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Fußgänger-Sprecher fordert Tempo 25: „System ist verkehrt und voller Gewalt“

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Von: Ulrike Hagen

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Ein Berliner Stadtplaner fordert die Fußgänger-Revolution. 25 km/h als Geschwindigkeitsbegrenzung, Zebrastreifen statt Ampeln und eingeschränkte Radfahrerrechte.

Berlin – „Abrüsten“, „Gewalt“, „Unterwerfung“ – wenn Roland Stimpel, Stadtplaner und Vorstand des Fachverbands Fußverkehr Deutschland (FUSS), über Verkehr spricht, könnte meinen, es geht um ein hochbrisante militärische Auseinandersetzung. Der Berliner fordert radikal die Verkehrsentschleunigung, Ampeln abzuschaffen und Fußgängern oberste Priorität im Straßenverkehr einzuräumen, ohne Wenn und Aber. Darüber hat er sogar ein Buch geschrieben, eine Art Manifest für das Zufußgehen als einzig wahres Mobilitäts*-Konzept mit Zukunft.

Interessenvertretung von Fußgängern:FUSS e.V. (Fachverband Fußverkehr Deutschland)
Gründung:23. Februar 1985
Sitz:Berlin
Mitglieder:ca. 800
Fachzeitschrift:mobilogisch! (vierteljährlich)

Radikaler Fußgänger fordert neues Verkehrskonzept: „Das System ist verkehrt und voller Gewalt“

Der radikale Vertreter der Fußgänger-Verkehrswende* hadert dabei mit so ziemlich allen anderen Verkehrsteilnehmern, egal ob auf den Fahrrad, mit dem E-Scooter oder mit dem E-Auto unterwegs. Und auch Ampeln gehörten abgeschafft, denn sie seien „blinkende Verkehrsmiseren“ und „unfair programmierte Automaten“, die zum „großen Teil gefährlich“ sind. Im Gespräch mit der „Berliner Zeitung“ brachte der Stadtplaner und Autor seine Auffassung über den Straßenverkehr auf den Punkt: „Das System ist verkehrt und voller Gewalt“. Es herrsche die „Unterwerfung unters Auto“ und ein „Steinzeitrecht des Stärkeren“.

„Stark überschätzt“: Fahrradfahren bringt mehr Schaden als Entlastung, findet der radikale Fußgänger

Wenn über „den Verkehr“ gesprochen wird, so Stimpel, hieße das in der Regel: „die Autos“. Aber auch Fahrräder hätten hässliche Eigenschaften. Räder, so schreibt er in seinem gerade erschienen Buch „Wer langsam macht, kommt eher an: Verkehr abrüsten - Mobilität gewinnen“, seien „genial, aber stark überschätzt“. Diese seien oft „nicht sozial“, bescherten uns mehr Schäden als Entlastung und seien ein „Pseudoausweg“. Stein des Anstoßes sind für ihn vor allem die neuen Radwegenetze durch Parks, Fußgängerzonen, und Plätze. Es sei das Gegenteil von Verkehrswende, ausgerechnet den Raum und die Sicherheit der größten und umweltfreundlichsten Gruppe auf den Straßen zu beschneiden. 

Roland Stimpel, die „Stimme der Fußgänger“ vor einem Radfahrer, einem Fußgänger und einem E-Scooter-Fahrer
„Die Stimme der Fußgänger“: Roland Stimpel findet, alle Verkehrsteilnehmer sollten 22,5 km/h schnell fahren. (kreiszeitung.de-Montage) © Clo Catalan/Paul Zinken/dpa

Forderungen für mehr Fußgänger-Sicherheit: Hohe Geldbußen für Gehwegradler und Fahrradverbote

Wie E-Scooter, so der Fußgängerlobbyist, dringen Fahrräder in Fußgänger-Räume ein, die vom Autoverkehr verschont sind – Gehwege, Grünanlagen, Wald und Freizeitflächen. Dasselbe gilt natürlich auch für E-Bikes, die teilweise mit Karacho durch Naturschutzgebiete rasen.

