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Wie eine Kirchweyherin sich nach ihrer Querschnittlähmung zurück ins Leben gearbeitet hat

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Von: Dierck Wittenberg

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Rollstuhlgerecht: Anita Friedl ist seit 2021 querschnittgelähmt. In ihren eigenen Garten führt nun eine Rampe an der Terrassentür. Als Mitglied des Behindertenbeirats setzt Friedl sich dafür ein, Barrieren abzubauen.
Rollstuhlgerecht: Anita Friedl ist seit 2021 querschnittgelähmt. In ihren eigenen Garten führt nun eine Rampe an der Terrassentür. Als Mitglied des Behindertenbeirats setzt Friedl sich dafür ein, Barrieren abzubauen. © Wittenberg

Nach einem Infarkt im Rückenmark hat sich Anita Friedl aus Kirchweyhe an ein Leben im Rollstuhl gewöhnen müssen. Heute setzt sie sich im Behindertenbeirat für Teilhabe ein.

Kirchweyhe – Inzwischen traut sie sich, „Moin“ zur Begrüßung zu sagen. Erst vor gut zwei Jahren waren Anita Friedl und ihr Mann Harald aus dem Badischen nach Kirchweyhe gezogen. Sie wollte wieder näher bei ihrer Tochter sein, und die Pensionierung bot dafür die Gelegenheit. Ein Umzug in den Norden, der Eintritt in den Ruhestand – das sind Umstellungen.

Aber darüber hinaus hat Anita Friedl in dieser Zeit gelernt, mit einer Querschnittlähmung zu leben. Seit vergangenem Jahr ist sie zudem in Weyhes Behindertenbeirat aktiv.

Nach der Quernschnittlähmung „wie aus dem Leben gekickt“

Im Rückblick auf die Lähmung spricht Friedl von einer „Grenzerfahrung, die man sich nicht vorstellen kann“. Und die ohne Vorwarnung über sie gekommen war. „Man fühlt sich wie aus dem Leben gekickt.“

Begonnen hatte es an einem Abend im Mai 2021 mit Schmerzen im Oberkörper. Die Ärzte suchten anfangs vergeblich nach der Ursache. Wie sich herausstellen sollte, hatte ein Blutgerinnsel einen spinalen Schock ausgelöst, einen Infarkt im Rückenmark.

Sie hat auch Glück gehabt, sagt Rollstuhlfahrerin Anita Friedl

„Ich hatte auch Glück“, sagt Anita Friedl über die Entscheidung der Ärzte, sie vom Klinikum Bremen-Ost in das Querschnittgelähmten-Zentrum in Hamburg zu verlegen. Das ist ein Satz, den Friedl im Gespräch mehr als einmal benutzt: dass sie auch Glück hatte. Zum Beispiel mit ihrer Physiotherapeutin in der Hamburger Klinik; damit dass sie „nur“ eine inkomplette Querschnittlähmung hat. Oder damit, dass Anita Friedl und ihr Mann Harald sich für eine zentral und ebenerdig gelegene Wohnung entschieden hatten. Überhaupt, dass sie schon nach Kirchweyhe und damit in die Nähe der Tochter gezogen waren.

„Man muss lernen, dass man Hilfe annimmt“, sagt die 67-Jährige, die vor wenigen Tagen ihren Geburtstag gefeiert hat. „Ich war immer auf der Überholspur, habe immer alles gemanagt.“ Vor ihrem Renteneintritt hatte sie bei DHL als Referentin der Geschäftsführung gearbeitet. „Das hat am Selbstbewusstsein gekratzt“, sagt sie über die Querschnittlähmung. Sie berichtet von anfänglicher Scheu und Aufregung, als sie zum ersten Mal wieder Gäste hatte, im Restaurant oder einkaufen war.

Im Querschnittgelähmten-Zentrum in Hamburg „fit fürs Leben gemacht“

Wenn sie heute von den vergangenen Jahren erzählt, dann beendet sie ihre Sätze immer wieder mit einem herzhaften Lachen. „So baut man sich Stück für Stück sein Selbstbewusstsein wieder auf“, fasst Friedl ihre Erfahrungen zusammen.

