten sie eher eigene Partner. Ganz, ganz selten töten Frauen Frauen. Männer sind da wahllos.
Was kann junge Menschen dazu bringen, einen anderen zu töten?
Wir gehen davon aus, dass es die gleichen Beweggründe sind wie auch bei Erwachsenen. Solche Taten sind ja sehr häufig nicht geplant, sondern entstehen aus einer Dynamik, oft aus einer Beziehungsdynamik, einer erlebten Erniedrigung oder einer Bedrohung. Dann wird dieser Angriff auf einen Gegner oder eine Provokateurin als letztes Mittel betrachtet. Das ist tatsächlich schwer zu erklären, aber irgendwie setzt da einfach die Verhaltenskontrolle aus. Es stehen vermeintlich keine anderen Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung. Da unterscheiden sich junge Menschen nicht von Erwachsenen. Wir haben bei Jugendlichen ganz selten den Fall, dass Neugier, also wie es ist, einen Menschen zu töten, dahintersteht.