Nach fünf Jahrzehnten: Ein Dieselmotor tuckert wieder in der Wassermühle Neubruchhausen

Neubruchhausen - Von Ulf Kaack. Spontaner Applaus, Tränen in den Augen … erstmals seit nahezu fünf Jahrzehnten erklang im Maschinenraum der Wassermühle wieder der sonorige, langsam vor sich hintuckernde Klang eines Dieselmotors. Im Zuge der umfangreichen Restaurierung des historischen Ensembles war die Revitalisierung des Mühlenbetriebs in voller technischer Funktionsfähigkeit ein gesetztes Ziel. Am Wochenende war man diesem mit der Inbetriebnahme eines 1934 gebauten Herforder Standmotors ein großes Stück nähergekommen.
Dieter Gehling ist Spezialist für historische Standmotoren aus der längst verblichenen Motorenfabrik Herford und kennt sich außerdem mit dem Antrieb alter Mühlentechnik bestens aus. Experten seines Formats werden eingeflogen und sind hochbezahlt, sollte man meinen. Doch nach Neubruchhausen reiste er stilsicher auf eigener Achse an. Und zwar mit seinem restaurierten Lanz D 9506, angetrieben von einem 10,3-Liter-Glühkopfmotor. 1953 wurde die Eilbulldog-Ausführung für den Export nach Südamerika gebaut und fand auf verschlungenen Pfaden seinen Weg zu Dieter Gehling nach Südlohn im westlichen Münsterland. Von dort aus war er angereist – zweimal 250 Kilometer, zweimal neun Stunden Fahrtzeit.
„Ohne Dieter hätten wir den Herforder Motor kaum so schnell zum Laufen gekriegt, er ist ein echter Fachmann“, lobt Holger Rullhusen die Fertigkeiten des „Motorenflüsterers“. Er ist Eigentümer der seit 100 Jahren nahezu unveränderten Neubruchhauser Wassermühle und gleichzeitig Vorsitzender des Mühlenvereins, treibt die Restaurierung des Gebäudeensembles inklusive einer Teilnutzung als Hotel seit Jahren mit äußerster Kraft voran. Zu seinem Team gehören unter anderem Georg Schröder, der sich um die Maschinen kümmert, und der auf Mühlentechnik spezialisierte Berufsmüller Florian Butt.
Neuer Motor ist restauriert und voll funktionstüchtig
Ursprünglich erfolgte der Antrieb der Mahlgänge durch zwei Wasserräder, später mit Unterstützung einer Franchise-Turbine und zum Schluss durch einen Deutz-Dieselmotor, der bereits lange vor Einstellung des Mahlbetriebs verschwunden ist. Holger Rullhusen gelang es vor drei Jahren, besagten Herforder Motor zu erwerben. „Das Aggregat ist restauriert und technisch vollfunktionsfähig, war zuvor in der Mühle Wünneberg nahe Paderborn im Einsatz“, sagt Florian Butt. „Der Herforder mit der Typbezeichnung AS wurde 1934 gebaut. Das gusseiserne Monstrum realisiert 40 PS aus einem Zylinder mit 20 Litern Hubraum. Auch unter denkmalpflegerischen Aspekten passt es perfekt in unsere Wassermühle.“
Doch vor dem ersten Probelauf gab es noch einige Widrigkeiten zu meistern. Zunächst galt es, den Sockel des alten Deutz-Motors zu entfernen. Anschließend gossen die Enthusiasten ein neues Fundament, mauerten einen Sockel für den Herforder und verklinkerten den Boden des Maschinenhauses.
Dachsanierung erforderte viel Feinarbeit
Ein spannender Moment war die Hochzeit, wie sich Georg Schröder erinnert: „So nennen Schiffbauer den Moment, wenn der Antrieb im fertiggebauten Rumpf montiert wird. Als im Zuge der Dachsanierung die alten Balken entfernt waren, haben wir den 3,5 Tonnen schweren Herforder samt seinem 1,7 Meter messenden Schwungrad mit einem mächtigen Autokran auf seinen Sockel gehievt.“ Das war eine grobe und gleichzeitig feine Arbeit, denn der Motor musste auf den Millimeter genau platziert werden. Dieter Gehling hatte zuvor alles vermessen und berechnet, damit die Transmission exakt stimme.
Dann der große Augenblick: Zunächst gab es eine umfangreiche Motorrevision – schließlich war der Herforder vier Jahre nicht mehr gelaufen.
Sämtliche Kraftstoffleitungen und Filter reinigten die Enthusiasten mittels Druckluft, kontrollierten die Lager und schmierten die beweglichen Komponenten. Es folgte eine kalte Zündung, das Durchdrehen der Verbrennungsmaschine mit Druckluft.
„Es war wie der Start der ersten Apollo-Rakete“
„Für mich fühlte sich das emotional wie der Start der ersten Apollo-Rakete an“, begeistert sich Holger Rullhusen für das sich anschließende Startprocedere. „Dieter hat zwölf Bar Druck aus dem Kessel in den Motor gegeben. Drei Hübe des Kolbens erzeugten die nötige Verdichtung von 40 Bar in der Brennkammer, der Motor zündete und begann augenblicklich mit konstanter Drehzahl rund zu laufen. Wir lagen uns tatsächlich völlig euphorisiert in den Armen, wie Fußballfans nach dem Sieg ihrer Mannschaft.“
Besonders Georg Schröder und Florian Butt – die beiden Motoren hinter dem Motor – hätten nach jahrelanger Arbeit und unzähligen Stunden an den zugehörigen Maschinenteilen buchstäblich Freudentränen in den Augen, als der erste große Schritt zur Wiederinbetriebnahme der Mühle nach historischem Vorbild gemeistert war.
Spezialfirma fertigt Transmissionsriemen
Und wie geht es weiter mit dem ambitionierten Projekt? Momentan fertigt eine Spezialfirma einen Transmissionsriemen für die Kraftübertragung vom Schwungrad des Herforder Motors über eine mechanische Kupplung auf den mechanischen Mühlenantrieb an. „Auch der muss auf den Millimeter genau passen“, sagt Müller Florian Butt. „Ist er zu stramm, passt er nicht auf das Räderwerk der Transmission. Wenn er nur minimal zu lang ist, rutscht er durch und überträgt die Kraft nur vermindert.“
Beim Deutschen Mühlentag am 10. Juni möchte die Gruppe den Herforder Motor erstmals der Öffentlichkeit präsentieren. Lautstark im Betrieb natürlich, die notwendigen Ohrenschützer liegen für die Gäste bereit, so Butt.