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Syke: Wie sich der Fachkräftemangel in Kitas auf Familien auswirkt

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Von: Oliver Dörr

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Ina Heits (v.l.) zusammen mit Tobias, Nadine und Lennard Linke: Vater Tobias nimmt seinen Sohn im Notfall mit zur Arbeit.
Ina Heits (v.l.) zusammen mit Tobias, Nadine und Lennard Linke: Vater Tobias nimmt seinen Sohn im Notfall mit zur Arbeit. © Oliver Dörr

Wenn die Kita ausfällt, weil Erzieher erkrankt sind, müssen Eltern oft ihren Alltag komplett umkrempeln. Insbesondere dann, wenn Freunde und Verwandte nicht einspringen können. Doch liegt es nur am Fachkräftemangel oder ist das Problem womöglich vielschichtiger? Die Kreiszeitung hat sich bei Eltern und Erziehern in Syke umgehört. 

Syke – Viele Eltern von Kita-Kindern kennen das: Wenn der Anruf aus der Kindertagesstätte mit der Nachricht kommt, dass Erzieherinnen und Erzieher ausfallen, müssen Eltern oft ihren Alltag komplett umkrempeln. Insbesondere, wenn Verwandte oder Freunde nicht einspringen können. Dann muss in aller Eile entschieden werden, wer zu Hause bleibt und die Kinder betreut.

Wenn der Vater das Kind mit zur Arbeit nimmt, haben die Kollegen ein Auge auf den Kleinen

So wie in der Familie Linke aus Barrien. „Wenn bei uns in der Kita eine Erzieherin ausfällt, nimmt mein Mann unseren fünfjährigen Sohn Henry mit zur Arbeit“, sagt Nadine Linke. Optimal sei das nicht, wie sie eingesteht. Ihr Mann Tobias arbeitet als Verkäufer in einem Autohaus in Bremen. Hat der 37-Jährige ein Verkaufsgespräch, haben seine Kollegen ein Auge auf den Fünfjährigen. Nadine Linke kann den Kleinen nicht nehmen. Sie ist schon auf der Arbeit, wenn die Kita anruft. Sie fängt um 7 Uhr an, damit sie um 14 Uhr Sohn Henry und seinen Bruder Lennard (zwei Jahre), der bei einer Tagesmutter weilt, aus ihren Horten holen und betreuen kann. Wenn alle Stricke reißen und das Kind weder mit zur Arbeit genommen noch anderweitig betreut werden kann, nimmt sich Tobias Urlaub – im vergangenen Jahr waren das zehn Tage.

Elena Schmechel ist Mutter von drei kleinen Kindern. Zwei von ihnen gehen in die Kita Regenbogenland in Barrien. Derzeit ist die Ristedterin in Elternzeit und betreut ihre einjährige Tochter. Schmechel ist selbst Erzieherin und seit fast 20 Jahren im Job. Sie kennt die Lage von beiden Seiten. Ereilt sie ein Anruf aus der Kita, kann sie sich um ihre drei kleinen Kinder kümmern. „Für uns ist es derzeit nicht so problematisch. Mir sind aber Fälle bekannt, wo sich Eltern unbezahlten Urlaub nehmen oder ihren Jahresurlaub aufbrauchen, um für ihre Kinder da zu sein.“

Die Eltern verbiegen sich, um sowohl Kindern als auch Arbeitgebern gerecht zu werden

Dass die Eltern sich verbiegen, um sowohl Kindern als auch Arbeitgebern gerecht zu werden, läge laut Schmechel auch daran, dass Arbeitgeber oft nur wenig Verständnis für die Lebensrealitäten ihrer Beschäftigten aufbrächten. Auch wenn diese für die Lage nichts könnten, wie sie hinzufügt. Sie plädiert für mehr Toleranz der Unternehmen gegenüber den Beschäftigten.

Damit zumindest in ihrem Umfeld Eltern nicht ihre Urlaubstage opfern müssen, bietet sie dort ehrenamtlich eine Notbetreuung an: „Die Eltern können ihre Kinder dann bei mir vorbeibringen.“

Für das Dilemma in den Kitas macht Schmechel auch die Landkreise verantwortlich. „Sie locken mit Landidylle und günstigem Bauland die Menschen aus den Städten aufs Land. Zwar sehen die Bebauungspläne Kindertagesstätten vor, nur mit welchem Personal die besetzt werden sollen, wenn in den vorhandenen Kindertagesstätten schon das Personal fehlt, das sagen sie nicht.“ Das müsse von den Trägern ganz anders geplant werden, so Schmechel: „Insbesondere, wenn Menschen mit kleinen Kindern in die Region neu hinzukämen oder Flüchtlinge aufgenommen werden müssen.“ Für sie lautet die Gleichung: Wenn ein Fachkräftemangel vorherrsche, dann könnten die Gemeinden keine Wohngebiete erschließen.

