Seenotretter auf dem Mittelmeer haben es nicht leicht in diesen Tagen. Von einigen werden sie bei ihren Aufgaben behindert, andere kriminalisieren die Aktivisten. Einer, der für Sea-Watch auf dem Meer unterwegs war und derzeit auf dem Trockenen liegt, hat darüber nun in Diepholz gesprochen.
Diepholz - Sie ist 50 Meter lang, 12 Meter breit und kann 350 Menschen vor dem Ertrinken retten, wenn man sie denn lässt. Die Sea-Watch 3. Derzeit liegt sie im Hafen von Licata auf Sizilien fest und darf nicht auslaufen. Ein grausames Verbot, finden die Seenotretter, denn auch dieser Tage machen sich Menschen auf den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer, weiß Sören Moje, Maschinist auf der Sea-Watch 3.
Im kleinen Saal des Hotels Castendieck in Diepholz ist es stickig. Der Raum ist voll. Einige Besucher sitzen auf dem Boden. Sie sind gekommen, um Moje zuzuhören. Er sieht aus wie ein richtiger Seemann, sagt jemand im Publikum, als der große, kräftige Mann sich vor die Leinwand stellt. Er trägt einen Hut, an dem ein kleiner Anker hängt, am Hinterkopf schauen blonde Dreadlocks hervor, ein dichter Bart, dunkle Kleidung, sein rechter Arm ist tätowiert. In der Nase trägt Moje einen dicken Ring. Er fängt an, von seinen Erfahrungen zu erzählen. Von seiner Zeit auf dem Mittelmeer, an der Seite der Geflüchteten, seinen Fahrten entlang der „tödlichsten Grenze der Welt“.
Auf Einladung der Diepholzer Jusos ist der 32-Jährige in den Landkreis gekommen, um einen Vortrag zu halten. Das macht er derzeit häufig, zumal die Sea-Watch 3 festsitzt. Nachdem Kapitänin Carola Rackete im Juni dieses Jahres das Schiff mit 53 Flüchtlingen an Bord ohne Erlaubnis in den Hafen von Lampedusa gesteuert hat, gab es keine weitere Erlaubnis, auszulaufen.
⚓Seit 142 Tagen blockiert.
— Sea-Watch (@seawatchcrew) November 19, 2019
Wir brauchen deine Hilfe.
Wir brauchen diejenigen, die an die Verteidigung des Lebens glauben und sich nicht mit Regierungen identifizieren, die handlungsunwillig dem Sterben zuschauen an der tödlichsten Grenze der Welt.
Fordere mit uns #FreeSeaWatch. pic.twitter.com/xXP5Oxk34e
Die Sea-Watch 3 gehöre aber nicht in den Hafen, sondern auf das offene Meer, wo nach wie vor Menschen ertrinken. „Die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer gibt es schon seit vielen Jahrzehnten“, berichtet Moje. Spätestens im Jahr 2015 hätte sich für die Schlepper daraus ein Geschäft entwickelt. „Leider eines, das viele Menschen das Leben kostet.“
Sea-Watch ahnt Routen der Schlauchboote aus Libyen
Insbesondere aus Libyen fahren die viel zu vollen Schlauchboote los, so der Maschinist. Die Besatzung der Sea-Watch könne abhängig vom Wetter ziemlich sicher sagen, wann das der Fall ist und wo die Boote anzutreffen sind. Außerdem haben die Mitglieder der Crew die Unterstützung durch das Aufklärungsflugzeug Moonbird. „Das fliegt ein großes Seegebiet ab“, berichtet Moje. Sollte ein Boot in Not geraten, meldet die Besatzung das der zuständigen Rettungsleitstelle und umliegenden Schiffen. Dann könne man nur hoffen, dass jemand schnell genug ist. Häufig sei das aber nicht der Fall. „Und zwei Stunden später sind die Boote einfach weg...“
Eine Mitschuld trage die libysche Küstenwache, die von der EU subventioniert wird. „Man nennt die nur die ,sogenannte’ libysche Küstenwache, weil es eigentlich keine ist“, berichtet Moje. Sie lasse sich viel zu viel Zeit. Wenn sie dann kommen, „rasen sie mit hoher Geschwindigkeit auf die Flüchtlinge zu“. Und das sei sehr gefährlich, bedenkt man die instabile Lage der Boote, die teilweise kurz vor dem Untergang sind, deren Passagiere oft nicht schwimmen können, keine Westen tragen, nach einer tagelangen Reise übermüdet, geschwächt und dehydriert sind. Und sollten die Milizen es rechtzeitig schaffen, könne man kaum von Rettung sprechen. Sie nehmen die Menschen mit zurück in das Land, aus dem sie geflohen sind, die „Flüchtlingsfalle Libyen“, so Moje.
