Wenig Rechte – viel Arbeit

Landkreis Diepholz - Von Anke Seidel. Sie waren über Jahrhunderte das Rückgrat der ländlichen Bevölkerung und lebten teilweise unter unvorstellbaren Bedingungen: Heuerlinge – Menschen, die unterhalb der Bauern, aber über den Landarbeitern und Pächtern standen. Für alle galt: „Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen.“
Genau diesen Titel trägt das neue Buch von Bernd Robben und Helmut Lensing, in dem sie die Geschichte des Heuerlingswesens mit ihren vielen Facetten und Fakten dokumentieren. „Teilweise gehörten bis zu 80 Prozent der Einwohner eines Dorfes zu dieser sozialen Schicht“, wissen Robben und Lensing. „Daher besitzt ein beträchtlicher Anteil der Altbevölkerung des deutschen Nordwestens, also der Menschen, die hier schon im 19. Jahrhundert ansässig waren, Heuerleute als Vorfahren.“
In dem knapp 300 Seiten starken Geschichtsband geben die Autoren den Heuerlingen ein Gesicht, beschreiben ihre Lebensumstände und beweisen anhand von Zahlen und Fakten, warum diese – oft in bitterer Armut lebende – Landbevölkerung unverzichtbar war.
Ihre Geburtsstunde war mehr als bitter. Denn sie ist eng verknüpft mit Plünderungen durch umherziehende Söldnertruppen im 30-jährigen Krieg: „Etliche Bauern gerieten dadurch in solche Bedrängnis, dass sie ihre Höfe verließen“, ist darüber nachzulesen. Auch wenn es später unter dem Druck der Landesregierungen gelang, diese Höfe wieder zu besetzen: Für die wachsende Bevölkerung war längst nicht genug Platz auf den Höfen.
„Daher bildete sich eine neue Schicht, die mit wesentlich geminderten Rechten innerhalb der Dorfgemeinschaft ausgestattet nicht mehr im strengen Wortsinn eine bäuerliche war“, erklären die Autoren. „Im Unterschied zu den bisherigen bäuerlichen Schichten verfügte sie nämlich nicht über eigenes Land.“ Anders ausgedrückt: Heuerlinge mussten die Pacht für das Land und die Miete für das Haus erwirtschaften – und stellten dafür ihre Arbeitskraft in den Dienst des Bauern. Allerdings, so haben Helmut Lensing und Bernd Robben recherchiert, gab es auch Mischformen zwischen Geldpacht und Arbeitsleistung.
Im heutigen Landkreis Diepholz war dieses Heuerlingswesen stark verbreitet. So lebten den Recherchen der Autoren zufolge 1859 in den Kreisen Diepholz 756 Heuerlinge und in Hoya 835, während es in Nienburg 258 waren. Zum Vergleich: In Detmold zählte man damals 80 Heuerlinge.
„Viele Bauern gingen bald nach der Entstehung des Häuslingswesens dazu über, eigens Heuerhäuser in Hofnähe zu errichten“, ist in dem Werk nachzulesen. Mensch und Tier lebten in einem Raum: „Auf beiden Seiten der Diele befanden sich die Ställe für das Vieh. Die Häuser waren klein und sehr einfach gebaut.“ Für die Menschen heute sei einfach unvorstellbar, „dass in den Heuerhäusern über viele Generationen die Menschen mit den Tieren zusammen in einem Raum lebten.“ Die Wohnküche am oberen Ende der Diele sei nur deshalb nicht durch eine Wand abgetrennt gewesen, „weil die Bewohner in den kalten Wintermonaten auf die abstrahlende Körperwärme der Tiere angewiesen waren“.
Was hatten Heuerlinge zu leisten? In der Regel mündlich festgelegte Dienste auf dem Felde oder ungemessene Dienste fielen darunter: schwammig beschriebene Tätigkeiten. Gegen diese ungemessenen Dienste konnten sich die abhängigen Heuerleute kaum wehren: „Akzeptierten sie die gängigen Vereinbarungen nicht, bekamen sie keine Stelle.“
Wie die Betroffenen versuchten, durch Kreativität und Selbstversorgung, durch Hollandgängerei (als Wanderarbeiter ins Nachbarland) oder Auswanderung nach Amerika ihr Schicksal zum Besseren zu wenden, beschreiben die Autoren in insgesamt 21 Kapiteln – und sparen dabei weder die Weimarer Republik noch die NS-Zeit aus.
Bernd Robben/Helmut Lensing
„Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen!“
ISBN 978-3-9814041-9-7