Steinmetzlehre statt Abitur

Sulingen – Es ist eine nicht nur sprichwörtlich schwerwiegende Entscheidung, die Louis Löhmann da getroffen hat: Statt in Richtung Abitur zu gehen, wählt der 16-Jährige nach der 10. Klasse eine Lehre zum Steinmetz. Zukunftstag und Praktikum hätten ihn bestärkt in dieser Wahl, erzählt der junge Auszubildende. Handwerk generell und die Zeit im Sulinger Traditionsbetrieb Richter im Besonderen gefielen.
Und Ausbilder Heiko Richter bescheinigt seinem neuen Schützling: „Er hat ein Auge dafür.“
Alles deutet zwar darauf hin, dass die Hände wichtig sind in diesem Job und dabei insbesondere, dass es nicht zwei linke sind. Aber auch ein „Auge“ für die Arbeiten an sich. Richter ist wichtig, dass sich beide Seiten bei einem Praktikum kennenlernen können, als Arbeitgeber könne er so sehen, wie die Arbeit angegangen wird – und ob die Chemie stimmt.
Bei Heiko Richter, seinem Team und Louis Löhmann aus Stocksdorf passte alles, deshalb ist der 16-Jährige nun auf dem Weg zum Steinmetz. Ein Beruf, den Heiko Richter als „krisensicher“ bezeichnet. Ein Beruf, den Louis Löhmann gewählt hat, weil er ihn hier in der Region ausüben kann. Der 16-Jährige hat konkrete Pläne für seine Zukunft, will im gewohnten Umfeld bleiben, später gerne mit eigener Familie – und finanzielle Sicherheit.
Zwischen künstlerischen Sonderaufträgen und dem Alltag mit Friedhofsarbeiten
Grundsolide, wie das Handwerk, dass er sich ausgesucht hat. Louis Löhmann sieht sich als Handwerker, weniger als Künstler. Steinmetz ja, Bildhauer eher nicht. Für Heiko Richter indes ragen die bildhauerischen Arbeiten, Sonderaufträge für Kirche oder Kommune, heraus aus dem Alltag, den die Friedhofsarbeiten gemeinhin bestimmen.
Heiko Richters Familienbetrieb ist seit Langem an der Lindenstraße in Sulingen heimisch. Heraus rage die Zusammenarbeit mit dem einstigen Sulinger Kunsterzieher und Künstler Robert Enders. Der Froschbrunnen aus „Rochlitzer Porphyr“ etwa, der „Nero Impala Granit“, der für den Leserbrunnen genutzt wurde oder der Granit für den Sensenschmied – diese Projekte, unter anderen, habe die Firma mit Enders realisiert, erinnert Richter.

Ähnlich verwoben sieht sich Louis Löhmann mit der Region, weshalb er, Stand jetzt, ausschließe, auf die Walz gehen zu wollen. Aber reisen, das tue er gerne. In der Berufsschulklasse (bundesweit einziger Standort: Königslutter) sind in diesem Jahr „so viele Steinmetzlehrlinge wie nie“. 68 Personen wollen neu oder mit neuem Ziel in diesem Beruf starten. Alle Altersklassen seien darunter, sagt Louis, er ist der Jüngste. Der 41-jährige Lehrlingskollege sei unlängst Opa geworden.
Einsatzorte auch international denkbar
Auf dem Lehrplan stehen auch interessante Einsatzorte international. Etwa der griechische Parthenon-Tempel aus Pentelischem Marmor, ein schwerer Stein und schwer zu bearbeiten. Dafür halte er ewig, heißt es. Der Tempel wird derzeit rekonstruiert. „Und da gleicht kein Stein dem anderen“, ist Louis Löhmann fasziniert.
Der Beruf ist nachgefragt, alle Betriebe, die Heiko Richter kennt, suchen Mitarbeiter – aber, so Richter, Kollege Rainer Tolle in Diepholz und er selbst in Sulingen seien die Einzigen im Landkreis Diepholz, die noch ausbilden.
Nur noch zwei Betriebe im Landkreis Diepholz bilden aus
Für die Arbeit mit Naturstein legt Heiko Richter früh die Grundlage: Louis Löhmann hat bereits seinen eigenen Werkzeugkasten, bearbeitet sein erstes eigenes Übungsstück aus Obernkirchener Sandstein.
Und er hat Hornhaut – auf der Handfläche, die das Eisen umschließt, sowie am kleinen Finger. Wieso dort? Heiko Richter und Louis Löhmann grinsen beide und verraten: Der Steinmetz hält, um das Eisen besser führen zu können, dieses zwischen kleinem Finger und Ringfinger. Für gröbere Arbeiten um schließt die Faust das Eisen, aber für die filigraneren Sachen, etwa Schriften, wird das Eisen anders gehalten. Und da bilde sich im Laufe der Jahre ein richtiger „Steinmetzhuckel“ am kleinen Finger.
Louis Löhmann hat auch schon festgestellt, dass nicht jede Arbeit Spaß macht, sagt aber ganz pragmatisch: „Das gehört nun mal zum Arbeitsleben dazu, dass man nicht immer nur die einfachen oder tollen Sachen macht.“ Für Heiko Richter gehört unbedingt dazu, dass die Kräfte und Ressourcen der Mitarbeiter im Hinblick auf das schwere Arbeitsmaterial geschont werden. Technische Hilfsmittel für Hebe- und Transportarbeiten sind selbstverständlich und auch, dass Kollegen sich helfen, wo schwere Gegenstände bewegt werden.
Wenn so viel körperliche Arbeit zum Tagesablauf gehört – ist da noch ein Fitnessstudio notwendig? „Ja“, sagt Louis Löhmann. Er absolviert spezielles Training zur Stärkung der Rückenmuskulatur. Das Praktikum einst habe nämlich auch dazu gedient, herauszufinden, ob er den ganzen Tag würde stehen können, um den Stein zu behauen.
Einsatz von Maschinen problematisch
Tatsächlich kann ein Steinmetz mit Aufträgen, wie Heiko Richter sie hat, eben kaum eine Maschine einsetzen. Lasern? Das dringe nicht tief genug in den harten Stein ein, das könne nur per Hand in dem „knüppelharten Material“ erfolgen. Die sündhaft teureren Spezialgeräte, etwa Graviermaschinen, seien nicht einsetzbar im Familienbetrieb, weil hier jeder Auftrag ein Einzelstück sei und die Geräte eher maschinelle Massenware produzieren. Sich auch nur bei hohen Stückzahlen lohnen.
Im Klartext: Jeder Grabstein ist halt anders. „Schrifthauen“ steht für Louis Löhmann erst im zweiten Lehrjahr auf dem Plan, Heiko Richter bietet seinem Lehrling von Anfang an aber die konkrete Arbeit am Stein an – am Übungsstück. Ausdrucke des computergenerierten Entwurfs, auch in einer 3D-Version, gehören jedoch auch zum Alltag: Der Kunde muss anhand eines solchen Ausdrucks festlegen, ob ihm ein Schriftzug gefällt.
Ist ein Name erst in Stein gemeißelt, ist es für Korrekturen zu spät.
Von Sylvia Wendt