„Der Wolf gehört hier hin“: Nabu-Sprecherin hat keine Lust auf Emotions-Diskussion
Antje Oldenburg, Pressesprecherin des Nabu Heidekreis, freut sich über den Wolf in Niedersachsen. Sie wünscht sich weniger Emotionen und mehr Fakten im Diskurs.
Heidekreis – „Rotkäppchen lügt!“ Mit dieser plakativen Aussage startete der Naturschutzbund Deutschland e.V. (Nabu) vor genau zehn Jahren seinen Aktionstag zum Thema Wolf – der seitdem jedes Jahr am 30. April gefeiert wird. Inhaltlich ging es darum, mit den Ängsten und Mythen rund um den Speiseplan des Canis lupus aufzuräumen. Doch auch im Jahr 2023 sind der große, böse Wolf und seine Fressgewohnheiten wieder Teil einer hitzigen Debatte. Grund genug, zum bundesweiten Tag des Wolfes nochmal mit einer Expertin zu sprechen – über Fakten und Emotionen, Politik und Prävention
Wolf als Stabilisator des Ökosystems in Niedersachsen: „Schwieriger, es ins Wanken zu bringen“
Dr. Antje Oldenburg vom Nabu Heidekreis redet als Wolfsexpertin gerne über die vierbeinigen Raubtiere. Doch aktuell vergeht ihr etwas die Lust. Den Diskurs findet die Naturschützerin aus Ahlden nämlich „sehr unbefriedigend“: „Das findet alles auf seiner sehr emotionalen Pro-Contra-Schiene statt.“ Sie stellt dabei regelmäßig fest: „Es ist relativ wenig Basiswissen zum Wolf vorhanden.“

Fakt ist: „Der Wolf gehört hier hin, gehört hier ins Ökosystem rein.“ Dass der Canis lupus sich zur Jahrtausendwende nach 150 Jahren Abwesenheit wieder in den deutschen Wäldern angesiedelt hat, sei sehr positiv. „Umso vollständiger das System ist, desto schwieriger ist es, es ins Wanken zu bringen.“
„Gesundheitspolizei“ auf vier Beinen: Stoppt Krankheiten, reduziert Verbissschäden, hilft Pflanzenwachstum
Der Wolf übernimmt wichtige Aufgaben im heimischen Wald, wie Antje Oldenburg erklärt: Er reguliere die Bestände der Wildtiere – nicht nur in der Größenordnung. „Neben anderen Tieren, wie dem Fuchs, tritt der Wolf als Gesundheitspolizei auf. Er greift sich schwache und kranke Beute und stoppt so Ausbreitung von Krankheiten.“ Und auch die Gesundheit der anderen, wichtigen Lebewesen im Wald profitiert: „Es ist deutlich nachgewiesen, dass die Menge der Verbissschäden an den Bäumen deutlich reduziert wird.“

Ein weiterer Effekt ist die Schaffung neuer ökologischer Nischen für Organismen, die sich von zurückgelassenen Beuteresten ernähren. Neben den sogenannten „Nachnutzern“ wie Füchsen, Dachsen, Mardern, Wildschweinen und Krähenvögeln profitieren auch Heerscharen von zersetzenden Bakterien, Pilzen, Würmern, Milben, Käfern und Schnecken von den Überbleibseln, die im Verlauf des Abbauprozesses in Humus und in anorganische Stoffe umgewandelt werden, die wiederum die wichtige Grundlage für das Wachstum von Pflanzen bilden.
Die emotionale Seite der Wolfs-Debatte: Schock und Trauer bei Tierrissen
Doch wie gut sind Fakten und ökologische Weitsicht greifbar, wenn man gerade einen tierischen Begleiter verloren hat? Schafe aus einer Herde etwa. Oder das 30 Jahre alte Pony der Familie. „Die Emotionen, die Betroffenheit und wütende Reaktion kann ich voll verstehen. Überhaupt keine Frage“, stellt die 58-Jährige klar. Sie selbst hat es erlebt, den Schock und die Trauer, als Marder in das Freilaufgehege der Kaninchen ihrer Familie eindrangen. „Da kommen solche Emotionen ja völlig automatisch.“
Die Aussage kommt jedoch nicht ohne ein mittelschweres „Aber“ aus: „Eine Woche später musste ich mir eingestehen, dass ich den Stall einfach nicht gut genug geschützt hatte.“ Antje Oldenburg würde sich wünschen, dass Herdetierhalter nicht den gleichen Fehler wie sie machen und darüber nachdenken, wie sie ihre Tiere vor Gefahr schützen, bevor etwas passiert ist.
„Völlig irrsinnig“: Auch die Pro-Wolf-Fraktion sieht die Politik in der Pflicht
Sie sieht dabei jedoch nicht nur die Besitzer in der Pflicht, sondern vor allem die Politik. Die Fördergelder, insbesondere für die Materialkosten für präventive Maßnahmen wie Zäune, müssten dringend verbessert werden – „gerade für Halter von Kälbern, Rindern und Pferden“. Hier würde der Bedarf von der Politik zwar durchaus anerkannt, die Gelder jedoch erst ausgeschüttet, nachdem bereits etwas passiert ist: „Das ist doch völlig unsinnig“, ärgert sich die Naturschützerin.
Mehr Prävention, mehr Fakten, einen besseren Diskurs abseits von vagen Angstgefühlen, wünscht sich Antje Oldenburg also. Sie trägt noch die folgende Aussicht bei: „Wir sind in Niedersachsen jetzt mehr oder weniger voll mit Wölfen.“ Die guten Territorien seien vergeben, es sei mit keinem oder kaum noch Zuwachs an Tieren zu rechnen. Vor allem Ängste, dass die Küstengebiete zu Wolf-Hotspots werden könnten, kann sie nicht teilen: „Da wird es wahrscheinlich bei einzelnen Rudeln bleiben. Dafür gibt es dort zu wenige Rückzugsorte für die Tiere.“
Was wollen die Jäger? Nabu Heidekreis-Sprecherin wundert sich über Argumentation
Doch bei aller nüchternen Einordnung, bei allem Verständnis für die Wolfs-Gegner – so ganz ohne Kritik will Antje Oldenburg den Tag des Wolfes nicht verstreichen lassen. „Ich wundere mich etwas über die Argumentation der Jäger“, merkt sie an. „Früher hieß es: Die Beutegreifer sind weg, wir müssen jagen, um die Bestände zu regulieren. Jetzt ist ein wichtiger Beutegreifer wieder da – und jetzt wollen sie den bejagen.“
Sie fügt hinzu, dass auch Bejagung keine Garantien bringe: In Frankreich werde das praktiziert, die Zahl der Nutztierrisse sei aber trotzdem höher. Außerdem: umherziehende, hungrige Wanderwölfe wären wahrscheinlich erst auf dem Radar der Jäger, wenn es zu spät ist. „Prävention bleibt so oder so das A und O.“
Sie fordert von den Jägern schlüssigere Argumentationen und Begründungen. Denn: „Meiner Meinung nach gibt es keinen vernünftigen Grund, heimische Wölfe zu bejagen.“