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Rechtsrock und braune Gewalt: Auch im Norden ist die Szene aktiv

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Eingetaucht in die erschreckende Welt des Rechtsrock: Szenen aus „Blut muss fließen“.

Hannover - Von Michael Krüger. Die Tür bleibt nicht für alle verschlossen. Der Hass ist zugänglich. Neonazi-Konzerte und rechte Umtriebe sind entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur im Osten oder womöglich noch in Bayern anzusiedeln. Auch Niedersachsen ist betroffen. Unternommen wird wenig.

„Anscheinend sehen und hören wir mehr als die Behörden“, sagt Filmproduzent Peter Ohldendorf. Sein Film „Blut muss fließen“ klärt auf und erschreckt nicht weniger.

Sieben vom Verfassungsschutz registrierte Neonazi-Konzerte im vergangenen Jahr, drei durch Behörden und bürgerlichen Widerstand verhinderte Veranstaltungen, rund 800 Besucher: Das ist die Bilanz in Niedersachsen für das vergangene Jahr. Kaum der Rede wert? „Der Verfassungsschutzbericht bildet nur die Spitze des Eisberges ab“, ist Michael Neu von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Braunschweig überzeugt. Auch Pia Zimmermann, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, sagt: „Wir gehen von weitaus mehr Nazikonzerten aus, da sie meist konspirativ geplant und organisiert werden. Außerdem sind die niedersächsischen Sicherheitsbehörden für diese Veranstaltungen nicht ausreichend sensibilisiert.“ Im Jahr 2012 fanden in Niedersachsen bislang zwei Konzerte der Bremer Hooligan-Band „Kategorie C“ in Delmenhorst und Jeversen (Kreis Celle) statt. „Die Zahlen bleiben im Bundesvergleich auf einem niedrigen Niveau“, sagt die Sprecherin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger.

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„Blut muss fließen“ ist der Titel der Dokumentation, mit der Filmproduzent Peter Ohldendorf in diesen Tagen auch durch Niedersachsen reist. Über acht Jahre hinweg hat sich ein mit ihm befreundeter Journalist mit versteckter Kamera unter die Neonazis gemischt, 50 Konzerte in acht Ländern Europas besucht. Ohldendorf selbst stieg später mit ein, übernahm die Kosten für das Projekt, das bis heute trotz seiner „europaweit einzigartigen Bilder“ und den bisher nicht gekannten Einblicken in die Szene keinen Sender oder Verleih als Abnehmer gefunden hat. Es bleiben derzeit: 200 000 Euro Schulden, Morddrohungen gegen die Filmemacher und bedrückende Bilder. „Ich musste diesen Film machen, selbst wenn es mein letzter sein wird“, sagt Ohlendorf, während er in Hannover mit Berufsschülern über richtiges Verhalten gegen rechte Gewalt diskutiert. „Ich hatte so etwas im Hier und Jetzt einfach nicht mehr für möglich gehalten.“

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Das Hier und Jetzt ist auch in Niedersachsen trotz der Kritik an untätigen Behörden offensichtlich. Michael Neu: „Rechtsradikale Gewalt ist auch ein norddeutsches Thema. In Schaumburg und in Hannover gibt es starke Strukturen mit bundesweiter Vernetzung.“ Immer mehr in den bundesweiten Fokus rückt Niedersachsen zudem mit dem Jahr für Jahr stärker besuchten Neonazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf. Die Veranstaltung könne langfristig der Gedenkveranstaltung für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß in Bayern den Rang ablaufen, heißt es im niedersächsischen Verfassungsschutzbericht. Regionale Schwerpunkte der Neonazis im Norden sind zudem in Tostedt und Schneverdingen auszumachen. Fünf Bands aus Niedersachsen werden zu den Rechtsrock-Szene-Größen gezählt: „Gigi/Stahlgewitter“ aus Meppen, „Nordfront“ und „Terroritorium“ aus Hannover, „Bunker 16“ aus Syke und „Alte Schule“ aus Schneverdingen. „Jede Band für sich ist eine zu viel“, sagt Verfassungsschutz-Sprecherin Brandenburger.

Hitlergrüße, Aufrufe zu Mord und Terrorismus: Thomas Kuban, wie sich der verdeckt ermittelnde Journalist im Film nennt, hat nach eigener Aussage kein konspirativ organisiertes Nazi-Konzert erlebt, bei dem es nicht zu Straftaten gekommen wäre. Der Verfassungsschutz wisse entsetzlich wenig, sagt er. Die Behördensprecherin widerspricht: „Wir beobachten das Themenfeld seit 15 Jahren intensiv“, sagt Brandenburger. „Da, wo die Behörden eingreifen können, tun sie es auch.“ Allerdings seien der Polizei gewisse rechtsstaatliche Grenzen gesetzt, um Konzerte abzubrechen oder zu verhindern. Ein Beispiel sei die Bremer Band „Kategorie C“, die zwar in der rechtsextremen Szene viele Anhänger hat, in ihren Liedern aber meist nur mit gewaltverherrlichenden Hooligan-Slogans spiele. Für das Oberverwaltungsgericht Bremen trotzdem Grund genug, ein Konzert in der Hansestadt im November zu verbieten. Die vereinende Wirkung der Hass-Musik scheint damit gerichtlich bewiesen: „Der Wirkungsgrad der Musik geht über die rechtsextreme Szene hinaus“, sagt die Verfassungsschützerin. Eine Einstiegsdroge in die Szene.

Im Film „Blut muss fließen“ sind Szenen von hasserfüllten Konzerten zu sehen, aber auch das Desinteresse von Polizei, Behörden und Bürgern. Was erschreckender ist, muss der Zuschauer selbst entscheiden.

http://www.filmfaktum.de

Kommentar von Michael Krüger

Schafft Öffentlichkeit

Heimlichtuerei hat etwas Verlockendes, das wissen wir alle aus unserer Jugend. Dass konspirativ organisierte Rechtsrock-Konzerte jedoch keine Kinderspiele sind, machen die Bilder aus dem Film „Blut muss fließen“ deutlich. Es ist nur Zufall, dass der sich unter die feiernden Neonazis mischende Journalist keine Veranstaltungen in Niedersachsen besucht – und hat nichts damit zu tun, dass es das Problem hier nicht gäbe.

Was im Osten oder in Bayern passiert, ist in der vernetzten Szene auch jederzeit im Norden möglich. Mit der Musik kommt das Neonazi-Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft an. Beim NPD-Familienfest lernt die Jugend Parolen zu grölen und üben die Kleinsten Fackeln zu tragen. Das NPD-Parteiverbot ist auch aus diesem Grunde überfällig: Es würde der Szene eine wichtige Grundlage entziehen, neonazistische Veranstaltungen im großen Stil organisieren zu dürfen und dem großen Publikum zugänglich zu machen. Jenseits der Dunkelziffer sind rund zehn Neonazi-Konzerte in Niedersachsen in einem Jahr schon zehn zu viel. Zehn Konzerte mit menschenverachtenden Texten sind der Appell an Gastwirte, genauer hinzuschauen, an wen sie ihre Räume vermieten.

Es ist auch der Aufruf an den mündigen Bürger, sich zu engagieren und nicht tatenlos zu bleiben. Wenig scheuen die Rechtsradikalen mehr als Öffentlichkeit, und darum ist es sinnvoller, Nachbarn zu informieren als den Helden zu spielen. Rechtsrock darf in unserer Gesellschaft nicht unterschätzt, verharmlost oder auch nur geduldet werden: Die Meinungsfreiheit deckt keinen Aufruf zu Mord und Gewalt.

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