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Verhandlung mit Überraschungseffekt: Hü und hott des Jobcenters führt zum Freispruch erster Klasse

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Von: Volker Rathmann

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Eine Verhandlung mit Überraschungseffekt erlebte das Amtsgericht Sulingen.
Eine Verhandlung mit Überraschungseffekt erlebte das Amtsgericht Sulingen. © Bartels

Das Amtsgericht Sulingen erlebt eine Verhandlung mit Überraschungseffekt. Am Ende stehen zwei Freisprüche erster Klasse und ein verärgertes Gericht wegen einer durch das Jobcenter nicht kommunizierten Rolle rückwärts.

Sulingen – Eine überraschende Wendung nahm ein Strafverfahren vor dem Amtsgericht Sulingen gegen Vater und Tochter wegen Betruges. Dem 53-jährigen Mann aus Sulingen und seiner 24-jährigen Tochter mit offiziellem Wohnsitz in Augustdorf/NRW wurde laut Anklage vorgeworfen, im Zeitraum vom 7. Juni 2020 bis 7. Januar 2021 staatliche Leistungen in Höhe von cirka 2 700 Euro zu Unrecht kassiert zu haben.

Die staatsanwaltlichen Ermittlungen, die schließlich zur Anklage und Hauptverhandlung führten, wurden durch eine entsprechende Mitteilung des Jobcenters im Landkreis Diepholz ins Rollen gebracht. Demnach hatte die 24-jährige, die in ihrem Elternhaus in Sulingen in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft lebt(e), dem Jobcenter gegenüber eine Ummeldung des Wohnsitzes nicht mitgeteilt. Allein aufgrund dieser Tatsache errechnete das Jobcenter eine Überzahlung von staatlichen Leistungen gegenüber der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 2 684,45 Euro und forderte diese zurück. Eine Betrugsanzeige wurde initiiert.

Während die strafrechtlichen Ermittlungen ihren Lauf nahmen, wehrte sich die 24-jährige gegen die Rückforderung des Geldbetrages und erklärte gegenüber dem Jobcenter form- und fristgerecht ihren Widerspruch. Während ihrer Vernehmung durch die vorsitzende Richterin legte die Angeklagte einen sogenannten Abhilfebescheid des Jobcenters vor, der beinhaltete, dass man nunmehr auf eine Rückforderung der Geldleistungen verzichte. Womit dem Gericht der Grund der Verhandlung abhanden gekommen war.

Staatsanwaltschaft und Gericht kritisierten in der Verhandlung ausdrücklich das Vorgehen des Jobcenters. Offenbar wisse dort die rechte Hand nicht immer, was die linke tue. Es könne nicht sein, dass von dort angezeigte Sachverhalte, die man zunächst als strafbar bewerte, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht gegenüber nicht klargestellt werden, wenn sich der Vorwurf quasi in Luft auflöse. Offenbar hätte eine interne Überprüfung des Widerspruchs im vorliegenden Fall ergeben, dass eine Rückzahlung der erhaltenen Leistungen durch die Angeklagten nicht geboten war – ansonsten hätte es ja den Abhilfebescheid nicht gegeben. Somit liege auch keine Betrugsstraftat vor. Man binde auf diese Art und Weise Ressourcen der Justiz und verursache unnötige Kosten. Eine Anklage hätte es im vorliegenden Sachverhalt nur deshalb gegeben, weil die Strafverfolgungsbehörden über den Abhilfebescheid nicht informiert waren.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurden die Angeklagten freigesprochen. Da das Gericht von der Unschuld überzeugt war, spricht man auch von einem Freispruch erster Klasse. Etwaige Gerichtskosten gehen zu Lasten der Landeskasse.

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