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Wie die Selbsthilfegemeinschaft Clean trockenen Alkoholikern Halt gibt

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Wenn man sich ein Leben ohne Alkohol nicht mehr vorstellen kann, spricht das für eine Abhängigkeit.
Wenn man sich ein Leben ohne Alkohol nicht mehr vorstellen kann, spricht das für eine Abhängigkeit. © Lechenie Narkomanii/Pixabay

In Syke ist die Selbsthilfegemeinschaft Clean für Menschen da, die ihre Alkoholsucht überwunden haben. Sie trifft sich regelmäßig.

Syke – Es ist die einzige Droge, für die man sich rechtfertigen muss, wenn man sie nicht nimmt: Alkohol. Eine Kohlfahrt, und einer will nicht mitsaufen? Ein Geschäftsessen und einer trinkt keinen Wein dazu? Ein Kaffeetrinken und einer fragt, ob Alkohol im Kuchen ist? Leute, die so etwas tun, sind doch Spaßbremsen, Spalter, komische Vögel. Eine schöne Geschichte beginnt halt selten mit einem Glas Milch.

Selbsthilfegruppe Clean in Syke mit drei Männern und drei Frauen

Doch dieses gesellschaftliche Phänomen kann ungewollte Ausmaße annehmen. Zum Beispiel bei Hans-Dieter. „Ich bin häufig auf Montage gefahren, auch ins Ausland. Ich war allein im Hotel, also habe ich mir zwei oder drei Bier am Abend gegönnt. Aber dann kam auch Schnaps dazu.“ Jetzt ist er seit zwölf Jahren trocken. Clean, die Selbsthilfegemeinschaft in Syke, hilft ihm dabei.

Jeden Dienstag treffen sich meist sechs Mitglieder der Gruppe. Die drei Männer und drei Frauen haben alle ähnliche Schicksale, sind alle seit Jahren trocken und sind inzwischen gute Freund geworden. „Die Gemeinde Sankt Paulus stellt uns – in Absprache mit dem Bistum Osnabrück, zu dem Syke gehört – einen Raum in ihrem Gemeindehaus zur Verfügung“, sagt Annette. „Unabhängig davon, welche Konfession wir haben, weil Suchtarbeit der Kirchengemeinde halt sehr wichtig ist.“

Bei den Treffen geht es nicht nur um Probleme mit oder ohne Alkohol. Manchmal plaudern sie über ganz alltägliche Sachen wie Fußball. Auf der anderen Seite hat jeder die Telefonnummern der anderen und kann anrufen, wenn er in einer Krise steckt, die einen Rückfall auslösen könnte.

Syker Selbsthilfegruppe Cela: Mit einem Glas Wein begann die Karriere als Alkoholikerin

So viele Gemeinsamkeiten und Interessen sie auch haben, so unterschiedlich sind ihre „Karrieren“. Bei Edeltraut fing alles mit dem Tod des Vaters an. In einem schleichenden Prozess wurde im Laufe der Zeit aus einem allabendlichen Glas Wein eine allabendliche Flasche Wein. „Ich dachte zuerst, andere Leute machen das auch. Aber meine Tochter hat sich Sorgen gemacht. Ich habe daraufhin eineinhalb Stunden mit meinem Arzt gesprochen und dann stand mein Entschluss: Ich brauche eine Entgiftung. Anschließend kam ich in eine Klinik zur psychosomatischen Behandlung und ging alle 14 Tage zum Psychologen.“ Seit 22 Jahren ist sie jetzt trocken, seitdem geht sie zu Clean.

Auch bei Torsten war es ein schleichender Prozess. „Unter der Woche hatte ich kein Problem, aber an den Wochenenden habe ich oft zu viel getrunken, konnte kein Maß halten, sodass mein Alkoholkonsum außer Kontrolle geraten ist“, berichtet er. „Ich bin im Job weggeblieben, wegen der Fehlzeiten habe ich meine Arbeitsstelle verloren, dann auch noch den Führerschein und die Freundin. Als alles weg war, habe ich erst einmal noch mehr getrunken.“ Er hat eine drei Monate andauernde Langzeittherapie durchlaufen, war auch bei Release, der Fachstelle für Sucht und Suchtprävention, und über die Ansprechpartnerin in Syke ist er schließlich vor 15 Jahren bei Clean gelandet.

Gegen die Sucht: Wie die Selbsthilfegruppe Clean in Syke trockenen Alkoholikern hilft

Hans-Dieter, Annette, Edeltraut, Torsten, Petra und auch Ralf haben es geschafft: „Manche aber kommen in unsere Gruppe und schaffen den Absprung vom Alkohol nicht“, sagt Ralf. „Die werden rückfällig und kommen wieder ins Krankenhaus. Es gibt sogar welche, die dann sterben.“

Ab wann spricht man von einer Sucht? „Wenn der Konsum immer öfter mit einem bestimmten Zweck verbunden wird, sollte das als Alarmzeichen gesehen werden“, nennt Annette ein Indiz. „Wenn ich Alkohol brauche, um locker drauf zu sein, wenn mich nur die Aussicht auf die nächste Flasche Bier motiviert, wenn ich Alkohol trinke, um mutiger zu werden, Frust, Trauer oder Einsamkeit zu bewältigen, kurz: wenn Alkoholkonsum gerechtfertigt werden muss und in den Augen des Konsumenten ‚sinnoll‘ ist – dann wird es kritisch.“

Sollte jemand den Verdacht haben, dass ein Freund, ein Kollege oder ein Familienmitglied ein Alkoholiker sein könnte, wie spricht man den darauf an? „Man sollte denjenigen gut kennen oder versuchen, mehr über die Hinter- oder Beweggründe des Betroffenen zu erfahren“, rät sie. „Das Gespräch sollte ohne einen erhobenen Zeigefinger verlaufen, sondern dem anderen das Gefühl geben, dass man mit ihm spricht, weil man Anteil an seinem Leben nimmt und sich um ihn sorgt.“

Kontakt zur Selbsthilfegruppe Clean in Syke aufnehmen

Aber auch das Leben als trockener Alkoholiker ist nicht einfach. Es muss nicht mal ein Glas Wein sein, um einen Rückfall auszulösen. In Extremfällen weckt sogar schäumende Apfelschorle in einem Bierglas Erinnerungen an Zeiten des Alkoholkonsums. Petra ist die erste Zeit nach ihrem Entzug gar nicht mehr auf Partys gegangen, weil sie nicht jedem auf die Nase binden wollte, warum sie keinen Alkohol trinkt. „Klar, man kann sagen: ‚Ich bin mit dem Auto da‘ oder ‚Ich nehme gerade Medikamente‘, aber trotzdem habe ich mich immer wie ein Fremdkörper gefühlt.“

Kontakt

Wer Hilfe braucht, jemand kennt, der Hilfe brauchen könnte oder auch schon trocken ist und eine Selbsthilfegruppe sucht, kann sich bei der Suchtkrankenselbsthilfe Clean melden. Annette ist unter 0421 / 166 930 12 zu erreichen und Edeltraut unter 04242 / 869 027.

Auch Edeltraut hat einen Bekannten, der die trockene Alkoholikerin mal zum Alkohol trinken überreden wollte. Und da hat die Raucherin ihm einfach eine Zigarette angeboten – was der Nichtraucher natürlich strikt ablehnte. „Da habe ich ihm gesagt: ‚Wenn du nicht rauchen willst, ist das in Ordnung, aber wenn ich keinen Alkohol trinken will, ist das nicht okay? Das ist doch komisch‘.“

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