Schreiben mit therapeutischem Aspekt

Die Bassumerin Marion Beranek verarbeitet in einem virtuellen Tagebuch zur Pandemie ihre Eindrücke und Gefühle der vergangenen zwei Jahre. Im Gespräch erzählt sie von Ängsten, Sorgen und der Kunst als Hilfsmittel.
16. März 2020: Der erste Lockdown in Deutschland wird beschlossen und tritt sechs Tage später in Kraft. An diesem Tag beginnt Marion Beranek mit ihrem Tagebuch, den Aufzeichnungen zur Krise. Damals habe eine gespenstische Stille die Welt beherrscht, schreibt die Verfasserin der Zeilen ein Jahr später. Und das Tagebuch endet nicht zu diesem Zeitpunkt. Inzwischen gibt es 709 Einträge, denn die Bassumerin hat sich vorgenommen: „Ich schreibe so lange, bis Corona vorbei ist.“ Ende also offen. Die Gedanken, die Beranek auf ihrer Homepage mit der Welt teilt, drehen sich aber nicht ausschließlich um die Pandemie, sondern auch um tagesaktuelle Ereignisse aus Politik, Umweltschutz und weitere Katastrophen.
Erkennbarer Lerneffekt
Neben dem therapeutischen Effekt, über ihre Gefühle und Ängste zu schreiben, sehe sie das Tagebuch schlichtweg als Beschäftigung, sagt Marion Beranek zum Hintergrund ihres Projekts. „Als ich damit angefangen habe, war noch gar nicht klar, was durch Corona passiert“, blickt die 54-Jährige zurück. Für sie habe das Virus „eine große Bedrohung, die weltverändernd sein wird“ bedeutet. Deshalb habe sie sich intensiv damit beschäftigt und schließlich den Wunsch verspürt, die Entwicklungen zu dokumentieren. „Es sind in erster Linie Aufzeichnungen für mich selbst“, sagt Beranek. „Ich musste einfach aufschreiben, was mich in diesem Moment bewegt und wie es mir geht.“ Wenn sie heute durch die Einträge scrollt, kann sie ihre Aufzeichnungen immer noch nachvollziehen. „Die Gefühle von dem jeweiligen Zeitpunkt sind sofort wieder präsent.“ Rückblickend erkennt Beranek zudem einen Lerneffekt. „Erst war das alles gar nicht greifbar, aber wir haben gelernt, mit dem Virus zu leben“, erläutert sie und gibt zu, dass sie mittlerweile gelassener geworden sei. „Es gab in den vergangenen zwei Jahren Höhen und Tiefen.“

Motivation und Inspiration erhalte sie durch Gespräche mit Familie und Freunden sowie Spaziergängen in der Natur. Schon immer ein ruhiges Leben führend, habe sie sich wegen Corona insbesondere zu Beginn noch stärker zurückgezogen. „Ich bin sechs Wochen lang nicht aus dem Haus gegangen“, sagt die 54-Jährige, die zur Risikogruppe gehört. Die freiwillige Isolation sei für sie kein Problem gewesen, blickt sie zurück. „Es fällt mir nicht schwer, mich an die Regeln zu halten“, betont sie. Auch wenn inzwischen alle Familienmitglieder geimpft seien, mache sie sich Sorgen um ihre Kinder, ihren Ehemann und die Gesellschaft generell. „Das Ganze ist ja auch eine psychische Belastung und ich sorge mich, welche Nachwirkungen die Einschränkungen noch haben werden.“
Freier Kopf durch das Schreiben
Schon vor ihrem virtuellen Tagebuch zur Pandemie hatte Marion Beranek das Schreiben als „heilsamen Aspekt“ entdeckt und sich etwa an Gedichten versucht. Ihre große Leidenschaft ist aber eigentlich das Malen. In ihrem kleinen Atelier im Obergeschoss des Hauses entstehen regelmäßig abstrakte Kunstwerke. Die Bassumerin bezeichnet ihre Arbeitsweise als „intuitiv“, da sie ohne ein konkretes Motiv vor Augen zum Pinsel greift. „Ich arbeite vom Gefühl aufs Papier“, beschreibt sie ihr künstlerisches Schaffen. Dabei stehe sie auch nicht täglich im Atelier, sondern vielmehr phasenweise, um gesammelte Eindrücke im Bild festzuhalten. „Sowohl das Malen als auch das Schreiben helfen mir durch die Pandemie“, ist Beranek überzeugt. Beide Ausdrucksformen seien aber unabhängig voneinander zu betrachten, wobei der Hobbykünstlerin zufolge das Schreiben nebensächlicher sei. „Das Schreiben hilft, den Kopf freizubekommen.“
Inzwischen arbeitet sie in größeren Zeitabständen an ihrem Pandemie-Tagebuch – je nach Verfassung und Weltgeschehen. Auf die Schreibweise angesprochen, erklärt die 54-Jährige: „Die Gedanken kommen einfach. Diesen Fluss will ich nicht dadurch unterbrechen, mir Gedanken über die Groß- und Kleinschreibung zu machen.“ Dass sie die Einträge in englischer und deutscher Sprache verfasst, sei eine Frage der Wertschätzung und Kommunikation. Denn ihrem Instagram-Account folgen Beranek zufolge auch englischsprachige Nutzer. „Außerdem“, ergänzt Beranek, „ist das eine zusätzliche Herausforderung.“
Zur Person
Marion Beranek wurde 1968 in Heidelberg geboren und hat eine Ausbildung zur Restauratorin absolviert. Später studierte sie Designpädagogik, Deutsch und Sachunterricht auf Lehramt. Vor knapp 20 Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Bassum. Dort lebt die Mutter zweier erwachsener Töchter gemeinsam mit Mann und Hund. Inzwischen widmet sie sich in erster Linie ihrem Hobby, der Kunst:
Marion Beranek malt und schreibt. Einblicke gibt sie unter www.mareyvonart.com.