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„Ich mach, worauf ich Bock hab“

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Von: Michael Walter

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Felicia Schley und ihre kleine Schafherde. Sieben Tiere hat sie im Moment. Dabei soll es nicht bleiben. Aber derzeit muss sie Wolle von anderen Haltern hinzu beziehen, um auf die Menge zu kommen, die sie selbst verarbeitet.
Felicia Schley und ihre kleine Schafherde. Sieben Tiere hat sie im Moment. Dabei soll es nicht bleiben. Aber derzeit muss sie Wolle von anderen Haltern hinzu beziehen, um auf die Menge zu kommen, die sie selbst verarbeitet. © Michael Walter

Syke – Möööööööh! – Felicia Schley bleibt nicht lang alleine auf der Weide. Sie hat sogar noch nicht einmal das Gatter hinter sich richtig geschlossen, da kommt auch schon das Begrüßungskomitee. Auf das Leitschaf folgt ein weiteres, dann ein drittes. Und schließlich ist die 34-Jährige von sieben Schafen umzingelt, die alle ein bisschen Aufmerksamkeit, ein paar Streicheleinheiten und – vor allem – ein paar von den Leckerlis haben wollen:

Ein paar Pressfutter-Pellets, die Felicia immer in der Jackentasche dabei hat.

Die sieben Schafe sind für Felicia Schley weit mehr als ein Hobby: Sie sind seit gut einem Jahr ihr Lebensunterhalt. Und das überrascht sie selbst manchmal immer noch ein bisschen. Denn mit Schafen hatte sie bis dahin überhaupt nichts am Hut.

In Neubruchhausen ist sie groß geworden. 2007 hat sie am Gymnasium Syke ihr Abi gemacht. Und danach Einzelhandel gelernt, bei Ikea. 2012 kam ihre Tochter zur Welt. Danach hat sie umgesattelt und angefangen, selbst Kinder zu betreuen. „Ich hab Familien mit besonderem Hilfsbedarf betreut“, erzählt sie. „In einem Groß-Tagespflegebetrieb in Weyhe.“ Der entscheidende Vorteil für sie: „Ich konnte mein Kind immer mit zur Arbeit nehmen.“ Aber mit Corona war das vorbei. „Mit den Corona-Auflagen ging das nicht mehr.“

Das ist der Punkt, an dem ein Stück weit der Zufall eine tragende Rolle spielt. Denn drei Dinge passierten jetzt fast gleichzeitig unabhängig voneinander: Mehr oder weniger aus Langeweile hatte Felicia Schley einen Filz-Kurs und einen Spinnkurs belegt. Und: „Freunde um die Ecke züchten Schafe. Die haben mir erzählt, sie müssen die Wolle als Sondermüll entsorgen. Da hab ich mir gedacht: Ich will doch mal ausprobieren, was man mit der Wolle alles machen kann.“

So gut wie keiner weiß mehr, wie es geht

Wenn man sich vor Augen führt, dass der Bremer Raum vor 100 Jahren der Weltmittelpunkt der Wollindustrie war, mag man es kaum glauben. Aber es gibt heute tatsächlich in Deutschland fast niemanden mehr, der Rohwolle verarbeitet. Und nicht nur die Infrastruktur ist verloren gegangen, auch das Wissen um die handwerklichen Techniken. Wolle waschen, Wolle zupfen, Wolle kämmen: Felicia Schley musste sich fast alles selbst aneignen. Und Wolle hat ihre Tücken. Das ist nichts, was man von jetzt auf gleich lernt.