Im Querschnittgelähmten-Zentrum hat sie „ein Wahnsinnsprogramm“ absolviert, erzählt sie: Sporttherapie mit der paralympischen Goldmedaillengewinnerin Edina Müller; Hippotherapie, also therapeutisches Reiten; Rollstuhltraining, psychologische Betreuung. „Oberstes Ziel“ im Zentrum sei zudem gewesen, die Blasen- und Darmfunktion in den Griff zu bekommen, denn eine Querschnittlähmung betrifft oft auch diese Körperfunktionen. Mehr als zweieinhalb Monate sei sie in Hamburg gewesen – unter Coronabedingungen: Pro Woche durfte nur eine Person zu Besuch kommen. „Die haben mich fit fürs Leben gemacht“, sagt Friedl über die Hamburger Klinik. Mithilfe ihrer Physiotherapeutin hat sie sich zum ersten Mal wieder auf die Beine gestellt. „Man kommt sich vor wie ein Riese“, erinnert sich Friedl an diesen Moment.

Man kann alles machen, nur langsam.

Anita Friedl, Rollstuhlfahrerin

Heute laute ihr Motto: „Man kann alles machen, nur langsam.“ Ihr Gärtner hat im Garten Wege so angelegt, dass sie vom Rollstuhl aus Gartenarbeit erledigen kann. Dorthin führt nun eine Rampe an der Terrassentür. Früher brühte sie ihren Kaffee per Hand auf, dafür hat sie jetzt einen Automaten. „Dann gehen wir ins Fitnessstudio“, sagt Anita Friedl und tippt ihrem Mann mit der Hand ans Bein. Die Übungen helfen ihr, weil sie für alle Bewegungen Kraft aus den Schultern braucht.

Dann ist da ihre drei Jahre alte Enkelin. Sich an das Leben mit einer Querschnittlähmung zu gewöhnen, ist wohl besonders schwer für eine Großmutter, die das Aufwachsen ihres Enkels begleiten möchte. Mittlerweile berichtet sie: „Wir machen Wettrennen, ich im Rollstuhl, sie im Bobbycar.“ Zudem fährt sie wieder Auto, nachdem sie Fahrstunden genommen hatte: „Ich habe jetzt einen Schubhebel wie im Flugzeug.“ Früher war sie Pendlerin: „Ich bin jeden Tag 130, 140 Kilometer gefahren.“ Inzwischen hat sie bei einer Urlaubsfahrt über mehr als 300 Kilometer am Steuer gesessen.

Besetzte Behindertenparkplätze sind ein Problem

Dafür stellen sich andere Probleme: „Wenn ich irgendwo hinfahre, und ich weiß nicht, ob der Behindertenparkplatz frei ist.“ Ein anderes Beispiel sind die Toiletten auf Autobahnraststätten, die möglicherweise nicht barrierefrei sind. „Es geht nichts mehr einfach so, man muss alles vorher abklären“, so Friedl: Ob das Hotel, das sie buchen wollen, rollstuhlgerecht ist, oder das Restaurant, in das sie gehen wollen. Es gebe auch Arztpraxen, wo sie nicht hinkomme. „Behinderung“ empfindet sie als „blödes Wort“ – das sich erst dort bemerkbar mache, wo „die Gesellschaft nicht barrierefrei ist für alle“.

Zum Behindertenbeirat sei sie über dessen Sprecherin, Katrin Kurtz, gekommen, die bei der Beantragung von Hilfsmitteln geholfen hatte. Bisher hat Anita Friedl den Beirat zweimal im Ausschuss für Bau, Planung und Umwelt vertreten. „Schon interessant“, sagt sie über ihre ersten kommunalpolitischen Sitzungen. Sie sei dadurch bereits angesprochen worden, dass Rollstuhlfahrer nicht durch Kieswege kommen. Bessere Teilhabe biete einen Mehrwert für andere, sagt Friedl. Schließlich sind Hindernisse für Rollstuhlfahrer häufig auch Hindernisse für ältere Menschen, die etwa am Rollator gehen.

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