Heidewerk-Beschäftigte fordern mehr Geld

„Es wird schon eng, wenn ich sehe, wie viel ich für meine Arbeit erhalte“, sagt der Vorsitzende des Werkstattrates bei Heidewerk, Jan Christopher Kaiser. Noch nicht einmal 225 Euro erhält der 30-jährige Walsroder für seine Tätigkeit in den ehemaligen Heide-Werkstätten. „Viel anfangen kannst du damit nicht.“ Und so geht es den anderen 680 Beschäftigten mit Beeinträchtigungen in den insgesamt elf Betriebsstätten des Heidewerks in Walsrode, Soltau und Munster auch.
Walsrode/Soltau – „Klar, dass wir uns über eine kleine Erhöhung freuen würden“, für die bis zu 40 Stunden wöchentlicher Arbeit. „Noch hat die Politik nicht reagiert“, sagt auch Pressesprecherin Julia Delfs.
Henning Stöckmann aus Südkampen kam einmal als Metallbauer in die Werkstätten, seit 22 Jahren ist er dabei und bildete sich fort. Heute bertreut er Menschen wie Jan Christopher Kaiser und ist eine Art Vertrauensmann für alle Beschäftigten. Er gibt wichtige Lebenstipps für sie oder hilft zum Beispiel beim Ausfüllen von Formularen. Und hat zu dem siebenköpfigen Werkstattrat einen ganz besonderen Draht.
Stöckmann kennt die Probleme der Beschäftigen, weiß, dass die Bezahlung sehr zurückhaltend ist. „Weil es die Politik zurzeit noch nicht geändert hat“, sagt er. Auch Heidewerk im Heidekreis fordert wie viele andere Werkstätten in Deutschland eine deutliche Verbesserung der Einkünfte dieser Menschen. „Denn sie leisten einfach gute zuverlässige Arbeit. Wir sind mit ihnen sehr zufrieden“, lautet die Begründung.
Ohne staatliche Grundunterstützung würde das Geld nicht reichen
Es gibt erste, kaum wahrnehmbare Schritte zu einer finanziellen Verbesserung für die Beschäftigen von Werkstätten bundesweit. Politiker scheinen das Problem entdeckt zu haben. Sozialverbände auch. Jürgen Hestermann, Kreisvorsitzender des SoVD: „Grundsätzlich bin ich für eine Reform der Erhöhung, aber nicht nur auf dem Papier. Es sollte sichergestellt werden, dass es den Betroffenen nicht an anderer Stelle wieder abgezogen wird.“
Bei der Heidewerkstatt selbst wird nur leise über das bedrückende Thema gesprochen. Zurückhaltend. Jan-Christopher Kaiser, der sich nebenbei in vielen sozialen Gremien engagiert und auch in den Kreistag gewählt wurde, hört immer wieder einmal tief in die Belegschaft hinein. „Ja, manchmal fragen sie, ob sie nicht etwas mehr Geld erhalten können, zumal die Miete und die Verpflegung auch noch von ihnen getragen werden müssen. Wäre da nicht eine gewisse staatliche Grundunterstützung, es würde nicht reichen.“
Aber es ist ruhig in Walsrode, Munster und Soltau. Und man freut sich auf den 22. April, auf den Tag der offenen Tür, der an allen Standorten von Heidewerk gefeiert werden soll. Mit einem riesigen Programm.
Der Unmut über die gesetzlich geregelte Bezahlung ist auch in Walsrode angekommen, sagt Pressesprecherin Julia Delfs gegenüber unserer Zeitung. Die Heide-Werkstätten zahlen ihren Beschäftigten ein gesetzlich geregeltes Arbeitsentgelt. Er setzt sich aus einem Arbeitsförderungsgeld (AFöG), einem Grundbetrag und einem leistungsangemessenen Steigerungsbetrag zusammen. Im Durchschnitt seien dies monatlich 225 Euro. Aufgrund des leistungsangemessenen Steigerungsbetrags variiert die Entgelthöhe von Beschäftigtem zu Beschäftigtem.
Es handele sich bei der Beschäftigung in Werkstätten aber auch nicht um Erwerbsarbeit, sondern um Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen, die voll erwerbsgemindert sind. Alles, was Werkstätten als Arbeitsergebnis erwirtschaften, kommt den Beschäftigten zugute. Über 70 Prozent der Arbeitsergebnisse werden direkt als Arbeitsentgelte an die Beschäftigten ausgezahlt. Der übrige Teil des Arbeitsergebnisses komme ihnen ebenfalls zugute, in Form von Ersatz- oder Modernisierungsinvestitionen oder als Rücklage, dank der das Arbeitsentgelt bei Ertragsschwankungen stabil gehalten werden kann.
„Wertschätzendes Entgeltsystem“ gefordert
Bei der Betrachtung der Einkommenssituation von Werkstattbeschäftigten müssten aber alle Bestandteile des individuellen Einkommens berücksichtigt werden. Hierzu zählen das Arbeitsentgelt, Sozialversicherungsbeiträge, Rentenansprüche und staatliche Transferleistungen wie die Grundsicherung, Wohngeld oder Kindergeld sowie weitere behinderungsbedingte Mehrbedarfe. Ein höheres Arbeitsentgelt oder Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld führten zur Minderung des ausgezahlten Grundsicherungsbetrages.
„Wir unterstützen die Reform der Entgeltsituation von Werkstattbeschäftigten, um ein wertschätzendes Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen, zu schaffen. Neben der Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Zusammensetzung des Arbeitsentgeltes ist es wichtig, dass die Beschäftigten einen Betrag erhalten, über den sie nach ihren Wünschen eigenständig und selbstbestimmt verfügen können“, heißt es aus den Werkstätten. Dies könne erreicht werden, indem die verschiedenen Bestandteile des Arbeitsentgeltes (derzeit Grundbetrag, Steigerungsbetrag und Arbeitsförderungsgeld) sowie alle weiteren individuellen Leistungen zum Lebensunterhalt zukünftig „wie aus einer Hand“ an die Beschäftigten ausbezahlt werden. Der Werkstattbeschäftigte müsste sich nicht mehr an unterschiedliche staatliche Stellen wenden, um ausreichend Geld zum Leben zu erhalten.
Zu der Reform gibt es zwei konkrete Vorschläge: Die Variante „Grundeinkommen für Werkstattbeschäftigte“ umfasst die Einführung einer neuen sozialen Leistung, die staatlich finanziert wird und deutlich oberhalb der bisherigen Grundsicherungsleistungen liegt. Werkstattbeschäftigte erhalten dieses Grundeinkommen pauschal und unabhängig von ihrer jeweiligen Arbeits- und Anwesenheitszeit in der Werkstatt. Zusätzlich wird allen Beschäftigten wie bisher ein Werkstattentgelt ausgezahlt, das von den Werkstätten selbst erwirtschaftet wird.
Alternativ zum „Grundeinkommen für Werkstattbeschäftigte“ haben die Werkstätten den Vorschlag „Arbeitnehmerstatus mit Teilhabeanspruch“ erarbeitet. Dieser sieht einen Arbeitnehmerstatus mit umfangreichen Schutzrechten und Nachteilsausgleichen sowie einen gesetzlichen Anspruch auf Mindestlohn für Werkstattbeschäftigte vor. Das zukünftige Einkommen der Werkstattbeschäftigten setzt sich aus einem Lohnkostenzuschuss und einem Beitrag aus dem Arbeitsverhältnis zusammen. mü