Die Wolle von den Schafen ihrer Freunde konnte Felicia Schley irgendwann gut verarbeiten. „Aber die war nur grau.“ Und das war ihr zu langweilig. Eine Freundin in Österreich züchtet Bergschafe. „Das ist eine vom Aussterben bedrohte alte Haustierrasse. Die gibt es in Deutschland fast nirgends“, erzählt sie. „Und ich dachte mir: Wenn ich jetzt was mit Wolle mache, dann will ich was Nachhaltiges machen.“

In Tirol und im Sauerland erwarb sie zwei tragende Schafe. Heute zählt ihre kleine Herde sieben Tiere. Braune, graue, weiße und ein schwarzes. Das soll noch nicht das Ende sein. „Aber wir schauen mal, wie sich das entwickelt.“

So wird ein Hut draus: Felicia Schley zieht den vorgefilzten Rohling über die Form und passt ihn an.
So wird ein Hut draus: Felicia Schley zieht den vorgefilzten Rohling über die Form und passt ihn an. © Delilah Schley

Einmal im Jahr werden die Tiere geschoren. Pro Schaf ergibt das gut fünf Kilo Rohwolle. Viel zu wenig, um davon leben zu können. Also muss Felicia Schley Wolle zukaufen. „Inzwischen hat sich da ein Netzwerk entwickelt“, erzählt sie. „Ich verarbeite bestimmt Wolle von 70 Schafen. Die Züchter sind ganz dankbar dafür, denn sie müssten die Wolle sonst ja wegwerfen.“ Ein Umstand, der Felicia noch immer irritiert. „Für mich ist das buchstäblich ein nachwachsender Rohstoff und kein Abfall!“

Aber Corona hat vieles kaputtgemacht. „Vorher ist Wolle containerweise von Deutschland nach China verschifft worden und kam dann in Form von Fertigtextilien wieder zu uns zurück“, erzählt Schley. „Mit Corona durfte die Wolle dann nicht mehr exportiert werden.“ Damit ist der Markt zusammengebrochen. „Die Leute mussten die Wolle jetzt kostenpflichtig entsorgen. Die waren froh, dass ich sie genommen habe.“

Katze von hinten, Batman und Hexe im Anflug: Diese Comic-Motive verzieren wollige Wärmflaschentaschen.
Katze von hinten, Batman und Hexe im Anflug: Diese Comic-Motive verzieren wollige Wärmflaschentaschen. © Felicia Schley

Felicia Schley verarbeitet die Rohwolle in ihrer eigenen kleinen Werkstatt zu Filz. Und daraus macht sie dann Hüte, Hausschuhe, Taschen, Kissen, Wärmflaschenbezüge und manchmal auch ein bisschen Schmuck und Deko.

„Mit meinen ersten Versuchen bin ich dann ganz aufgeregt zu Susanne Schmid gegangen“, erzählt sie. „Das ist die Veranstalterin vom Wollzirkus in Bassum. Ich hab sie gefragt, was sie von meinen Arbeiten hält. Und sie hat gesagt: Mensch, wo bist du nur all die Jahre gewesen?“

Und jetzt fährt Felicia Schley also auf die Kunsthandwerkermärkte und Hut-Ausstellungen der Region. Sie hat sich sogar extra einen Hänger gekauft, den sie als Verkaufswagen nutzt. „Ich wollte es einmal richtig machen“, sagt sie lachend. „Nicht immer erst: Zelt aufbauen, lange auspacken, lange einpacken, Zelt wieder abbauen.“

Das macht Felicia Schley alles aus Wolle. Hausschuhe, Hüte, Taschen und hin und wieder ein bisschen Deko.
Das macht Felicia Schley alles aus Wolle. Hausschuhe, Hüte, Taschen und hin und wieder ein bisschen Deko. © Felicia Schley

Und kann man davon leben? – Felicia lacht. „Doch“, versichert sie. Und noch mehr. Durch die Schafe ist für sie sogar ein Traum in Erfüllung gegangen. „Es ist sehr abwechslungsreich. Kein Tag ist wie der andere. Mal muss ich die Wolle verarbeiten, mal Ausstellungen planen. Dann muss ich die Tiere versorgen. Dann klingelt wieder das Telefon: Ob ich demnächst mal meine Öko-Rasenmäher vorbeibringen kann? Dann muss ich die Schafe umweiden. Es wird nie langweilig.“

Felicia Schley kramt in der Jackentasche nach den letzten Leckerlis für ihre Schafe und blickt stolz auf ihre Herde. „Ich mach’ jetzt das, worauf ich wirklich Bock hab. Dann hast du auch nicht das Gefühl, dass du arbeitest.“

Von Michael Walter

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