Menschen erwartet in Libyen „Hunger, Sklaverei und mehr“
Was die geretteten Männer und Frauen dort erwarte: „Hunger, Folter, Vergewaltigung, Sklaverei und Krieg. Die Leute, die immer sagen, die Flüchtlinge wollen sich es hier gut gehen lassen, das ist Quatsch“, sagt Moje bestimmt. Ein Mann hätte ihm einmal erzählt, er wolle lieber auf dem Mittelmeer ertrinken, als in Libyen zu bleiben, daher gehen viele das Risiko ein. Ihnen sei bewusst, wie groß die Gefahr ist, wenn sie auf einem überfüllten Schlauchboot festen Boden unter den Füßen hinter sich lassen. Der Wunsch, das Land zu verlassen, sei größer als die Angst zu sterben.
Ein weiterer Irrglaube mit dem Moje aufräumen möchte: Es kommen nur junge Männer. Das stimme nicht. „Die Frauen sitzen in der Regel im Innenraum der Boote auf dem Boden, in einem ätzenden Gemisch aus Wasser und Benzin.“ Deshalb sehe man auf den ersten Blick – und vielen Fotos – nur die Männer, die auf den Schläuchen am Rand sitzen.
Lebensgefahr auf Sea-Watch-Boot, Weihnachten in Europa
Sören Moje berichtet von dramatischen Sea-Watch-Einsätzen, vom Ausharren auf dem offenen Meer, weil es ihnen verboten war, die Menschen, die nur knapp mit dem Leben davon gekommen sind, an einen sicheren Hafen zu bringen. Während die Crew auf eine Entscheidung wartete, „feierten die Politiker gemütlich zuhause Weihnachten“.
Ungerechtigkeit ist ein großes Thema an dem Abend. Es sei grausam, dass Menschen ertrinken, weil aufgrund von bürokratischen Richtlinien, die kaum einer in ihrer Gänze durchschaut, die Sea-Watch gezwungen ist, im Hafen zu bleiben. Er beschreibt es als ein lähmendes, frustrierendes Gefühl, zu wissen, dass man helfen könnte, das aber verboten wird. Schlimmer noch: dass die Seenotrettung kriminalisiert wird.
Drei oder vier Lebensretter-Schiffe aktuell im Einsatz
Eine Frau aus dem Publikumsraum merkt an, dass es doch wichtig wäre, die Flüchtlingsursachen zu bekämpfen, wobei Moje ihr Recht gibt. „Aber wir können ja nicht überall sein“, fügt er lächelnd hinzu. Jeder sollte da was tun, wo er kann, sei es über Spendengelder, über Briefe an Abgeordnete, oder die im Landkreis Diepholz immer mehr Einzug erhaltende Kampagne des sicheren Hafens.
Und trotzdem: Dadurch entspannt sich die Lage auf dem Meer nicht. Von ursprünglich 13 sind laut Moje derzeit nur drei oder vier Schiffe im Einsatz. 1090 Menschen seien seit Beginn des Jahres im Mittelmeer ertrunken. Die Dunkelziffer sei mit Sicherheit deutlich größer.