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Ohne Müll zu reden: AWG über die Zukunft der Abfallwirtschaft

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Von: Michael Walter

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Mülldeponie heute.
So geht Mülldeponie heute: Im Prinzip wird nur noch mehrfach gefiltertes und geschreddertes Material eingebaut. Zum Grundwasser hin sind die Deponien abgedichtet, und Sickerwasser wird in eigenen Kläranlagen aufbereitet. © AWG

Der AWG-Chef Andreas Nieweler spricht in Syke vor der Bürgerstiftung über das Abfallsystem im Landkreis Diepholz von früher und heute. Verpackungen, energetische Verwertung und Blumenerde aus Bioabfällen: In rund 50 Jahren Abfallwirtschaft habe sich eine ganze Menge getan.

Syke – Er hat es im Spaß gesagt: „Ich könnte Ihnen jetzt zwei Stunden was über Verpackungen erzählen, zwei Stunden über energetische Verwertung und zwei Stunden über Blumenerde aus Bioabfällen.“ Aber er kann es tatsächlich! Ohne sich zu wiederholen oder langweilig zu werden. Und so musste sich Andreas Nieweler fast schon ein bisschen zügeln, damit sein Vortrag bei der Bürgerstiftung am Donnerstagabend im Vorwerk nicht aus dem Ruder lief.

„Alles Müll – oder was?“ hatte der Geschäftsführer der Abfallwirtschaftsgesellschaft (AWG) das betitelt, was er als „kurzen Impulsvortrag“ geplant hatte. Nur um diesen Ansatz gleich doppelt ad absurdum zu führen. Formal – weil, wie gesagt: Zwei Stunden pro Stichwort könnte Nieweler locker mal eben so aus dem Ärmel schütteln – wie inhaltlich. Denn: „Müll gibt es eigentlich gar nicht mehr.“

Mit dieser Aussage dürfte er die meisten seiner Zuhörer zunächst mal verblüfft haben. Aber es stimmt: Der weit überwiegende Teil der Abfälle, die heute in Deutschland anfallen, wird in der einen oder anderen Form wiederverwertet. Und was auf die Deponien wandert, hat mit dem, was noch vor sagen wir mal 15 oder 20 Jahren dort als bunt gemischter Restmüll ankam, kaum noch was zu tun. Heute wird nur noch mehrfach gefiltertes und fein geschreddertes Material mit einer Konsistenz wie Asche oder feiner Kies in den zum Grundwasser abgedichteten Deponien eingearbeitet.

Eine strukturierte Abfallwirtschaft im Landkreis gibt es erst seit 1972

Der Weg dahin war weit. „Erst seit 1972 haben wir überhaupt eine strukturierte Abfallwirtschaft im Landkreis“, erklärte Nieweler. Bis dahin hat jede Kommune im Prinzip gemacht, was sie wollte. Allein im heutigen Stadtgebiet von Syke gab es um 1970 mehr als 30 Müllkippen. In ausgedienten Tonkuhlen oder Sandgruben und in Schlatts. „Das fing an nach dem Krieg mit irgendwelchen Bombenkratern, die einfach zugeschüttet wurden. Da ist einfach Müll abgekippt worden. Alle paar Wochen kam dann vielleicht mal die Planierraupe und hat das ein bisschen festgefahren. Bürgermeisterkippen hat man die damals genannt.“

Die werden heute zunehmend zum Problem, konnte Bürgermeisterin Suse Laue aus den Zuhörerreihen heraus bestätigen. Weil man zwar sehr genau weiß, wo diese Bürgermeisterkippen waren, aber keiner sagen kann, was genau dort überhaupt drin liegt. „Wenn wir heute neue Baugebiete ausweisen wollen, kommt fast immer jemand und sagt: Moment mal ...“

Mülldeponie früher.
Das ist das Bild, das einige heute noch beim Stichwort Mülldeponie vor Augen haben. Mit bunt gemischten Abfällen aller Art und Schwärmen von Möwen, die darin etwas Fressbares suchen. Aber es stimmt schon seit fast 20 Jahren nicht mehr. © AWG

Mehr als 370 solcher Altlasten gibt es im Landkreis. Der muss irgendwie damit umgehen. Und das wird teuer. Allein die Kosten für die benötigten Gutachten schätzen Experten laut Nieweler auf etwa 30 Millionen Euro.

