Das Sulingen Projekt zeigt 1000-jährige Stadtgeschichte und ist jetzt im Kino

Lokale Geschichte als Film. Von Brand bis Wunder. Das Sulingen Projekt ist einzigartig – und nun im Kino.
Sulingen – Wenn eine Stadt ihr 1000-jähriges Jubiläum feiert (wie die Stadt Sulingen in 2029), wie kann man dann das Interesse an den alten Geschichten wecken? Warum nicht einen Film drehen und damit diese längst vergangenen Zeiten zum Leben bringen? Gute Idee. Allein: Wer macht das? In Sulingen kommt 2016 eine Gruppe kreativer Köpfe zusammen, um genau diese Idee umzusetzen. Vorgabe: Bitte keinen Imagefilm, wie es ihn vor fast 50 Jahren schon gegeben hat.
Ideengeber sind Martin Hermann und Frank Wenker. Hermann ist mit den „Filmemokern“, die einst mit der plattdeutschen Trilogie „Apparatspott“ nicht nur Star Trek Fans begeisterten, bereits lokale Filmsets gewöhnt. Würde es gelingen, wieder Laiendarsteller zu gewinnen? Die sich, weil als Hexe verurteilt, aufhängen lassen? Die sich die Pest ins Gesicht schminken lassen und keine Angst vor Mäusen haben? Die sich einen „Pisspottschnitt mit strammem Seitenscheitel“ in die sonst schulterlangen Haare schneiden lassen? Würde irgendjemand freiwillig original Nazi-Uniformen anziehen, um eine wegweisende Szene aus der politischen Geschichte der Stadt Sulingen nachzustellen? Die Antwort auf alle Fragen lautet heute: Ja.
23 Drehtage, 350 Statisten, 1000 Jahre Sulingen
Seit dem Start des Projektes im Jahr 2016 gab es 23 Drehtage, 350 Statisten, um besondere Ereignisse aus 1 000 Jahren Sulingen nachzustellen. Das Team, das zwischenzeitlich um Werner Focke, Christine Nordenholz und Kerstin Melloh-Kordes auf fünf Hauptköpfe angewachsen ist, hat 35 Interviews mit Zeitzeugen und Historikern geführt. Kostbare Interviews – einige der Protagonisten sind bereits verstorben.
Fast scheint es, dass mit jeder Minute, die recherchiert wurde zu einem Thema, ein anderes auftauchte. Der große Sulinger Brand vor 300 Jahren, das Sulinger Wunder von 1966, das Sulinger Woodstock 1980, die Sulinger Konvention von 1803: Wer kennt das?

Derjenige, der demnächst ins Kino geht: „Das Sulingen Projekt“ feiert am 23. März Premiere. Professionell, wie schon bei den Dreharbeiten, werden Hürden genommen. Dem Team gelingt es, sich von der Fülle an potenziellen Themen loszureißen und am 4. September 2022 tatsächlich zu verkünden: Der letzte Drehtag ist beendet.
Wie viel Filmmeter hast du gedreht, Martin? „Acht Terabyte“, sagt er lakonisch, wohlwissend, dass es eines „roten Fadens“ bedarf, um aus zig Szenen einen echten Filmgenuss zu formen. Dabei helfen Profis: Gerhard Snitjer etwa, Lektor, Sprecher und bekannter Moderator, sagt zu, spricht die überleitenden Texte. Martin Hermann ist zwar auch Musiker, aber Luigi-Maria Rapisarda ist professioneller Komponist, der dem Film ein musikalisches Kleid maßschneidert und ihm damit „das gewisse Etwas“ verleiht (O-Ton Martin Hermann).
Filmfreigabe ab zwölf Jahren
Die Freigabe „FSK12“ bestätigt: Der Film bereitet gesellschaftliche Themen seriös auf und ist „für die Meinungs- und Bewusstseinsbildung der Altersgruppe ab zwölf Jahren bedeutsam“.
Sulingens Kinobetreiber Holger Glandorf hat längst einen Saal reserviert, um ab dem 24. März den Film auf der großen Leinwand zu zeigen. Er soll nicht der einzige bleiben. Dafür muss aber eine besondere Kopie bestellt werden – was klappt, sie ist schon da. Und, puh, ja, der Film sieht gut aus auf der großen Leinwand, ergibt die Probevorführung.
Und nun? Wie gehts dem Team? Ob Sulinger oder vor Jahrzehnten zugezogen: „Das meiste wussten wir noch nicht über Sulingen. Da war die Arbeit sehr lehrreich.“ Die aufgeregte Freude über den Start hatte sich mit den ersten umfangreichen Recherchen bereits ein wenig gelegt. Stattdessen: Spannung, was man noch alles entdeckt. Und die Erkenntnis: Das muss unbedingt strukturiert werden.

Die Zahl der Helfer, die mit dem fünfköpfigen Team gearbeitet hat, ist schnell um ein Vielfaches größer. Unterschätzt haben sie den Aufwand, besonders für die drei Szenen „Hexe Susewind“, „Franzosenzeit“ und „Die dunkle Zeit“ (Drittes Reich). Das Technische Hilfswerk trägt seinen Namen völlig zu Recht, kann im Nu einen Galgen fertigen (und zig andere Dinge organisieren). Eine Reenactmentgruppe hat genauste Kopien der Uniformen – und kommt auf einen Dreh über Hunderte Kilometer angefahren. Und der Kostümfundus in Berlin, der sonst an Hollywood liefert, liefert nun nach Sulingen für eine Szene, die im Februar 2020 allen Anwesenden das Blut in den Adern gefrieren lässt. Denn: Das Originalprotokoll der Ratssitzung aus dem Jahr 1933 gibt die Dialoge vor – und damit den Hass.
Die Professionalität der Macher lässt Sponsoren und private Geldgeber das Portemonnaie zücken. Die Zahl der Fans dieses besonderen Herzensprojektes wächst, auch dank Internet (Homepage: www.sulingen-projekt.de) und Social Media. Und so klappt auch die Besetzung: „Wir drehen“ heißt es am Anfang – und es waren Komparsen da. Zuletzt wurde gecastet, damit nicht zu viele Laiendarsteller vor Ort sind.
Der Film selbst zählt nun zur Geschichte Sulingens
Was bleibt? Martin Hermann: „Durch den Film bleiben Ereignisse im Gedächtnis, man vergisst die Menschen nicht. Es ist doch spannend, dass es Orte gibt, an denen ich heute stehe und sagen kann: Hier ist Geschichte passiert.“ Kerstin Melloh-Kordes weist auf das „tolle historische Stadtbild“ von Sulingen hin: „Wir haben noch heute so viele schöne Fachwerkhäuser, die auf ein historisches Erbe verweisen.“ Und ergänzt: „Die Stadtgeschichte schafft eine regionale Verbundenheit.“ Der Film, das findet das Team, ist für eine Stadt in der Größenordnung von Sulingen ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.
Und nun? „Irgendwann ist auch mal gut“, heißt es unisono im Team. Themen für weitere Drehs gäbe es zwar genug, aber der Film ist jetzt fertig, ein einzigartiges Projekt nach sieben Jahren jetzt im Kino – und selbst „Geschichte“.
Das Team hat ihn schon gesehen. Was sagt ihr? „Bombastisch!“ „Gänsehaut!“ „Ich hatte feuchte Augen.“