Neue Chance für alte Rasse

Kirchdorf - Krach machen nur die beiden Hunde, angesichts von Besuch auf dem Hof: Völlig unbeeindruckt davon bleiben die Pferde von Adelheid Rohlfs. Die Kirchdorferin ist staatlich anerkannte Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin (BA) – ebenso aber auch Reitpädagogin mit C-Trainerschein. Und für ihre Arbeit im therapeutischen Reiten braucht sie einen Vierbeiner, der für diese spezielle Arbeit geeignet ist. Das ist das dritte berufliche Standbein der Kirchdorferin: Pferdezüchterin.
Die Rasse der Urfreiberger hatte es ihr angetan. Doch als sie einen Nachfolger für ihr ausgebildetes Pferd suchte, kam die erschreckende Erkenntnis: Auch in diese Rasse werden andere eingekreuzt. Der ruhige und gutmütige Charakter der Urfreiberger (der auch ein Therapiepferd auszeichnet), ist egal – gewünscht werde eine schickere, edlere Silhouette für das Pferd, ein sportlicher Charakter. Kurzum: Die Pferderasse, die eigentlich eher Kutschen und Pflüge zieht, soll nun für Einsätze (und Erfolge) in Springreiten und Dressur umgezüchtet werden, sagt Rohlfs. Sie befasst sich daraufhin intensiv mit der Zucht der Freiberger, die jetzt als Urfreiberger firmieren.
Acht Pferde hat Adelheid Rohlfs aktuell im Stall
Und beschließt, eine eigene Zucht zu begründen. In Kirchdorf findet sie eine passende Immobilie, gründet hier ihren Reiterhof. Acht Pferde hat Adelheid Rohlfs aktuell im Stall: zwei Therapiepferde, eine Stute in Ausbildung, eine weitere zweijährige Stute wird wohl künftig ebenfalls in Ausbildung als Therapiepferd gehen sowie ein junges Fohlen, einen Aufzucht-Hengst, einen Deckhengst und ein Gnadenbrotpferd.

Die passionierte Reiterin, die als selbstständige Sozialbetreuerin arbeitet, hat Trainer- und Zusatzausbildungen für das therapeutische Reiten abgelegt. Sie biete keine Physiotherapie, sondern lege ihren Schwerpunkt auf die Arbeit mit psychisch erkrankten Erwachsenen, arbeite aber auch mit Integrationskindern im Kindergartenalter. Urfreiberger sind nur etwa 1,50 bis maximal 1,60 Meter hoch, haben einen, so Rohlfs, „super angenehmen, langsamen Galopp“. Rohlfs nimmt sie mit zwei Jahren an die Longe, dann beginnt die Ausbildung, die insgesamt vier Jahre umfasst – wenn sich das Pferd als Therapiepferd eignet.
Bundesweit nur wenige Züchter
Eine der ersten Hauptübungen: Sagt Adelheid Rohlfs „Brr“, lässt die Longe los und läuft auf das Pferd zu, soll das nicht weglaufen, wie der Vierbeiner es wohl instinktiv tun würde – sondern unbedingt stehenbleiben. In der Therapie könnte es ja passieren, dass Adelheid Rohlfs schnell eingreifen muss, weil der Patient Hilfe braucht. Umso wichtiger sei es, dass das Pferd interagiere: Nicht sofort auf den Reiter reagiert, sondern die Reaktion erst mit Rohlfs „abspricht“. Diese höchst differenzierte Beziehung aufzubauen, benötige Zeit, Ausdauer, intensives Training – und ein Pferd, dass zuchtecht ist. Laut Adelheid Rohlfs gibt es bundesweit nur wenige Züchter. Dazu einige in der Schweiz, der Italiener werde demnächst in Rente gehen und im französischen Jura sowie in Österreich fänden sich noch vereinzelt Züchter.
Die 54-Jährige muss deshalb viele Kilometer zurücklegen, wenn Züchtertreffen stattfinden, wenn es gilt, Pferde zu begutachten. Und die Klienten danken es ihr: „Bei dir sind es keine scheintoten Ponys, die als Therapiepferd eingesetzt werden“, zitiert Rolfs eine Patientin. Sehr sensibel reagierten die Pferde, sehr genau.
Positive Auswirkungen auf Körper und Psyche
Die Therapie-Fälle, die Adelheid Rohlfs aus ihrer Arbeit schildert, zeigen, wie wichtig das therapeutische Reiten als Element sein kann. Gerade jene Patienten, die vor einem Schicksalsschlag geritten sind, können hier eine Form von Freiheit wieder erlangen, die ihnen aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen (zum Beispiel aufgrund eines Schlaganfalls) verwehrt ist.
Die positiven Auswirkungen seien nicht nur körperlich, sondern auch psychisch messbar: Die Therapiestunde sei ein Stimmungsaufheller, biete – je nach Diagnose – Schlüsselerlebnisse, um Negatives wieder positiv zu besetzen. Nein, verschreiben lassen könne man sich die Reittherapie leider nicht, sie müsse privat gezahlt werden, bedauert Rohlfs.
Da dadurch weniger Patienten ihre Dienste buchen, ist dieses berufliche Standbein für Rohlfs nur ein Zusatz zu ihrem Hauptberuf als Sozialbetreuerin.
sis
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