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Vor 35 Jahren: Asbest und Schimmel in Twistringens St.-Anna-Kirche

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Von: Oliver Dörr

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Ein Bagger reißt den Anbau ein. Nach getaner Arbeit bleiben ein Haufen Schutt und ein offenes Gotteshaus.
Ein Bagger reißt den Anbau ein. Nach getaner Arbeit bleibt ein Haufen Schutt. © -

Vor 35 Jahren wurde die Kirche St. Anna in Twistringen saniert. Ursprünglich als Asbest-Renovierung geplant, entwickelte sich die Baumaßnahme zu einem Mammut- Projekt - mit dem Höhepunkt des kompletten Abrisses des Anbaus.

Twistringen - Georg Berensen sitzt in seinem Wohnzimmer. Vor sich hat der 67-Jährige jede Menge Zeitungsartikel, Fotos, Super-8-Filme und Dias ausgebreitet. Das Material hat er extra vom Dachboden geholt. 35 Jahre lagerte es dort. Die Unterlagen stammen aus der Zeit, als er noch als freier Journalist für die Kreiszeitung tätig war. Damals hat er die Arbeiten an der Kirche St. Anna für die Nachwelt festgehalten und in mehreren Artikeln über die Sanierungsarbeiten berichtet.

„Für die Recherche konnte ich dort aber nicht einfach so hingehen“, erinnert er sich zurück. „Eine Person begleitete mich immer, und ich musste einen Schutzanzug tragen.“

Selbst die Orgel und die Heizungsanlage waren verseucht und nicht mehr zu retten.

Georg Berensen, Zeitzeuge

Notwendig geworden war die aufwendige Asbestsanierung, weil im 20 Jahre alten Anbau der Kirche eine Asbestbelastung festgestellt worden war. Verantwortlich hierfür: der Akustikputz. Die gemessenen Werte der Asbestfaserkonzentration lagen mit 4  045 Fasern pro Kubikmeter weit über der zulässigen Obergrenze von 1 100 Fasern pro Kubikmetern. Daraufhin musste die Kirche Anfang Oktober 1988 komplett geschlossen werden.

Im Mai 1989 begann ein Bielefelder Unternehmen mit der Entsorgung des krebserregenden Stoffes. „Hierfür musste der gesamte Akustikputz unter Atemschutz und mit Schutzanzügen abgetragen werden“, erinnert sich Berensen: „Selbst die Orgel und die Heizungsanlage waren verseucht und nicht mehr zu retten.“

Ungewöhnlicher Anblick: Ein Radlader im Anbau der Kirche St. Anna. Zuvor hatte er mit seiner Schaufel eine Wand durchbrochen.
Eine „offene Kirche“ im Wortsinn: Nach dem Abriss des Anbaus bot sich den Twistringern dieses Bild. © georg berensen

Für die Arbeiter war die Entsorgung des Asbests mit Gasmaske und Schutzanzug schweißtreibend, sagt Berensen: „Ich war schon nach einer Stunde unter dem Kunststoff-Overal triefnass. Und ich musste mich noch nicht einmal anstrengen.“

Mit der Schließung der Kirche musste sich die Gemeinde einen neuen Ort zum Feiern der Heiligen Messe suchen. Zunächst wichen die Gläubigen ins Pfarrzentrum aus. „Der Raum war jedoch vielen wegen der fehlenden Klimaanlage im Sommer zu warm. Obendrein war er zu klein“, so Berensen. Deshalb musste eine Alternative her. Die fand sich in den Räumen des früheren Twistringer Kinos, dem sogenannten „Moormann-Saal“.

Viele ehrenamtliche Helfer halfen damals dabei, die zuletzt als Geschäftsraum genutzte Halle, in einen stilvollen Kirchenraum umzuwandeln. Am 13. Mai 1989 konnte das von der Gemeinde seither als „Notkirche“ bezeichnete Ausweichquartier eingeweiht werden. Mehr als zwei Jahre diente es als Gotteshaus.

Im März 1990 beschloss der Pfarrgemeinderat die vollständige Renovierung und Sanierung des Altbaus. Grund dafür war, dass es neben dem Asbest auch ein Feuchtigkeitsproblem gab. Diesmal direkt in der Kirche.

„In der Folge wurde die Kirche vollständig mit einem Gerüst ummantelt und hinter einer blauen Folie versteckt“, erzählt Berensen. Es waren die Vorarbeiten der Fugensanierung, um die Nässe aus dem Haus zu verbannen.

Im August 1990 begannen Arbeiter damit, alle Fugen an der Außenfassade drei Zentimeter tief auszukratzen und mit speziellem Muschelkalkmörtel zu füllen. Gleichzeitig wechselten sie 6  000 beschädigte Steine aus und erneuerten die Fenster. „So ist man des Feuchtigkeitsproblems Herr geworden“, sagt Berensen.

Damit war die Sanierung aber keinesfalls abgeschlossen. Denn es traten neue Probleme auf. Im Inneren des Kirchturmes waren die Holzbohlen, auf denen der Glockstuhl stand, von Holzschwamm zerfressen, einem holzzerstörenden Pilz. Die gesamte Dachkonstruktion musste erneuert werden. Zudem war der Glockstuhl völlig verrostet. „Arbeiter haben ihn mit einem Sandstrahlgebläse von Rost befreit und mit einem neuen Schutzanstrich versehen“, erläutert Berensen.

Ungewöhnlicher Anblick: Ein Radlader im Anbau der Kirche St. Anna. Zuvor hatte er mit seiner Schaufel eine Wand durchbrochen.
Ungewöhnlicher Anblick: Ein Radlader im Anbau der Kirche St. Anna. Zuvor hatte er mit seiner Schaufel eine Wand durchbrochen. © Georg Berensen

Höhepunkt der Arbeiten war der Abriss des Anbaus, für den zwanzig Jahre zuvor viel Geld gesammelt worden war. Die Twistringer hatten sich auf mehreren Gemeindeversammlungen dafür ausgesprochen. Sie wollten den früheren Zustand der Kirche wiederhergestellt sehen. Und der sah keinen Anbau vor.

Ende Februar 1991 begannen Arbeiter mit den Abbrucharbeiten. Zuerst entfernten sie die Dachziegel. „Dann riss ein Radlader die Mauer ein. Durch das Loch konnte nun schweres Baumaterial ins Innere gelangen“, erzählt Berensen. Dort entfernten die Maschinen zunächst das schwere Altarbild, den Altar, das Sprechpult und den massiven Tisch. Alles brachten sie an einen sicheren Ort. „Um den Anbau kümmerte sich dann eine Abrissbirne und die Zangenschere. Damit war der Anbau Geschichte“, so Berensen.

Nun klaffte dort, wo ursprünglich der Anbau stand, ein großes Loch. Dieses ließ sich aber nicht so einfach schließen. Grund: Die Kirche besaß kein solides Fundament. Sie stand vielmehr auf Bauschutt. Auf diesem Untergrund einfach eine Wand zu errichten, war den Architekten zu heikel. Deshalb trieben Arbeiter 13 Betonpfähle mit sieben Metern Länge in die Erde. Nachdem sie die feste Betonsohle verlegten, schnitten sie Vertiefungen ins Mauerwerk und integrierten Versorgungsleitungen. Gleichzeitig installierten sie eine Heizungsanlage. So brauchte keiner mehr zu frieren.

Die Sanierung dauerte mehr als fünf Jahre. Seit 1993 dient St. Anna der Gemeinde wieder als Gotteshaus.

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