Neuer Bildband über umgebaute Heuerhäuser in der Region erschienen

Landkreis - Von Julia Kreykenbohm. Der Sohn erbt den Bauernhof seiner Eltern. Und weil er diese nicht aus dem Haupthaus vertreiben will, zieht er kurzerhand mit seiner Frau in das Heuerhaus auf dem Gelände, renoviert und richtet es hübsch her. Dass er, ohne sich dessen bewusst zu sein, in den Augen der Dorfgemeinschaft eine Art Sakrileg begangen hat, bemerkt er schnell.
Die Leute fangen an zu tuscheln: „Der Sohn eines Bauern zieht doch nicht in ein Heuerhaus! Der degradiert sich selbst und stellt sich gegen uns!“ Der junge Mann wird nicht mehr eingeladen, Leute wechseln die Straßenseite. Eine wahre Begebenheit. Nicht aus dem Geschichtsbuch, sondern aus dem Jahr 1971 im Emsland.
Der junge Mann vergisst diese Erfahrung nie, doch ebenso wenig lässt ihn das Heuerlingswesen wieder los. Bernd Robben wird Lehrer und bringt 2014 gemeinsam mit Dr. Helmut Lensing das Buch „Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen“ heraus (wir berichteten). Sie schreiben über Lebensumstände und Geschichten, die lange ein Tabu darstellten und totgeschwiegen wurden – und trafen damit offenbar einen Nerv, denn das Buch wurde unter anderem im Kreis Diepholz ein großer Erfolg. „Ich habe insgesamt 96 Vorträge gehalten, bei denen 3.500 Besucher sehr interessiert zugehört haben“, berichtet Robben.
„Etwa ein Zehntel der Häuser sind noch da“
Jetzt ist ein Nachfolgewerk entstanden, das die Heuerhäuser im Emsland, der Grafschaft Bentheim, dem Osnabrücker Land, in den Kreisen Vechta, Cloppenburg, Diepholz, Oldenburg, dem Münsterland und Ostwestfalen-Lippe in den Fokus nimmt: „Heuerhäuser im Wandel – Von ärmlichen Kotten zum individuellen Traumhaus“ lautet der Titel. Viele der Häuser haben die Zeit nach dem Wirtschaftswunder nicht überlebt. Damals verließen die oftmals besitzlosen Heuerlinge die Höfe und suchten ihr Glück in der Industrie. „Etwa ein Zehntel der Häuser sind noch da, viele sind abgerissen worden“, berichtet Robben. Manche für ein paar Kisten Bier von der örtlichen Feuerwehr.

Zum Glück haben sich aber auch Individualisten in den 80er-Jahren ein paar dieser Häuser angenommen, die Ruinen gekauft und umgebaut. Dort, wo einst Elend und Armut den Alltag bestimmten, entstehen heute Kunstwerke oder die Besitzer haben mit viel Liebe ihre persönlichen Wohlfühloasen gestaltet, so wie Peter Flocke in Schäkeln bei Sulingen. Andere Häuser sind für die Allgemeinheit zugänglich und werden beispielsweise als Heimathäuser genutzt.
Robben und Lensing zeigen in dem 332 Seiten starken Bildband die Heuerhäuser und was ihre Besitzer aus ihnen gemacht haben. „Wir haben die Leute angesprochen, sie haben uns reingelassen und uns ihre Geschichten anvertraut“, berichtet Robben hörbar glücklich. Für ihn ein echtes Geschenk, denn der Erhalt der Heuerhäuser ermöglicht es, weiter die Historie der meist besitzlosen Arbeiter zu erforschen, die bislang sträflich vernachlässigt worden sei. „Die Leute wollten größtenteils nicht darüber reden. Aber nun ist es soweit – und gerade noch rechtzeitig, denn die Zeitzeugen verschwinden allmählich.“
Spannende Kriminalfälle
Und weil zu den Geschichten der Häuser auch immer die der Menschen gehören, die sie bewohnten, haben mehrere Wissenschaftler kurze Aufsätze zu dem Buch beigesteuert, in dem sie beispielsweise das Leben der Heuerfrauen und -töchter beleuchten, die ebenfalls bisher nur wenig Beachtung fanden. Sie litten aufgrund der harten Arbeit unter Verschleißerscheinungen und wegen des Kochens über dem qualmenden Herdfeuer unter Atemwegsproblemen. Da auf Schwangerschaften keine Rücksicht genommen wurde, war die Zahl der Früh- und Totgeburten hoch, ebenso wie die Sterblichkeit unter Kleinkindern und Gebärenden. Auch die Auswanderung nach Amerika wird thematisiert.
Bei ihren Forschungen sind Robben und Lensing auch oft durch Zufall auf spannende Kriminalfälle gestoßen, die sonst in Vergessenheit geraten wären, wie die eines Heuerlings in Wagenfeld. Dieser hatte im Streit einen Mann erschossen, wurde auf dem Schloss Auburg inhaftiert und am Ende durch das Schwert hingerichtet. Und Robben ist sich sicher, dass diese Geschichte nicht die letzte ist. „Es gibt noch so viel zu erzählen.“
Er und Lensing wollen mit ihrem Buch ein Thema ins Bewusstsein rücken, dass gerade in Norddeutschland zahlreiche Menschen betroffen hat. „Teilweise gehörten bis zu 80 Prozent der Einwohner eines Dorfes zu den Heuerlingen“, sagt Robben. Indem man ihre Geschichte so ausklammere, entwürdige man diese Menschen. „Ich verstehe nicht, wie man das so in Vergessenheit geraten lassen konnte.“