Gewalt gegen Frauen: Wie Männer Frauen mehr Sicherheitsempfinden geben können
Kurz vorm Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen sagt eine Studie: Drei von vier Frauen fühlen sich in der Dunkelheit unsicher. Was können wir dagegen tun?
Bremen – Während ich, Maria Sandig – die Autorin dieses Textes –, eben noch Freunde in einer Bar getroffen habe, stehe ich nun am Hauptbahnhof in Bremen. Überall sind Gruppen von jungen Männern, die betrunken sind. Schon jetzt beschleicht mich ein unbehagliches Gefühl. Meine Bahn, die fast vor meiner Tür hält, fällt aus. Ich nehme stattdessen den Bus und damit einen längeren Fußweg durch ein kleines Parkstück in Kauf.
Kurz vor meiner Haltestelle denke ich schon darüber nach, wer gleich mit mir zusammen aussteigen wird. Und das nicht nur, weil am 25. November der „Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ ansteht. Bisher ist keine weitere Frau in Sicht, was mir zumindest etwas Sicherheit geben würde. Schon oft habe ich in der Vergangenheit Frauen angesprochen und gefragt, ob wir gemeinsam ein Stück gehen.
Gewalt gegen Frauen: 58 Prozent der Frauen meiden nachts konkrete Orte und öffentliche Verkehrsmittel
Eine Situation, wie sie in Deutschland nicht selten vorkommt. Denn: Frauen fühlen sich nachts in der Öffentlichkeit deutlich unsicherer als Männer. Frauen schätzen laut einer Studie des Bundeskriminalamts (BKA) die Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer sexueller Belästigung zu werden, deutlich höher ein als Männer. Gewalt gegen Frauen ausgesetzt zu sein – als Frau hat man das immer im Hinterkopf. Deshalb meiden Frauen nicht nur die öffentlichen Verkehrsmittel bei Dunkelheit: 58 Prozent von ihnen umgehen bestimmte Plätze oder Parks in ihrer Umgebung.

Quelle: Bundeskriminalamt
Bei Männern ist die Quote nur halb so hoch. Das zeigt eine Studie des BKA. Die Befragung mit mehr als 46.000 Teilnehmern, darunter 21.215 Männer und 23.290 Frauen, ist laut BKA die größte, die es in Deutschland zu Erfahrungen mit Kriminalität je gegeben hat. Wegen der zahlreichen Opfererfahrungen – vor allem eben, was die Gewalt gegen Frauen und die Angst davor angeht, sieht das BKA das Sicherheitsgefühl der Deutschen in „bestimmten Bereichen des Alltags in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt“. Ein Bild, das vor allem mit Blick auf die Frauen zum „Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ am 25. November 2022 passt.

„Hier muss mehr zum Schutz getan werden – durch die Präsenz von Sicherheitsdiensten etwa bei der Bahn, aber auch durch höhere Polizeipräsenz an belasteten Orten und durch mehr Videoüberwachung“, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch, stellte sie kürzlich die besagte Studie „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ vor, die im Bezug auf Gewalt gegen Frauen eine klare Sprache spricht.
Gewalt an Frauen: Täter in der Regel männlich – Frauen bei Sexualdelikten deutlich häufiger Opfer
Männer werden tendenziell zwar häufiger Opfer von Straftaten als Frauen, aber: Frauen sind aber deutlich häufiger von Sexualstraftaten und Partnerschaftsgewalt betroffen. Obwohl die Zahl der Femizide in Deutschland erschreckend hoch ist, wird kaum darüber gesprochen. Allein 2020 starben 139 Frauen durch Gewalt ihrer Partner oder Ex-Partner – kurzum: De Folgen von Gewalt gegen Frauen sind nicht zu übersehen oder von der Hand zu weisen.