Plastisch, lebendig und mit vielen Bildern schilderte Nieweler, wie die Zahl der Müllkippen im Landkreis zunächst auf 20 reduziert worden ist. Wie die ersten einheitlichen Mülltonnen eingeführt wurden. „Das waren noch Ascheimer. Körperlich schwere Maloche“ für die Männer von der Müllabfuhr. Und wie sich mit der Zeit der Fokus immer weiter zur Wiederverwertung verlagert hat.

75 Prozent der Abfälle werden heute verwertet

„Heute werden 75 Prozent der Abfälle verwertet. Die große Ausnahme sind die Kunststoffe.“ Es gibt ganz einfach viel zu viele verschiedene Sorten. Um Kunststoff wiederzuverwerten, müsste er sortenrein getrennt werden. Das ist allein schon wegen der Menge und Vielfalt nur sehr begrenzt machbar.

Überhaupt ist der Begriff „Verwertung“ dehnbar. Nur zum Teil meint er: Aus altem Material neue Dinge gleichen Materials machen. Papier und Glas sind da die gängigsten Beispiele. Aber auch Bioabfälle, die vollständig zu Biogas und Kompost werden.

Die nächste Stufe darunter würde bedeuten: Aus altem Material Rohstoffe für die Herstellung völlig anderer Dinge zu gewinnen.

Wo Recyceln nicht möglich oder nicht sinnvoll ist, kommt die energetische Verwertung ins Spiel. Heißt: Die Verbrennung. Zum Beispiel in Stahl- oder Zementwerken oder in Kraftwerken. Die AWG betreibt sogar selber eins in Blumenthal. Ein ehemaliges Steinkohlekraftwerk, das jetzt komplett mit Abfall befeuert wird. Windkraft und Photovoltaik kommen darüber hinaus noch dazu. „Strom machen wir schon lange. Wir haben so viel Strom, dass wir den sogar verkaufen müssen. Jetzt fangen wir an, auch die Fernwärme zu vermarkten.“

Foyer des Syker Rathauses.
„Nicht die Säulen der Erde, aber der Abfallwirtschaft.“ AWG-Geschäftsführer Andreas Nieweler (Mitte) und Pressesprecher Dominik Albrecht weihen im Vorwerk eine kleine Wanderausstellung über 50 Jahre Abfallwirtschaft im Landkreis Diepholz ein. Ab sofort geht sie auf Tour. Die erste Station ist das Foyer des Syker Rathauses. © Michael Walter

Für die nähere Zukunft sind die großen Themen bei der AWG: Den kompletten Fuhrpark auf alternative Antriebe umzustellen und insgesamt klimapositiv zu werden. Heißt: Mehr CO2 zu binden, als auszustoßen.

„Der beste Abfall ist der, der gar nicht erst entsteht“, hatte Andreas Nieweler in seinem Vortrag erklärt. Eine Nachfrage aus den Zuhörerreihen griff diese Aussage auf: „Ob meine Tonne voll, halbvoll oder fast leer ist – ich zahle immer die gleiche Gebühr. Gibt es da Möglichkeiten, das anders zu machen?

Gibt es, antwortete Nieweler. „Wir haben uns aber bewusst dagegen entschieden.“ Solche Systeme seien schon vielerorts ausprobiert worden. Die Erfahrung daraus: „Der Bürger ist erfinderisch. Die Leute haben ihren Abfall mit zur Arbeit genommen und in den Betrieben weggeschmissen.“

Das Qualitätsmanagement geht bis in die Zerlegebetriebe

Ob die AWG auch Abfälle ins Ausland exportiert, wollte ein anderer Zuhörer wissen. „Wir glauben, dass ein Teil der Kunststoffe in den Markt geht“, antwortete Nieweler. Denn die Kunststoffe verarbeitet die AWG nicht selber weiter, sondern liefert sie zu Sortierbetrieben. Was dann dort damit passiert, kann sie nur begrenzt nachvollziehen. „Wir versuchen, in allen Bereichen mit zertifizierten Unternehmen zusammenzuarbeiten. Es gibt aber auch schwarze Schafe. Unsere Qualitätssicherung geht so weit, dass wir in die Zerlegebetriebe gehen und nachsehen.“

Das war dann wieder so ein Punkt, an dem Andreas Nieweler sich zügeln musste. Denn auch dazu hätte er noch zwei Stunden erzählen können. Und es wäre sicher nicht langweilig geworden.

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