Trotz niedriger Hospitalisierungsrate: Bremen und Niedersachsen drohen Krankenhaus-Engpässe
Mediziner warnen: „Das deutsche Gesundheitssystem steuert auf eine Katastrophe zu“. Wieso sich Krankenhäuser in Niedersachsen bereits Sorgen machen, obwohl die Corona-Zahlen im bundesweiten Vergleich niedrig sind.
Bremen/Hannover – Während die Inzidenzwerte bundesweit steigen, sind die Hospitalisierungsraten in Bremen und Niedersachsen vergleichsweise niedrig. Dennoch sind in Bremern bereits knapp 98 Prozent der Intensivbetten für Erwachsene belegt. In Niedersachsen sind es etwa 87 Prozent. Das geht aus der Ländertabelle des Intensivregisters vom Robert-Koch-Institut (RKI) hervor.
Corona-Fälle im Krankenhaus | beatmet | Belegte Intensivbetten | Freie Intensivbetten | Notfall-Betten | |
Bremen | 20 | 15 | 178 | 4 | 115 |
Hamburg | 51 | 27 | 445 | 59 | 307 |
Niedersachsen | 155 | 83 | 1.597 | 229 | 996 |
Schleswig-Holstein | 27 | 18 | 589 | 136 | 471 |
„Das deutsche Gesundheitssystem steuert auf eine Katastrophe zu“, warnen der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) angesichts der vierten Corona-Welle. In dem am Mittwoch veröffentlichten Brief fordern sie wirksame Schritte zur Pandemie-Eindämmung, um noch eine realistische Chance zu wahren, die Intensivmedizin, aber auch andere Bereiche der Gesundheitsversorgung vor einem Kollaps zu bewahren.
Intensivbetten: Krankenhäuser erwarten mehr Corona-Patienten
Doch ist die Not angesichts der niedrigen Hospitalisierungsrate in Bremen und umzu gerechtfertigt? „Die Versorgung mit Intensivkapazitäten in Niedersachsen ist gegenwärtig und absehbar gewährleistet“, stellt Piet Schucht, Sprecher der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG), klar. „Die Krankenhäuser in Niedersachsen rechnen aufgrund der hohen und aktuell schnell steigenden Zahl an Infizierten jedoch mit einer deutlich zunehmenden Belastung.“

Erfahrungsgemäß folgten sowohl die Hospitalisierungsrate sowie die Auslastung der Intensivkapazitäten dem Infektionsgeschehen mit zeitlichem Verzug. „Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Entwicklung ist daher zu erwarten, dass Kliniken in Niedersachsen in absehbarer Zeit wieder geplante Eingriffe verschieben müssen, um zusätzliche personelle Ressourcen für die Covid-19-Versorgung freizumachen“, so Schucht.
Charité erwartet täglich 350 bis 400 Corona-Patienten auf Intensivstationen
In Bayern, wo der Inzidenzwert bei 568,4 liegt, ist die Lage schon deutlich angespannter: Bei weiter steigenden Zahlen könne die Versorgung der Patienten vor Ort nicht mehr gewährleisten werden. Das bedeute, dass sie unter Umständen weiter fahren müssten, um eine Klinik zu finden, in der sie behandelt werden können. Zudem müssten planbare Eingriffe verschoben werden. „Und da sprechen wir auch über Krebsoperationen, die man schon mal ein paar Tage oder notfalls auch Wochen verschieben kann - aber sicher nicht für Monate“, sagt Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft gegenüber Merkur.de*.

Heyo Kroemer, Vorstand des Berliner Charité, rechnet in den kommenden Wochen mit einem deutlichen Zuwachs der Corona-Patienten auf deutschen Intensivstationen. „Wir haben in der letzten Woche gemeinsam Tage erlebt, wo sich 50.000 Menschen am Tag infiziert haben beziehungsweise als infiziert detektiert wurden“, sagte er am Dienstag in Berlin. „Wir gehen heute davon aus, dass von diesen 50.000 Infizierten (...) etwa 0,8 Prozent intensivpflichtig werden.“ Das bedeute, dass in rund drei Wochen täglich ungefähr 350 bis 400 Corona-Patienten neu auf die Intensivstationen zu erwarten sind.
Intensivstation: Pflegepersonal ist Mangelware
Verschärft wird die Situation durch mangelndes Pflegepersonal: „Die Versorgung insbesondere der Covid-19-Intensivpatienten bindet in den Krankenhäusern erhebliche personelle Kapazitäten“, sagt der Sprecher der NKG. Somit könnten viele Kliniken ihre Intensivkapazitäten nicht vollumfänglich betreiben. „Gründe hierfür sind vermehrte Kündigungen, Arbeitszeitverkürzungen und interne Stellenwechsel in den vergangenen 20 Monaten. Ursache dafür sind die anhaltenden Belastungen des Personals durch die Corona-Pandemie“, so Schucht.
Auch der Geschäftsführer des landeseigenen Klinikkonzerns Vivantes, Johannes Danckert, bestätigt die Situation: Viele Ärzte und Pflegekräfte arbeiteten schon jetzt am Limit. Auf den Stationen herrsche „eine gewisse Frustration“: Die Beschäftigten könnten den Widerstand gegen Impfungen nicht verstehen und auch nicht, warum manche Menschen keine Maske tragen. Sie beklagten einen „egoistischen Umgang mit dem Leben anderer“.
„In Anbetracht der sich aufbauenden massiven vierten Corona-Welle müssen die Krankenhäuser von der Politik in die Lage versetzt werden, alle verfügbaren Ressourcen auf die Pandemiebewältigung zu konzentrieren“, fordert Hans-Heinrich Aldag, Vorsitzender der NKG. „Die Weichen hierfür sind schnellstmöglich zu stellen. Nur so kann die maximale Leistungsfähigkeit der Kliniken sichergestellt werden.“
Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft fordert Unterstützung von der Politik
Zum einen fordert die NKG sämtliche Sanktionsregelungen hinsichtlich der Pflegepersonaluntergrenzen sofort auszusetzen, andernfalls bestehe die Gefahr, dass Kliniken für ihr Engagement in der Behandlung von zusätzlichen Covid-19-Patientinnen und Patienten auch noch finanziell bestraft würden.
Zudem sei es erforderlich, dass für alle Krankenhäuser – analog zur zweiten Corona-Welle – erneut ein finanzieller Rettungsschirm zur Verfügung gestellt würde. Durch die Verschiebung von planbaren Eingriffen, um ausreichend Kapazitäten zur Behandlung von Covid-19-Patientinnen und Patienten bereitzuhalten, müssten damit verbundene Liquiditäts- und Erlöseinbrüche kompensiert werden.
Derzeit sind laut Divi-Intensivregister bundesweit 19.811 Intensivbetten belegt und 2.369 frei. Hinzu kommt eine Notfallreserve von 9.498 Intensivbetten. * kreiszeitung.de und merkur.de sind Angebote von IPPEN.MEDIA.