Isolde Huchtmann-Schmedes ist Leiterin der Kita Talita Kumi in Barrien, in die der kleine Henry Linke geht. Die Einrichtung gehört zum evangelisch-lutherischen Kita-Verband Syke Hoya. Huchtmann-Schmedes kennt die Not der Eltern aus der Praxis: „Meist nehmen die Arbeitgeber die Fehltage ihres Personals aufgrund der Kita-Ausfälle nur zähneknirschend hin. Deshalb versuchen die Eltern alles, um ihrem Arbeitgeber gerecht zu werden und auf der Arbeit zu erscheinen.“

Syker Kitaleiterin versucht mit dem bestehenden Personal zu „jonglieren“

Trotz aller Bemühungen sei es auch Huchtmann-Schmedes 2022 nicht immer gelungen, die Betreuung der Kinder in der Kita sicherzustellen. Die Kita Talita Kumi besteht aus zwei Gruppen: eine mit 25 Kindern und eine Integrationsgruppe mit 18 Kindern. Die große Gruppe wird von zwei erfahrenen Erzieherinnen und einer jungen Frau im Bundesfreiwilligendienst betreut. Der Vertrag der jungen Frau läuft im März aus. Ein Ersatz ist nicht in Sicht. Wie es dann weitergehen soll, weiß Huchtmann-Schmedes noch nicht.

Die 18 Kinder der Integrationsgruppe haben einen höheren Betreuungsschlüssel als die anderen Kinder. Sie werden von drei Erzieherinnen betreut: zwei erfahrenen aus der Stammbesetzung und einer Kollegin von einer Zeitarbeitsfirma. Mit dieser Lösung ist Huchtmann-Schmedes nur bedingt zufrieden: „Ich habe die Erfahrung machen müssen, dass gerade diese Kolleginnen und Kollegen nicht voll engagiert sind. Ich kann es ihnen aber nicht verübeln, weil sie nach ein paar Monaten wieder woanders eingesetzt werden.“

Falls eine Erzieherin ausfällt, müssen andere Kollegen einspringen

So versucht die Kita-Leiterin, mit dem bestehenden Personal zu „jonglieren“. Falls eine Erzieherin krankheitsbedingt ausfällt, müssen andere Kollegen einspringen. Dann werden die Erzieherinnen zwischen den Gruppen hin- und hergeschoben. „Das brennt die Kolleginnen aus“, sagt Huchtmann-Schmedes.

Die Kita-Leiterin glaubt eh nicht mehr dran, dass sich die Lage in den Kitas in absehbarer Zeit verbessern werde: „Ich denke, dieses System ist aufgrund des Fachkräftemangels einfach nicht länger aufrechtzuerhalten. Auch wenn ich das zutiefst bedauere.“ Ihrer Meinung nach ist die Lage mittlerweile so prekär, dass die Kitas aus dem Bildungsbereich herausgenommen werden müssten. „Unserem Bildungsauftrag werden wir mit der vorhandenen Personaldecke nicht mehr gerecht“, sagt Huchtmann-Schmedes und fügt hinzu: „Damit wir uns nicht falsch verstehen, ich wäre gerne eine Bildungseinrichtung, nur kann ich das nicht mehr leisten.“

Was müsste sich ihrer Meinung nach alles ändern? Huchtmann-Schmedes zählt auf: mehr Personal für die Kitas, Vergütung der Ausbildung zum Erzieher, Verkleinerung der Gruppen, Neuberechnung der Grundfläche pro Kind in Neubauten.

Der Fachkräftemangel in den Kitas wird sich in den nächsten Jahren verschärfen

Dass sich der Fachkräftemangel in den Kitas in den nächsten Jahren weiter deutlich verschärfen dürfte, liege auch am neuen Kita-Gesetz, das im Sommer in Niedersachsen inkraftgetreten sei. Das Gesetz regelt neue Mindeststandards bei der Personalstärke. Danach müssen auch in Randzeiten, also in Früh- und Spätdiensten, zwei pädagogische Fachkräfte in einer Kitagruppe sein. Dadurch soll die frühkindliche Erziehung verbessert werden, wie es heißt. „Früher hätte dafür eine Fachkraft gereicht. Wenn sich jetzt jemand krank meldet, können die Kitas die Doppelbesetzung nicht mehr gewährleisten, und die Betreuungszeiten müssen gekürzt werden“, sagt Ina Heits, Elternverteterin der Kita Talita Kumi, und fügt hinzu: „Darunter leiden dann wieder die Kinder, die Eltern und schlussendlich auch die Arbeitgeber.“

Ihrer Meinung nach wird die Lage in den kommenden Jahren noch brisanter. „Ab 2025 werde die dritte Kraft in Krippengruppen gemäß des Kita-Gesetzes verpflichtend. Ab 2026 kommt ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Ganztagsschulen hinzu, und ab 2027 soll mit 20 Wochenstunden die dritte Kraft in die Ganztagskindergartengruppen kommen.“ Damit werde sich das Gerangel um die wenigen Erzieher noch weiter verschärfen, so Heits ahnungsvoll.

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