Rechtsanwalt aus der Ukraine ist nun Hausmeister in Diepholz

Eine handwerkliche Ausbildung hat Volodymyr Chupryn nicht. In der Ukraine war er Rechtsanwalt. Jetzt arbeitet der 45-Jährige mit Hammer, Zange, Säge und Pinsel. Der Kriegsflüchtling aus Kiew ist Hausmeister im Gemeindezentrum von St. Michaelis an der Lüderstraße in Diepholz geworden. Mit seiner Familie und Verwandten wohnt er im Pfarrhaus um die Ecke.
Diepholz – Wenige Stunden vor Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 war V olodymyr Chuprynaus der Ukraine nach Deutschland gekommen – mit dem letzten Flugzeug. An Bord waren auch seine beiden Kinder Ivan und Maria. Seine Frau Anna, ein weiterer Pflegesohn und Verwandte kamen später mit dem Auto nach. „Als eine russische Rakete in der Nähe des Hauses meiner Mutter einschlug, stiegen die Eltern meiner Frau und meine 85-jährige Mutter in mein Auto und kamen auch zu uns.“, berichtet Volodymyr Chupryn.
Nicht als Flucht geplant
Der Flug nach Deutschland war nicht als Flucht geplant. „Wir wollten meine Schwester Natalia Horwat besuchen, die in Diepholz als Ärztin arbeitet“, erklärt der 45-jährige Ukrainer. Er blickt auf eine gute Zeit in seiner Heimat vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges zurück: „Meine Frau und ich haben in der Ukraine gutes Geld verdient. Gemeinsam mit den Kindern haben wir die halbe Welt bereist. Wir waren in Mittelamerika, Afrika, Indonesien und Indien.“
Doch das fand mit dem russischen Angriff ein plötzliches Ende. Trotzdem macht Volodymyr Chupryn keinen unglücklichen Eindruck. Sein christlicher Glaube hilft ihm. Und viele Menschen in Diepholz haben ihm und seiner Familie geholfen. Darauf ruht sich der 45-Jährige nicht aus. Er arbeitet in einem Job, der so ganz anders ist als der eines Anwalts. Er möchte etwas zurückgeben.
Für Ordnung im Gemeindezentrum St. Michaelis zuständig
Volodymyr Chupryn übernahm einen Teil der zurzeit krankheitsbedingt vakanten Küsterstelle und ist nun für die Ordnung im Gemeindezentrum und drumherum zuständig. Er hat auf eigene Initiative schon viel repariert, hat unter anderem Treppen-Handläufe und Türzargen saniert. Pastorin Kathrin Wiggermann ist voll des Lobes für seine Arbeit: „Volodymyr ist handwerklich sehr begabt.“ Er habe auch alle Bäume und Büsche rund um das Gemeindehaus beschnitten. Den Garten des alten Pfarrhauses hat der Ukrainer zum Gemüsegarten umgestaltet. Er arbeite gerne handwerklich, sagt der 45-Jährige. Eine Motivation für ihn, sich nicht im deutschen Sozialsystem auszuruhen: „Meine Kinder sollen sagen, dass ihr Vater arbeitet.“ Der Teilzeitjob in der Gemeinde ermöglicht ihm, seinen Deutschkurs zu besuchen und auch jeden Freitag in eine private Runde mit zehn Ukrainern und einer Diepholzerin zu gehen, in der die deutsche Sprache praktisch angewandt wird.
Kinder bekommen doppelte Ausbildung
Die Kinder – 13 und 10 Jahre alt – bekommen eine doppelte Ausbildung: Ivan und Maria besuchen das Diepholzer Gymnasium Graf-Friedrich-Schule (GFS) und nehmen nachmittags zudem online am Unterricht ihrer alten Schule in Kiew teil. Eine zweifache Anstrengung, die den beiden aber doppelte Chancen bietet: auf eine Zukunft in Deutschland oder – nach einem Ende des Krieges – vielleicht auch in ihrer Heimat Ukraine.
Volodymyr Chupryn und seine Familie sind dankbar für die Hilfe, die sie in den ersten Wochen und Monaten nach ihrer Ankunft in Diepholz durch Bürger und die evangelische Kirche bekommen haben. Kathrin Wiggermann vermittelte der Familie damals eine Unterkunft, das alte Pfarrhaus am Vossen Reitweg. Dieses hatte seit drei Jahren leer gestanden, da die Pastorin und ihre Familie ein eigenes Haus in Diepholz haben. Menschen aus der Kirchengemeinde, darunter auch syrische Flüchtlinge, hätten beim Putzen des Gebäudes geholfen, berichtet die Pastorin.
„Hier ist die Kirche für die Menschen da“
„Hier ist die Kirche für die Menschen da, in der Ukraine ist es umgekehrt“, urteilt Volodymyr Chupryn mit Blick auf die orthodoxe Kirche seiner Heimat, die er nur selten besucht hat. „Ich bin gläubig“, betont er: „Was geschah, als der Krieg begann, stärkte meinen Glauben an Gott“, blickt er auf die Ausreise im letzten Moment und die Hilfsbereitschaft in Diepholz. Der Familienvater sieht eine Zukunft in Deutschland. Dankbar blickt die ukrainische Familie auf die ersten Tage in Diepholz zurück: „Das Deutsche Rote Kreuz gab uns kostenlos Kleidung, Mitglieder der Kirchengemeinde schenkten uns Fahrräder und Möbel.“ Organisiert hatte das Pastorin Wiggermann.
Volodymyr Chupryn nahm später gern die Einladung von Kathrin Wiggermanns Ehemann Frank an, der Geschichtslehrer an der GFS ist, und sprach im Unterricht über die Ursachen des russischen Krieges gegen die Ukraine. Beim Weihnachts-Krippenspiel in der St.-Michaelis-Kirche spielten die zwei ukrainischen Mädchen aus dem Pfarrhaus die Engel. Die Gemeinde spendete Maria und Alica einen Extra-Applaus.
„Unendlich dankbar“
„Wir sind den Menschen in Deutschland unendlich dankbar für ihre Hilfe und Unterstützung“, betont Volodymyr Chupryn noch einmal – und arbeitet weiter als Hausmeister in St. Michaelis. Wie seine konkrete Zukunft aussehen soll, lässt er offen: „Ich lebe heute!“