Quelle: Bundeskriminalamt
Verhalten zum Schutz vor Kriminalität | Prozentteil der Bevölkerung |
Konkrete Orte werden gemieden | 44 Prozent (Frauen: 58 Prozent) |
Nutzung des ÖPNV wird gemieden | 37 Prozent (Frauen: 52 Prozent) |
Messer und Reizgas als Schutz | 1,5 und 3,8 Prozent |
Um sich zu schützen, tragen 1,5 Prozent der Bevölkerung oft ein Messer bei sich, fast vier Prozent Reizgas. Zum Schutz vor Kriminalität tragen 1,5 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren sogar Waffen wie Messer mit sich. Fast vier Prozent der Menschen in Deutschland haben Reizgas dabei, um sich zu schützen. Die Autoren der Studie sprechen von einem erheblichen Bewaffnungsgrad im Hinblick auf die absoluten Zahlen.
Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen: Wenig Anzeigen bei sexualisierter Gewalt und Gewalt gegen Frauen
Zu groß ist aus Sicht der Behörden auch die Dunkelziffer bei sexualisierter Gewalt. Laut der Studie wird gerade einmal ein Prozent der Fälle angezeigt. Zum Vergleich: Beim Diebstahl von Autos sind es 92 Prozent. Innenministerin Nancy Faeser fordert mehr offizielle Ansprechpartner für Opfer sexualisierter Gewalt. Die niedrige Anzeigequote erklärt sich für die Ministerin unter anderem damit, dass sich die Taten im privaten Nahfeld ereignen. Die zeigt man nicht so schnell an, als wenn Fremde diese Übergriffe begehen.

Menschen mit internationaler Geschichte: Sie sind stärker besorgt, Opfer von Kriminalität zu werden
- Auffällig sei laut BKA, dass Bürger mit internationaler Geschichte und ihre Nachfahren aus der Türkei oder Polen stärker besorgt seien, Opfer von Kriminalität zu werden, als Personen ohne einen solchen Hintergrund. Groß sei vor allem die Furcht, Opfer von „Vorurteilskriminalität“ zu werden, so die Studie.
- Jedes zweite Opfer von Körperverletzung vermutet, wegen gruppenbezogener Vorurteile wie Herkunft oder sozialem Status angegriffen worden zu sein.
- Deshalb brauche es laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser auch innerhalb der Polizei Veränderung. 44 Prozent der Befragten mit internationaler Geschichte kritisierten, dass der Polizei Mitgefühl fehle – deutlich mehr als in der Vergleichsgruppe von Menschen ohne internationaler Geschichte.
- „Wir brauchen mehr Diversität in der Polizei, sie sollte ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Vielfalt sein“, sagt die Bundesinnenministerin. „Und wir brauchen noch stärkere Schwerpunkte in der Polizeiausbildung, um etwa rassistischen Vorurteilen vorzubeugen.“
Studie zeigt Gewalt gegen Frauen: Bevölkerung soll zukünftig alle zwei Jahre befragt werden
Die Dunkelfeldstudie ist ein Blick zurück. Auf das Sicherheitsgefühl der Menschen und ihre Erlebnisse mit Kriminalität vor zwei Jahren. Die Autoren haben Ende 2022 knapp 50.000 Bundesbürger gefragt. Also in einer Zeit, in der die Corona-Pandemie eine andere Rolle spielte als heute und der Krieg gegen die Ukraine mit seinen Konsequenzen noch in der Zukunft lag.
Ab sofort, so kündigt es BKA-Chef Münch an, will seine Behörde eine solche Befragung der Bevölkerung alle zwei Jahre starten. Die Pläne für eine solche Befragung liefen zwar schon seit 20 Jahren, durchgeführt wurde sie bislang nie. In anderen Ländern wie den USA und in Großbritannien werden solche Studien bereits seit einigen Jahrzehnten durchgeführt.

Quelle: Mädelsabende (Instagram)
Studie zu Gewalt gegen Frauen: Mehr als 1.397 Frauen sind im Jahr 2020 nicht sicher zuhause angekommen
Mit mir steigt ein Mann aus, der aber glücklicherweise direkt in eine andere Richtung geht. Ich biege in das Parkstück in Richtung meiner Wohnung ab. Mein Schlüssel klemmt zwischen meinen Fingern, falls etwas passieren sollte. Ich rufe sicherheitshalber meinen Freund an. Mir kommen zwei junge Männer entgegen. Ich fange an zu rennen, als ob ich die nächste Bahn erwischen muss. Einer der Typen erschreckt mich, schreit „Buh“ – und ich habe noch mehr Angst als vorher und ärgere mich über das, was passiert ist.
Das ist nur eine Situation, die mir auf dem Nachhauseweg passiert ist. An diesem Abend bin ich gut zu Hause angekommen. Mehr als 1.397 Frauen im Jahr 2020 nicht.