Statt Fahrradfahrer über das Gesetz zu stellen, wie es der Gemeinde Weyhe vorgeworfen wird*,fordert er höhere Geldbußen für Gehwegradler, nämlich „mindestens 55 Euro“. Es sei das Gegenteil von Verkehrswende, den Raum und die Sicherheit der größten und umweltfreundlichsten Gruppe, die Fußgänger, auf den Straßen zu beschneiden.

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Fußgänger-Interessenvertreter wettert: E-Scooter sind Mobilitätsvernichter

Fußgänger litten ohnehin in letzter Zeit massiv unter den E-Scootern*, die sich im Stadtbild in den letzten zwei Jahren breitgemacht hätten – und Gehwege zu Parkräumen, Abstellräumen und Unfallräumen entwerten. In Hamburg gellten für E-Roller endlich neue Regeln*: „Man kann da ja mit dem Rollstuhl, wenn man da vorbei will und es zu eng ist, nichts tun. Blinde sind besonders gefährdet, die können mit ihren Stöcken die Geräte nicht richtig erfassen. Wir wissen schon von mehreren schweren Unfällen mit Beinbrüchen und so weiter. Das heißt, diese Verleih-Elektroroller sind nicht Mobilitätsförderer, sie sind für viele Menschen Mobilitätsvernichter“ so Stimpel gegenüber dem „Deutschlandfunk“.

„Beim Fahren herrscht totale Anarchie. Es wird jede Regel gebrochen, die es zum Fahren gibt ... man sieht auch Väter mit ihren fünfjährigen Jungen. Da wird mir immer ganz anders und ich denke: Muss ich jetzt das Jugendamt anrufen, wegen Gefährdung des Kindeswohls?“

„Pseudoausweg“ – Fußgängerlobbyist wettert gegen E-Autos und fordert „Schlankmobile“

Doch auch Elektroautos, für die der Strom deutlich teurer wird, bleiben von Stimpels scharfer Kritik nicht verschont. Sie seien zu schwer, zu schnell, und alter Wein in neuen Schläuchen: „Die Diskussion über E-Autos kommt mir so vor, als hätte Ende des 19. Jahrhunderts der deutsche Reichsverband der Pferdekutscher gesagt: Wir wechseln die Futtersorte, dann wird alles gut, weil der Dung besser riecht! Doch es reicht nicht aus, die Antriebsart der Autos auszuwechseln“, wettert er gegenüber der „Berliner Zeitung“. Wenn Fortbewegung, dann langsamer und schlanker, denn: „Auto – das ist: Hülle, Motor und bei rund 90 Prozent der Fahrten sitzt nur ein Mensch drin, dafür reicht ein Fünftel eines SUV“. Er fordert darum einen neuen Autotyp: das Schlankmobil. 

Die Lösung: Zebrastreifen, „schlechtere“ Straßen, Tempo 25 km/h

Weitere Wege, den Verkehr generell zu verlangsamen und Fußgängern mehr Raum zu geben sei es, möglichst viele Ampeln durch Zebrastreifen zu ersetzen, „physische Entschleunigungsanreize“, also „schlechtere“ Straßen mit schmaleren, kurvigen, weniger glatten Fahrbahnen zu schaffen und ein konsequentes Tempolimit von 25 km/h in den Städten einzuführen: „Nach alldem, was wir wissen, hat eine Straße die größte Leistungsfähigkeit, wenn alle 22,5 Kilometer pro Stunde fahren.“

Auch wenn es leicht fallen mag, die Utopien des Berliner Stadtplaners zu belächeln. Am Ende sind wir doch alle irgendwie Fußgänger: 41 Prozent der über 14-Jährigen sind laut Studie „Mobilität in Deutschland“ fast täglich zu Fuß unterwegs und 83 Prozent sind es sogar gerne. Darüber hinaus bleibt Stimpel bei allen radikalen Forderungen auch symphatisch realistisch: „Wenn man etwas vorschlägt, müssen Umsetzbarkeit und Akzeptanz nicht an erster Stelle stehen. Ich erwarte nicht bis übermorgen eine Mehrheit“, erklärt er der „Berliner Zeitung“. * kreiszeitung.de und 24hamburg.de sind ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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