1. Startseite
  2. Lokales
  3. Landkreis Diepholz
  4. Syke

Tausend Kilometer bis zum Krieg: Auf Tour mit einem Ukraine-Hilfstransport

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Gregor Hühne

Kommentare

Humanitärer Spendentransport.
Humanitärer Spendentransport: Acht Lkw und ein Begleitfahrzeug der Biker-Brummi-Hilfe auf dem Weg an die ukrainische Grenze. © Gregor Hühne

In Lwiw (Westukraine) platzen die Krankenhäuser aus allen Nähten. Um dort ein Behelfs-Krankenhaus auszustatten, bringen Brummi-Fahrer Betten, Analyse-Geräte, Gehhilfen, Hygieneartikel und Medikamente in das Land. Die Kreiszeitung hat den Transport bis an die Grenze der Ukraine begleitet. 

Ristedt/Przemysl – Treffpunkt Ristedt (Stadt Syke) am Freitagmorgen um 4 Uhr. Hermann Munzel vom Verein Biker-Brummi-Hilfe (BBH) hat in rund drei Wochen einen Hilfstransport mit medizinischer Ausrüstung an die ukrainische Grenze auf die Beine gestellt: Acht Lkw und ein Begleitfahrzeug. Noch kurzfristiger schließe ich mich der Kolonne an, und zwar einen Tag vorher.

In Lwiw (Westukraine) platzen die Krankenhäuser aus allen Nähten. Um dort ein Behelfs-Krankenhaus auszustatten, bringen die 14 Brummi-Fahrer Betten, Analyse-Geräte, Gehhilfen, Hygieneartikel und Medikamente in das Land. „Alles, was man für den Betrieb eines Krankenhauses benötigt“, sagt Munzel.

14 Fahrer und ein Reporter..
14 Fahrer und ein Reporter: Gregor Hühne (Kreiszeitung, 2.v.l) begleitet die Hilfskolonne um die Fernfahrer Werner Wördemann (v.l.), Hans-Martin Ens und Henry Hanisch (Vorstand BBH). © Gregor Hühne

Es ist noch dunkel am Freitag. Die Fahrer haben wenig geschlafen, ich ebenso, doch alle sind hoch motiviert. Nach einem kurzen Briefing setzt sich die Kolonne in Bewegung. Fünf Lkw starten in Ristedt, drei stoßen bei Hannover dazu. Die Zugmaschinen stammen derweil von verschiedenen Speditionen: Guse aus Weyhe, Rodenberg aus Achim, Koberger aus Ilsede und Autohaus Matthias Werner (Weyhe).

Auf dem Weg nach Przemysl

Ich fahre auf dem Zug von Werner Wördemann mit, der von der Spedition Detmers-Janssen aus Bassum für den humanitären Hilfstransport zur Verfügung gestellt wird. „Tempomat rein und lass brummen“, freut sich der langjährige Fernfahrer auf die Tour. Die 510-PS-Maschine wird für die kommenden drei Tage unser Zuhause sein. 1.200 Kilometer liegen vor uns bis zum Ziel. Die Männer der Biker-Brummi-Hilfe bringen die Fracht in die polnische Stadt Przemysl, keine zehn Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Dort übernimmt die lokale Spedition Tomalo Trans die Ladung. Das Unternehmen betreibt einen Umschlagplatz für Hilfslieferungen und fährt sie regelmäßig in das Kriegsgebiet. Laut Mitarbeiter Andriy Tushnytskyy sind es bereits seit Beginn der russischen Invasion 150-Hilfs-Lkw-Fahrten, dazu sollen 24 am Samstag folgen.

Autobahn.
Hinfahrt auf der deutschen Autobahn 7. © Gregor Hühne

Doch zunächst müssen wir ankommen. Am Horizont geht vor uns die Sonne auf am Freitagmorgen über der Autobahn 7. Wir fahren ihr entgegen und hoffen auf eine bessere Zukunft, während sich unsere Zeit dem Krieg nähert.

Hinter Hannover rastet die Kolonne. Die restlichen Lkw sind dazugestoßen. Wir sind vollzählig. An allen Lastwagen samt den Anhängern sind Aufkleber für die Tour angebracht. Ein rotes Kreuz und das Logo der Biker-Brummi-Hilfe zeigen, dass hier ein Hilfstransport als Kolonne Richtung Osten rollt. Menschen winken uns, einige hupen uns freudig an. Doch wir sind nicht die Einzigen, die sich auf den Weg gemacht haben. Hunderte Autos privater Initiativen fahren während der gesamten Reise an uns vorbei. Bedruckt mit Friedenstauben, Ukraine-Flaggen und Schriftzeichen sind sie auf dem polnischen Teil der Strecke in kleinen Gruppen zuhauf unterwegs. Sie kommen aus Italien, den Niederlanden, Schweden und vor allem aus Deutschland.

Europa steht solidarisch hinter der Ukraine

Werner und ich sind beeindruckt von der Hilfsbereitschaft, die wir irgendwann nicht mehr zählen. Die Solidarität in Europa scheint riesig groß zu sein. Am ersten Tag fahren wir rund zwölf Stunden und stehen weitere fünf Stunden in einem Mega-Stau. Nichts bewegt sich mehr auf der A4 vor Breslau. Die Unterbrechung wirbelt den Zeitplan durcheinander und zerrt an der Konzentration. „Der Klassiker, dann kommt etwas Unvorhersehbares“, sagt Munzel gelassen, der bereits mehrere Hilfstransporte organisiert und geleitet hat. In der Regel fährt die BBH Spenden nach Südosteuropa.

