„Freie Wähler Stuhr“ statt FDP: Ex-Liberale gründen eigenen Verein

Die einstigen FDP-Mitglieder Wolfgang Kitow und Jan-Alfred Meyer-Diekena wollen den Verein „Freie Wähler Stuhr“ gründen. Er versteht sich als Antwort auf die Politik- und Parteienverdrossenheit, wie es im vorläufigen Programm heißt. Die Gründer setzen auf Ehrlichkeit, Transparenz und Dialogbereitschaft.
Stuhr – Die politische Landschaft der Gemeinde Stuhr dürfte bald um einen Farbtupfer reicher sein. In Blau und Orange kommen die „Freien Wähler Stuhr“ daher, die sich noch in Gründung befinden, aber schon ambitionierte Ziele verfolgen. Zur Kommunalwahl im Herbst 2026 möchte der nicht eingetragene Verein mit einer eigenen Liste antreten, nach Möglichkeit in Stuhr und im Landkreis Diepholz. So ist es im Entwurf der Satzung verankert, der der Kreiszeitung vorliegt.
Gründer wünschen sich mehr Transparenz
Hinter der Gründung stehen mit Jan-Alfred Meyer-Diekena und Wolfgang Kitow zwei ehemalige Mitglieder des FDP-Ortsvereins Stuhr. Beide sind nach eigener Auskunft Anfang Februar aus der Partei ausgetreten – ebenso wie zwei weitere Liberale, die sich dort nicht mehr mit ihren Vorstellungen wiedergefunden hätten. „Die Rahmenbedingungen haben es nicht zugelassen, dass wir die von uns favorisierte Politik umsetzen können“, so die etwas nebulöse Begründung Meyer-Diekenas. Konkreter: „Ein Mal im Jahr eine Mitgliederversammlung: Darin drückt sich keine Nähe zur Basis aus.“ Da wünsche er sich mehr Transparenz.
„Das machen wir anders“, fügt Kitow hinzu. „Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt des Geschehens. Unsere Idee ist, alle Mitglieder jederzeit mitzunehmen.“ Er kündigt „Diskussionsrunden statt geschlossene Veranstaltungen“ an. So, wie er es mit seinen „Liberalen Themenabenden“ bereits begonnen hatte. Vier Mal hatte er diese Runde zu aktuellen Fragestellungen veranstaltet. Das Format sei eingestellt, das Ziel geblieben: „Konflikte aufdröseln und die Menschen in die Diskussion bringen.“ Information und Kommunikation sind auch im Zweck der Satzung festgeschrieben, das Ganze „ohne Parteienbindung bei der politischen Willensbildung“.
„Mehr Demokratie leben“, den Demokratiebegriff wieder in die Bevölkerung bringen, das haben sich Meyer-Diekana und Kitow vorgenommen. Erst recht in Zeiten, wo der der gesellschaftliche Zerfall drohe. „Es ist notwendiger denn je, dass Politik auch von uns Älteren weitergeführt wird“, sagt Meyer-Diekena, der ebenso wie Urgestein Jürgen Timm mit Ablauf der vergangenen Wahlperiode aus dem Gemeinderat ausgeschieden war. Ab da hat die junge Generation um den Fraktionsvorsitzenden Alexander Carapinha Hesse das Ruder übernommen.
Nicht im Streit die FDP verlassen
„Nicht im Streit“ hätten sie ihre einstige politische Heimat verlassen, wie Meyer-Diekena betont. So sieht es auch Kitow: „Wir wollen ohne Groll nach hinten schauen, aber mit Zuversicht nach vorne.“ Ihm sei klar, dass von außen nach Wunden gesucht werde. Doch so große Wunden gebe es da gar nicht. Gleichwohl dürfe man den Schritt hin zu einem eigenen Verein durchaus als Kritik an den bestehenden politischen Verhältnissen in der Gemeinde auffassen.
„Der Bürger empfindet viele Entscheidungen als von oben auferlegt“, stellt Kitow fest. Als Beispiel nennen die beiden den geplanten Bau von Flüchtlingsunterkünften in Stuhr – ein Thema, das zuletzt hohe Wellen geschlagen hat. „Das muss man den Leuten vernünftig vermitteln“, finden sie.
Kitow führt auch die allgemeine Politikverdrossenheit an, die sich in der niedrigen Wahlbeteiligung von 57,1 Prozent bei der vergangenen Kommunalwahl widerspiegele. „43 Prozent der Menschen sind nicht interessiert, sich politisch einzubringen. Was läuft da schief?“, fragt Kitow. Dieser Entwicklung wollen er und seine Mitstreiter entgegenwirken.
Analyse des CDU-Politikers Bosbach als Leitfaden
Vor Kitow liegt das Buch „Wer glaubt uns noch? Warum Politik an Vertrauen verliert und was wir dagegen tun können“ des CDU-Politikers Wolfgang Bosbach. „Kann ich sicher sein, dass ich nicht durch Worte oder Gesten getäuscht werde? Kann ich sicher sein, dass sich die politischen Repräsentanten so verhalten, dass sie den an sie gestellten Anforderungen und Erwartungen immer gerecht werden? Oder besteht nicht eher die Gefahr, dass die da oben viel zu oft Gemeinwohl mit Eigennutz verwechseln?“ Diese Fragen Bosbachs stellen sich auch Kitow und Meyer-Diekena. „Das sind Erfahrungen, die wir, die wir schon länger in der Politik sind, gemacht haben“, sagt Meyer-Diekena. Im Alter könnten sie sich „noch mehr einbringen, ohne an die eigene Karriere zu denken. Die Karriere ist nicht mehr da. Wir wollen was verändern, verbessern.“
Die Analyse Bosbachs dient gewissermaßen als Leitfaden für die „Freien Wähler Stuhr“. Doch dass Kitow und Meyer-Diekena künftig unter christdemokratischer Flagge segeln, ist nicht zu erwarten. Die Grundausrichtung bleibe liberal, versichern sie. Ihren Verein, der ohne Hierarchien auskomme, betrachten sie nicht als Konkurrenz, sondern als „Zuarbeiter mit guten Ideen und fachlichem Rat, gegebenenfalls durch externe Berater.“
Bei der Gründung haben die beiden über die Gemeindegrenzen hinaus nach Syke geschielt, wo die Freien Wähler seit Längerem an einer Erfolgsstory schreiben. Bei den Kommunalwahlen im September vergangenen Jahres kamen sie auf 26 Prozent der Zweitstimmen. Mit neun Mandaten sind sie die stärkste Fraktion im Syker Stadtparlament. 32 Personen standen auf der Wahlliste. In sieben von zehn Ortschaften stellen sie den Ortsbürgermeister, in fünf weiteren dessen Stellvertreter.
Von einer solchen Entwicklung sind die Stuhrer Kollegen zwar noch weit entfernt. Die für eine Gründung notwendige Zahl an Mitstreitern haben sie aber nach eigener Auskunft bereits zusammengetrommelt.