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Inflation, Gas- und Strompreise: Wohlfahrtsverbänden fehlt das Geld

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Von: Andree Wächter

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Obdachlosenhilfe mit Taschen und einer Iso-Matte im Vordergrund.
Obdachlose suchen im Winter die warmen Räume der Caritas auf. Weil die Preise für Strom und Gas gestiegen sind, kommen Sozialverbände an ihr Limit. © Marijan Murat/dpa

Wohlfahrtsverbände sind in Not. Ihre Budgets haben die hohe Inflation nicht einkalkuliert. Sie hoffen auf das Hilfspaket vom Land Niedersachsen.

Hannover – Einrichtungen, die Menschen in der Not helfen, müssten eigentlich aktuell selbst ihr bester Kunde sein. Denn die Kosten für Strom und Gas laufen bei AWO, Caritas & Co aus dem Ruder. Dazu kommt noch die Inflation. Diese Gemengelage stellen die kirchlichen Einrichtungen und Wohlfahrtsverbände zunehmend vor Probleme. Sie appellieren daher auch an die Politik, die vorbereiteten Entlastungen rasch und unkompliziert umzusetzen.

Andreas Schubert aus dem Vorstand des Caritasverbands in Hannover spricht von einem „doppelten Dilemma“. Einerseits gelte es, den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden, zum anderen, die „wirtschaftlichen Herausforderungen im Blick zu behalten“. Selten sei diese Gratwanderung für die sozialen Träger so schwierig gewesen wie zurzeit. „Die hohen Energiekosten beschäftigen uns auf allen Ebenen.“

Derweil nähmen die Anfragen in Beratungsstellen weiter zu. Doch auch die Caritas muss rechnen, denn die Unterhaltungskosten von Gebäuden und Büroräumen steigen mit. Man versuche, etwa beim Heizen durch Temperaturabsenkungen zu sparen oder auf Büro-Sharing auszuweichen. Aber es gebe eben auch „Dienststellen, in denen wir keine Abstriche machen können“. Dazu gehörten beispielsweise die Hilfen für Besucher des Tagestreffs für Obdachlose. „Sie brauchen unsere Zuwendung, suchen nach Wärme, halten sich tagsüber in unseren Räumen auf und werden bei Bedarf medizinisch versorgt.“

AWO: Heimbewohner müssen eventuell mehr für Strom und Gas bezahlen

Als ähnlich brenzlig wird die Situation bei der AWO beurteilt. Im Bezirksverband Hannover heißt es: „Die Lage ist insofern kritisch, als die sozialen Einrichtungen im gemeinnützigen Bereich nicht über finanzielle Mittel verfügen, um steigende Kosten allein abfedern zu können.“ In der Pflege dürfte das konkret bedeuten, dass Bewohner von Heimen oder Kunden ambulanter Dienste große Teile der Mehrkosten wohl übernehmen müssen. Gemeint sind vermutlich Strom und Gas.

„Dabei ist es für viele Pflegebedürftige und ihre Familien schon jetzt ein Kraftakt, die Pflegesätze zu stemmen“, sagt AWO-Geschäftsführer Marco Brunotte. Entscheidend sei jetzt die Frage, wie gut die angeschobenen Entlastungspakete greifen. Wegen etlicher offener Punkte sei das „für uns ist noch nicht absehbar“.

Die Blicke der meisten richteten sich primär auf das Thema Energie. Die Inflation treffe jedoch seit Monaten alle Hilfsfelder, so Brunotte: „Lebensmittel, Mieten, Nebenkosten, Dienstleistungen und andere bezogene Leistungen werden deutlich teurer.“ Einrichtungen wie die Eingliederungshilfe, Unterstützungsangebote für Geflüchtete und Migranten oder die Schuldnerberatung hätten keine großen Rücklagen. Äußerst angespannt bleibe es auch in medizinischen Bereichen wie den Vorsorge- und Reha-Kliniken, die „seit Monaten Alarm schlagen“.

Wohlfahrtsverband: Hilfen für Strom und Gas müssen unbürokratisch fließen

Beim Paritätischen Wohlfahrtsverband glaubt Niedersachsen-Chefin Kerstin Tack, dass die angekündigten Bundes- und Landeshilfen die „existenzielle Bedrohung“ gemeinnütziger Dienste noch abwenden. Allerdings könnten sie längst nicht alles auffangen. Möglicherweise hätten Spardruck und „strikte Mittelverwendung“ bei gemeinnützigen Körperschaften in früheren Jahren mit dazu geführt, dass nun ein finanzielles Notpolster fehle oder jedenfalls zu dünn sei, deutete sie an. „Die Hilfen müssen daher zeitnah und unbürokratisch fließen.“

Bereits im September hatten fast 95 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage unter Mitgliedsorganisationen des Paritätischen im Land angegeben, die Folgen von Energiekrise und Inflation in ihrer täglichen Arbeit deutlich zu spüren. Knapp 56 Prozent erklärten, dies belaste ihre jeweilige Organisation stark oder sogar sehr stark.

Große Sorgen bereiten mir die zusätzlichen finanziellen Belastungen, die auf unsere Bewohner zukommen.

Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen

Bei der Diakonie in Niedersachsen sagt Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke zur Pflege: „Besonders große Sorgen bereiten mir die zusätzlichen finanziellen Belastungen, die auf unsere Bewohnerinnen und Bewohner in unseren Einrichtungen zukommen.“ Der Eigenanteil für Pflegebedürftige müsse daher gedeckelt werden. „Die Beantragung von Sozialhilfe darf für sie nicht zur Regel werden. Es braucht endlich eine Reform der Pflegeversicherung“, forderte Lenke.

Aus seiner Sicht sind auch die geplanten Energiekosten-Entlastungen für Angebote der freien Wohlfahrtspflege bisher nicht konkret genug ausformuliert. Man hoffe, „dass bis Ende des Jahres mehr als eine grobe Richtung erkennbar ist“. Detailfragen müssten dringend geklärt werden, um die soziale und pflegerische Versorgung sicherzustellen.

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