Bus mit Klima-Aktivisten von Polizei gefilzt – Neubauer: „We call it Kriminalisierung“
Ein Bus mit rund 50 Klim-Aktivisten wurde auf dem Weg nach Lützerath von der Polizei Hamburg mehrere Stunden festgehalten. Grund war „Gefahrenabwehr“.
Hamburg – Gefährderansprache, Gepäckdurchsuchung, Aufnahme der persönlichen Daten samt Foto für die Polizeikartei: Ein Reisebus mit rund 50 Klima-Aktivisten, die am Sonntagmorgen von Hamburg ins rheinische Lützerath aufgebrochen waren, wurde vor dem Verlassen der Stadtgrenzen drei Stunden lang von der Polizei Hamburg aufgehalten und kontrolliert. Der Einsatz wird nun von Beteiligten und Gleichgesinnten stark kritisiert – auch Klimaschützerin Luisa Neubauer schaltet sich ein. Die Beamten stellten bei der Durchsuchung einige Gegenstände sicher.
Lützerath vor der Räumung: Reisebus mit Klima-Aktivisten in Hamburg auf den Kopf gestellt
Um kurz nach 5 Uhr, Sonntagmorgen, startete der Bus in Hamburg. Sein Ziel: das kleine Dorf Lützerath in Nordrhein-Westfalen. Dort wollen die Reiseteilnehmer an einem Protest-Spaziergang teilnehmen und so ein Zeichen setzen gegen die bevorstehende Abgrabung Lützeraths für den Kohleabbau. Schon wenige Meter nach der Abfahrt aber zog die Polizei den Bus allerdings aus dem Verkehr, um 5:14 Uhr betraten Beamte das Fahrzeug und richteten eine Ansprache an die Insassen.

Denn: Weil „militante Hamburger Gruppen“ an der Teilnahme der Lützerath-Fahrt aufgerufen hatten, sei davon auszugehen, „dass sich Insassen dieses Busses nach Lützerath begeben wollen, um sich dort […] an schweren Straftaten zu beteiligen.“ Zur „Gefahrenabwehr“ sei dementsprechend eine Durchsuchung des Fahrzeuges und Gepäcks sowie die Feststellung der Personalien aller Insassen erforderlich – „notfalls auch unter Anwendung unmittelbaren Zwangs“, sollten die Papiere nicht bereitwillig vorgezeigt werden.
Ein kurzer Mitschnitt wurde auf Twitter veröffentlicht:
Klima-Aktivisten auf dem Weg nach Lützerath: Dutzende Beamte und drei Stunden Einsatz
Insassen berichten davon, dass eine Vielzahl von Beamten zum Einsatz kam: „Mindestens 14“ Einsatzwagen seien auf dem Parkplatz zu zählen, dokumentiert eine Aktivistin auf Twitter. Zum Schluss stand die Polizei Hamburg nicht nur mit Fotos, Video und Personalien von Bürgern, da, sondern auch mit etwas Sekundenkleber und einer Kletterausrüstung, die sichergestellt wurden. Für Ersteres sind die Beamten nach einer steigenden Anzahl von „Klima-Klebern“ sicher sensibilisiert – groß dürfte die Gefahr, die vom Sekundenkleber ausgeht, jedoch nicht sein, wenn man bedenkt, dass derlei Klimaproteste zuletzt schon an nassen Straßen gescheitert sind.
Trotz des hohen Polizeiaufkommens und kooperierenden Insassen dauert der Einsatz rund drei Stunden – erst um kurz nach 8:00 Uhr geht die Fahrt weiter. Einige der Reiseteilnehmer fehlen dann: Weil die anvisierte Teilnahme am Dorfspaziergang in Lützerath nicht mehr pünktlich zu schaffen ist, verzichten sie auf eine Weiterreise. Die Länge und das Ausmaß der Kontrolle führen anschließend zu massiver Kritik und Fragen nach der Verhältnismäßigkeit.
