Trotz Vollzeitjob: Jeder Fünfte in Niedersachsen ist ein Geringverdiener
Nicht immer lohnt die Arbeit: Trotz Vollzeitjob müssen Geringverdiener am Monatsende aufs Geld schauen. Eine Studie vom WSI zeigt: Viele leben in Niedersachsen.
Hannover/Berlin – Viel Arbeit, wenig Lohn: Viele Arbeitnehmer in Niedersachsen rackern sich mit einer 40-Stunden-Woche ab – und verfügen dennoch über ein schmales Gehalt. So gelten ein Fünftel der Berufstätigen in dem nördlichen Bundesland als Geringverdiener*. Das geht aus einer am Donnerstag von der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichten Studie hervor. Zwar sei es in den vergangenen Jahren gelungen, den unteren Entgeltbereich ein wenig zurückzudrängen, sagte Studienautor Helge Emmler dem Handelsblatt. Dennoch schneidet Niedersachsen im Bundesvergleich schlecht ab.
Bundesland: | Niedersachsen |
Fläche: | 47.614 km² |
Bevölkerung: | 7,982 Millionen (2019) |
Ministerpräsident: | Stephan Weil (SPD) |
Erstellt wurde die Studie vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) im Auftrag der gewerkschaftsnahen Stiftung. Die Berechnung beruht dabei auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Demnach galten im vergangenen Jahr insgesamt 19,9 Prozent der Arbeitnehmer in Niedersachsen als Geringverdiener. Trotz ihrer Vollzeitstelle mussten sie am Monatsende mit einem Bruttolohn von unter 2284 Euro über die Runden kommen. Dies ist vor allem in den strukturschwachen Regionen wie Wittmund in Ostfriesland oder Helmstedt der Fall, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete.
Hans-Böckler-Stiftung: WSI-Studie offenbart Anteil der Geringverdiener in Niedersachsen
Gemäß einer gängigen Definition sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hierzulande Geringverdiener, wenn sie weniger als zwei Drittel des mittleren monatlichen Bruttoarbeitsentgeltes aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten erhalten. Die Auswertung zeigt dabei, dass das Problem ungleich verteilt ist. So trifft es überdurchschnittlich Frauen, jüngere Vollzeitbeschäftigte, solche mit ausländischer Staatsangehörigkeit oder Personen ohne Berufsabschluss.

Außerdem ist der Anteil der Geringverdiener, die im neuen Jahr ein paar Gesetzesänderungen beachten müssen, über die deutschen Regionen unterschiedlich verteilt. So zeigt sich im Vergleich der Bundesländer sowohl ein Nord-Süd- als auch ein Ost-West-Gefälle. Auf Länderebene erreichte Niedersachsen eine ähnliche Platzierung wie etwa Berlin, wo der Anteil der Geringverdiener 19,2 Prozent betrug. Bezogen auf andere große Flächenländer wie Baden-Württemberg (13,7 Prozent) oder Bayern (15,3 Prozent) war die Quote zum Jahreswechsel im Nordwesten aber deutlich höher. Allerdings verzeichnen ostdeutsche Bundesländer wie Thüringen (32,9 Prozent) oder Mecklenburg-Vorpommern (34,2 Prozent) deutlich größere Werte.
Ab wann ist man Geringverdiener? Jeder Fünfte in Niedersachsen fällt in die Kategorie
Insgesamt betrachtet ist die Gruppe im unteren Entgeltbereich aber in Deutschland in den Jahren vor der Corona-Krise kleiner geworden. Gehörten ihm 2011 bundesweit noch 21,1 Prozent der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten an, so ist der Anteil auf 18,7 Prozent im Jahr 2020 zurückgegangen. Da es zwischen den Regionen aber erhebliche Unterschiede bei der Entwicklung gibt, mahnte die Böckler-Stiftung von der Politik weitere Reformbemühungen an. Vor allem mit einer stärkeren Tarifbindung der Löhne im Osten könne sich die Situation vieler Betroffener verbessern lassen, sagte WSI-Forscher Eric Seils dem Handelsblatt.
Inwieweit die Forderung in der Politik auf offene Ohren stößt, bleibt abzuwarten. Durchaus zeigt sich die neue Ampel-Koalition um Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem Papier gewillt, den Kampf gegen die drohende Armut aufzunehmen. Während FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner den Deutschen eine milliardenschwere Steuerentlastung ankündigte, soll laut dem Koalitionsvertrag auch der Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben werden – was mitunter auch vielen Geringverdienern helfen könnte.
Geringverdienergrenze: Ampel-Koalition will Lohngefälle in Deutschland mit Sozialreformen ausgleichen
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) machte in diesem Zusammenhang bereits Druck. Als eine der ersten Amtshandlungen soll ein Gesetzentwurf im Kabinett beraten werden. Schon rund um den Jahreswechsel wollte das Ministerium die Vorlage dazu erarbeiten. Dies bedeute dann noch im Jahr 2022 eine Gehaltssteigerung von zehn Millionen Bürgerinnen und Bürgern, versprach Kanzler Scholz im Bundestag.
An der Umsetzung bestehen wenig Zweifel. Neben der Abschaffung von Hartz IV und der Einführung einer neuen Bürgerversicherung hatte die SPD von der Mindestlohn-Erhöhung das Zustandekommen der Koalition abhängig gemacht. Weitere sozialpolitische Anliegen stehen jedoch noch auf wackeligen Füßen. Zwar dürfen sich auch Minijobber über mehr Lohn freuen, doch bei der Erhöhung der Regelsätze für Arbeitslose trat die Bundesregierung auf die Bremse. Ein Aufschlag von 200 Euro, wie von den Gewerkschaften gefordert, hätte ein Milliardenloch in die Haushaltskasse gerissen*. Dies sei unfinanzierbar, hieß es aus Koalitionskreisen. * kreiszeitung.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.