Später erfahren wir den Grund für den Stau. Vier Menschen sollen bei einem schweren Unfall gestorben sein. Waren es Helfer? Stille – wir werden noch oft nachdenklich auf der Fahrt.

Ukrainischer Fernfahrer.
Will für sein Land kämpfen: Ukrainischer Fernfahrer. © Gregor Hühne

Eine Zufallsbegegnung auf einem Rastplatz wird nachhalten. Neben uns parkt ein ukrainischer Fernfahrer. Herzlich dankt er für die humanitäre Hilfe für sein Land und erzählt, dass er auf dem Weg in die Ukraine ist, um dort mit der Waffe seine Heimat gegen die angreifenden Russen zu verteidigen.

Verladeplatz.
Zum Ziel: Verladeplatz im polnischen Przemysl. © Gregor Hühne

Die Reise ist lang. Werner und ich machen uns Gedanken über Krieg und Frieden. „Die ganze Welt steht doch hinter der Ukraine“, sagt er. Russland könne doch gar nicht gewinnen. „Wie soll so ein Krieg enden?“, fragt er mich, ohne an die eine Antwort zu glauben. Wir schweigen. Meine Gedanken kreisen weiter um die Ukraine. Sind unsere Werte verhandelbar, wenn die Heizung kalt und der Strom wegblieben? Wer hungert, wenn die Ukrainer ihre Felder nicht mehr bestellen? Würden wir kämpfen und sterben für den Frieden? Welchen Preis wären wir bereit zu zahlen?

Tempomat rein und lass brummen.

Fernfahrer Werner Wördemann

Spät in der Nacht bei Kattowitz halten uns nur noch die sprichwörtlichen Streichhölzer in den Augen wach. Um 3 Uhr (nach 23 Stunden unterwegs) ist es Zeit für die Lkw-Pritsche. Nach drei Stunden Schlaf, dank lautloser Standheizung angenehm warm, geht es am Samstag um 6 Uhr in der Früh weiter.

Fracht.
In Containern: Alles für ein Behelfs-Krankenhaus. © Gregor Hühne

Die Hilfskolonne erreicht schließlich Przemysl. Pünktlich um 8 sollte mit der Verladung der Fracht begonnen werden. Doch das nächste Problem wartet auf uns. Der einzige Gabelstapler springt nicht an. Arbeiter stehen rum, rauchen. Zwei Stunden tut sich wenig. Plötzlich geht es schnell. Ukrainische Lastwagen fahren rückwärts an die Container der BBH-Brummis. Der Inhalt wechselt über Rampen in wenigen Stunden die Fahrzeuge.

Die ukrainischen Eheleute Roksoliana und Ivan Scad koordinieren die Ziele der Hilfsgüter, die in Przemysl ankommen. Sie bedanken sich bei den deutschen Freunden für die Spenden und freuen sich über die benötigte Lieferung der BBH. Für uns ist die Mission erfüllt: Wir fahren zurück, für viele andere geht es weiter. Während unserer Heimreise kommt uns eine andere Kolonne entgegen. Es sind Militär-Lastwagen. Im Gepäck: Panzerhaubitzen.

Panzerhaubitzen.
Panzerhaubitzen: Verstärkung für die Nato-Ostflanke. © Gregor Hühne

Zuhause bemerken wir die mittelbaren Auswirkungen des Krieges, und zwar über die Treibstoffpreise. Am Ende der Reise muss auch Werner an die Zapfsäule. Rund 2.500 Kilometer liegen hinter uns. Der kostenfrei zur Verfügung gestellte Lkw von Detmers-Janssen soll wieder vollgetankt auf den Hof, so ist Absprache. Werner steuert eine Tankstelle in Stuhr an. 439 Liter gehen in den linken Tank, 216 Liter in den rechten. So kommen 1. 388 Euro zusammen. Insgesamt fasst die Maschine 1 .300 Liter, erzählt mir Werner. In Polen (Zloty) kostet Diesel umgerechnet etwa 1,60 Euro, in Deutschland rund 2,25 Euro.

Roksoliana und Ivan Scad.
Koordination Ukraine-Hilfe: Roksoliana und Ivan Scad. © Gregor Hühne

Bescheiden und ehrenamtlich

Wie viele der 14 ehrenamtlichen Fahrer auf dem Spendentransport der Biker-Brummi-Hilfe ist auch Werner im Rentenalter und könnte seinen Ruhestand genießen. Warum fährt er also mit? „Ich tue es für den guten Zweck“, sagt er mit festem Blick. Seit 1977 ist er Fernfahrer. „Ich muss arbeiten. Das ist mein Ding.“ Stunden über Stunden am Steuer sitzen und wenig schlafen, um anderen zu helfen. Für ihn ist das selbstverständlich, für mich nicht. Viele Menschen tun wenig und reden viel. Bei den Brummis ist es andersrum, habe ich das Gefühl. Niemand aus der Gruppe prahlt mit dieser Leistung, die Anerkennung verdient.

Polnische Autobahn.
Rückreise auf der polnischen Autobahn 4. © Gregor Hühne

Die Recherchereise im Podcast

Von seiner Recherchefahrt an die polnisch-ukrainische Grenze berichtet unser Autor Gregor Hühne auch in der neuen Folge unseres Podcasts „Kreis und Quer“. Er beschreibt dahin die Reise von der Abfahrt in Syke, über die zähe Fahrt durch lange Staus gen Polen und die Ankunft auf einem staubigen Verladeplatz 10 Kilometer vor der Grenze. Die komplette Folge „Ist Luisa hier?“ gibt es ab sofort auf Spotify, Apple Podcasts, YouTube und überall sonst, wo es Podcasts gibt.

Auch interessant

Kommentare