Noch ein letztes Baby, dann war Feierabend

Bassum - Von Felix Gutschmidt. Schluss, aus, Feierabend: Schweren Herzens haben Jutta Meyer-Kytzia und neun weitere Hebammen des Rundum-Teams um Mitternacht die Tür zum Kreißsaal des Bassumer Krankenhauses geschlossen.
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„Gerne würden wir an anderer Stelle die Tür wieder öffnen“, sagt Meyer-Kytzia. Wo, wie und wann, weiß sie nicht. Als die 49-jährige Hebamme morgens um acht ihren Dienst antritt, stellt sie zufrieden fest, dass der Kreißsaal in der Nacht benutzt worden ist: „Wir haben ein Abschiedsbaby.“ Juliana heißt das letzte Kind, das in Bassum zur Welt gekommen ist. Mutter Kristina König aus Twistringen ist erleichtert, dass sie es rechtzeitig geschafft hat. Um null Uhr ist sie im Krankenhaus angekommen, um 2.37 Uhr erblickte ihre Tochter das Licht der Welt.
24 Stunden später hätte sie zur Geburt den Landkreis verlassen müssen. Ob ihr das Sorgen bereitet hat? „Und wie!“, erklärt die Mutter im Wochenbett. Bremen, Verden oder Vechta wären für Kristina König nur zweite Wahl gewesen.
Zur Mittagszeit räumt Jutta Meyer-Kytzia den „Giftschrank“ – so nennt sie den mit Medikamenten gefüllten Spind – der Geburtsstation aus. Weitere Abbauarbeiten stehen vorerst nicht an. „Wir lassen alles stehen“, sagt sie. Die Bilder, kleine, dekorative Elemente und auch die Fachbücher bleiben erstmal da.
Denn noch besteht Hoffnung, die Räume der geburtshilflichen Abteilung in Bassum als Praxis weiter nutzen zu können. Entsprechende Gespräche mit der Klinikleitung hat es Meyer-Kytzia zufolge bereits gegeben. Zu einem Ergebnis ist man offenbar noch nicht gekommen.
In ihrer Arbeit wird die Hebamme immer wieder unterbrochen. Mütter melden sich telefonisch in der Station, um den Hebammen und Ärzten alles Gute zu Wünschen. Auch die Schwestern und Ärzte der übrigen Abteilungen zeigen sich solidarisch. Am Empfang steht so manches Präsent.
Termine stehen nicht mehr an. Keine Vorsorgeuntersuchung, keine Herztöne abhören. „Ich lasse den Tag einfach auf mich zukommen“, sagt Jutta Meyer-Kytzia. Obwohl ihre Schicht erst wenige Stunden alt ist, wirkt sie erschöpft. Die Wochen seit der Bekanntgabe des Klinikverbunds, die geburtshilfliche Abteilung zum Jahresende zu schließen, haben ihr zugesetzt.
Der 15. Dezember markiert für Jutta Meyer-Kytzia persönlich den Abschluss eines Lebensabschnitts. 28 Jahre hat sie als Hebamme im Bassumer Krankenhaus gearbeitet. Die letzten Stunden im Dienst sind für sie „sehr emotional“. Dennoch sei es „sehr schön“ am letzten Tag der Geburtsstation Dienst zu haben.
Die letzten Wochen des Jahres will Jutta Meyer-Kytzia „runterkommen und Ruhe reinbringen“. Dann will sie zusammen mit den anderen Hebammen „in die Bewegung gehen“ und mit Bürgern für eine Geburtsstation im Landkreis kämpfen. „Wir glauben daran“, sagt sie.
Das Argument der Klinik leitung, das Problem sei der Ärztmangel, lässt sie nicht uneingeschränkt gelten. Ihres Wissens gebe es drei Gynäkologen, die Interesse hätten, in der geburtshilflichen Abteilung zu arbeiten. Allerdings nur, wenn es sich um eine Hauptabteilung handelt.
Ihren Beruf an den Nagel zu hängen, kommt für die zehn Beleghebammen am Bassumer Krankenhaus nicht in Frage. Sie werden ihre Dienste weiter anbieten, wenigstens in der Vor- und Nachsorge bei den Frauen zu Hause.
Am frühen Abend bekommt Jutta Meyer-Kytzia Besuch: Mehr als 100 Bürger versammeln sich angeführt von Lena Rahlfs vor dem Krankenhaus. Sie trommeln, jolen, pfeifen und hupen – machen also genau das, was man dort normalerweise nicht tut: Lärm. So bringen sie ihren Unmut zum Ausdruck, dass die letzte Geburtsstation im Landkreis schließt. „Wir kommen wieder“, ruft Initiatorin Lena Rahlfs ihren Mitstreitern zu, „an jedem 15. im Monat.“