„Drei Stunden wie eine Verbrecherin behandelt“: Organisatorin ist schockiert – Luisa Neubauer auch
Die Fahrt organisiert hatte die Hamburger Autorin Katja Diehl, die sich seit Jahren im Rahmen ihrer Kernkompetenz, der Mobilitätswende, öffentlich und lautstark mit dem Klimaschutz auseinandersetzt. Sie dokumentierte Teile des Einsatzes auf Twitter und zeigte sich entsetzt darüber, „drei Stunden lang wie eine Verbrecherin behandelt“ worden zu sein. Auch an der Busfahrt teilnehmende Mitglieder der Hamburger „Parents for Future“-Gruppe waren im Anschluss verstimmt:
Warum werden Menschen, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder machen und für deren Lebensgrundlagen demonstrieren wollen, an ihrem Versammlungsrecht gehindert?
Schützenhilfe gab es dann auch von Deutschlands wohl prominentesten Klima-Aktivistin: Die zu dem Zeitpunkt bereits in Lützerath weilende Luisa Neubauer, Gesicht der „Fridays for Future“-Bewegung, solidarisierte sich. Sie unterstellte den handelnden Personen, die „klimabewegte Zivilgesellschaft“ zu kriminalisieren.
Hamburger Linke sehen „unentschuldbaren Versuch der Kriminalisierung“ – Grüne versprechen Aufklärung
In Teilen der Hamburger Politik wird diese Einschätzung geteilt. Der umweltpolitische Sprecher der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Stephan Jersch, beklagte gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk (NDR), der Einsatz sei „ein unentschuldbarer Versuch der Kriminalisierung von Menschen, die sich für den Klimaschutz einsetzen“.
Doch nicht nur in der Opposition stieß das Vorgehen der Beamten auf hochgezogene Augenbrauen – auch bei den Grünen, die gemeinsam mit der SPD im Parlament die Mehrheit halten. So kündigte Jenny Jasberg, Fraktionsvorsitzende der Hamburger Grünen, Aufklärungsarbeit an: „Dieser Einsatz wirft Fragen auf, die wir klären werden“, versprach sie auf Twitter.
Mattias Fischer, Professor für Öffentliches Recht an der Polizeihochschule Hessen, ist zwar der Meinung, dass die Klima-Aktivistinnen und Aktivisten „keine Schwerverbrecher“ seien – es gehe ihnen schließlich nicht um die Abschaffung der grundgesetzlichen Ordnung. Doch ändere das ihm zufolge nichts daran, dass es leichte Rechtsverstöße seien, wenn man den Verkehr behindere oder Hausfriedensbruch wie in Lützerath begehe. Er tut sich deswegen schwer damit, pauschal zu sagen, dass die Polizei überreagiert.
Verwirrung um Videoaufnahmen: Polizei Hamburg hat keine Informationen zum Einsatz der Kameras
Das aus wenigen Häusern bestehende Dorf Lützerath in der Nähe von Erkelenz ist aktuell Schauplatz öffentlichkeitswirksamen Widerstandes gegen klimaschädliche Umweltpolitik. Der Energieversorgungskonzern RWE plant, die Siedlung abzureißen, um die unter der Erde befindliche Kohle abzubauen. Weil das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen die Räumungsarbeiten für den Januar 2023 angekündigt hatte, besetzen und blockieren nun Klima-Aktivisten die Häuser.
Ob die nordischen Ausläufer dieser hitzigen Klima-Auseinandersetzung im Rheinland jetzt noch Folgen haben, wird wohl nicht nur die Politik klären. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel erklärte Organisatorin Katja Diehl, einen Anwalt eingeschaltet zu haben, der prüfen solle, „ob die Maßnahme der Polizei verhältnismäßig war“.
Verwirrung gab es zudem darum, welche Daten die Polizei Hamburg bei dem Einsatz sammelte: Insassen berichteten davon, dass die Beamten sowohl zum Beginn des Einsatzes die Verwendung von Videomaterial ankündigten als auch bei der Feststellung der Identitäten einzelne Personen filmten. Laut einer Spiegel-Anfrage lagen der Polizei Hamburg später dazu aber „keine Informationen“ vor.