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Hasbergen - Von Elmar Stephan. Freiwillige aus aller Welt haben in einem kleinen Waldstück bei Osnabrück Spuren eines früheren Gestapo-Arbeitserziehungslagers freigelegt. Die archäologische Erkundung der Nazi-Vergangenheit ist wissenschaftlich noch Neuland.
Iwan Worontsow legt den Besen weg, klettert aus dem Graben und trinkt einen Schluck Wasser. Es ist heiß in diesem kleinen Waldstück in der hügeligen Landschaft zwischen Osnabrück und Georgsmarienhütte. Der 57-Jährige Russe wischt sich den Schweiß von der Stirn ab. Zusammen mit 14 anderen Freiwilligen hat er in den vergangenen Tagen die Grundmauern eines längst abgerissenen Gebäudes freigelegt. Das Haus grenzte an den Augustaschacht, einem Arbeitserziehungslager der Nazis. „Mein Großvater ist 1942 in deutscher Kriegsgefangenschaft gestorben“, sagt der Sportlehrer aus Nischni Nowgorod. Seine Sommerferien nutzt er dazu, um zu erfahren, wie die Deutschen mit ihrer NS-Vergangenheit umgehen.
„Die archäologische Erforschung von Gedenkstätten ist noch Neuland“, sagt André Schmalkuche von der Osnabrücker Stadt- und Kreisarchäologie. Die Nazi-Gräuel liegen erst kurz zurück - rund 70 Jahre. Dennoch sei in den meisten Fällen im buchstäblichen Sinn Gras über die Lager gewachsen.
Wie etwa hier am Augustaschacht in Hasbergen bei Osnabrück. Im 19. Jahrhundert war der Gebäudekomplex eine Pumpstation für das nahe gelegene Stahlwerk und den Erz-Tagebau. Unter den Nazis wurde es zunächst zu einem Kriegsgefangenenlager, dann zu dem Erziehungslager der Geheimen Staatspolizei. Zwischen Januar 1944 und April 1945 waren dort mehr als 2000 Jugendliche aus 17 Ländern inhaftiert. Daneben habe es aber auch noch erwachsene Gefangene gegeben, sagt Gedenkstätten-Leiter Michael Gander.
„Damals stand hier kein Baum“, sagt Schmalkuche und zieht eine alte Luftaufnahme der Alliierten aus einer Mappe. Das große Schachtgebäude, die Werkbahnlinie des Stahlwerks und das nur wenige Meter entfernt liegende Nebengebäude standen auf freiem Feld. In den vergangenen Jahrzehnten wuchs ein Wald - heute sieht die Landschaft komplett anders aus. Auch Wege wurden neu angelegt. Es war nur mit der Arbeit von freiwilligen Grabungshelfern vor einigen Jahren möglich, das frühere Eingangstor zu bestimmen, erzählt Gander.
Die Geschichte des Augustaschachts liege zwar erst relativ kurz zurück, dennoch sei sie aus wissenschaftlicher Sicht schwerer zu erforschen, sagt Schmalkuche. Die Erforschung mittelalterlicher oder antiker Fundstellen sei oft einfacher. „Wenn ich eine Scherbe aus dem Mittelalter finde, kann ich sie mit ähnlichen Fundstücken in der Literatur vergleichen und sie bestimmen. Diese Hilfsmittel habe ich hier nicht.“
Gefunden wurde etwa Kinderspielzeug - Murmeln aus Ton. Das Gebäude, das er derzeit ausgräbt, beherbergte ursprünglich das Kesselhaus für die Pumpstation. In der NS-Zeit wohnten laut Gander darin einheimische Familien, die für das Stahlwerk arbeiteten. Nach dem Krieg wurde es wie das eigentliche Lagergebäude selber von Flüchtlingsfamilien bis weit in die 1960er Jahre bewohnt.
Dass die archäologische Arbeit gerade bei Gedenkstätten unter der Mithilfe von jungen Leuten in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat, sei auch bei der Stiftung Niedersächsischer Gedenkstätten erkannt worden, sagt Stiftungs-Archäologin Juliane Hummel. „Das ist relativ neu.“ Für den Oktober plane sie in Hannover einen Workshop zu dem Thema, der Pädagogen, Historiker und Denkmalpfleger zunächst einmal zusammenbringen solle.
Internationales Workcamp Gedenkstätte




Seit fünf Jahren nutze die Gedenkstätte in den Sommermonaten die Hilfe von Freiwilligen, sagt Michael Gander. Dieses am Samstag zu Ende gehende sogenannte Workcamp sei bereits das 16. gewesen, mit Teilnehmern aus Russland, Japan, Taiwan, Italien, Spanien, Kirgistan, Moldawien und Deutschland im Alter von 18 bis 27 Jahren. „Für die Teilnehmer ist die Arbeit in diesen Workcamps ein Erkenntnisgewinn. Es ist politische Bildungsarbeit.“
Der diesjährige Tag des offenen Denkmals am 8. September ist übrigens Relikten aus der NS-Zeit gewidmet. Unter dem Motto „Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale“ erinnern 21 Gedenkstätten in Bremen und Niedersachsen an die Zeit der Nationalsozialisten - darunter auch der Augustaschacht.
dpa