Mit dem Skalpell in der Stiftskirche: Restauratorin legt Kunstwerke frei

Restauratorin Ina Heine legt in der Stiftskirche Bassum übermalte Kunstwerke frei. Dabei helfen ihr alte Fotografien und ein Skalpell.
Bassum – Mit chirurgischer Präzision führt Ina Heine das Skalpell Millimeter für Millimeter über eine Innenwand des Kirchenschiffs der Stiftskirche in Bassum. Dort oben, elf, zwölf Meter über dem Erdboden, legt die Restauratorin Stück für Stück mit Liebe zum Detail gemalte und später beinahe lieblos überstrichene historische Kunstwerke frei.
Wandmalereien sind in der Stiftskirche in den 1950er-Jahren weiß überstrichen worden
Seit Ende vergangenen Jahres ist es die Aufgabe der 37-Jährigen, in der Stiftskirche an verschiedenen Stellen Freilegungen vorzunehmen. Das ist Teil des sogenannten „Hase-Konzepts“, benannt nach dem berühmten Architekten Conrad Wilhelm Hase, wie Knut Laemmerhirt, Vorsitzender des Kirchenvorstands, erklärt.
Hase hatte in den 1860er-Jahren die Kirche umfassend restauriert und unter anderem mit den bunten Wandmalereien ausgestattet. In den 1950er-Jahren befand sich die Kirche allerdings in einem laut Laemmerhirt „schlechten Zustand“. Wie es seinerzeit üblich war, wurden die Kunstwerke deshalb weiß überstrichen.

„Ich habe mal gelernt“, fügt er lächelnd hinzu und übt sich in Diplomatie, „dass man so etwas nie beurteilen soll, weil man nie weiß, wie die nächste Generation über uns heute denkt.“ Heine nickt zustimmend. Doch das Hase-Konzept sieht nun vor, den Zustand von vor mehr als 150 Jahren wiederherzustellen – ein aufwendiger und langwieriger Prozess, der bereits um die Jahrtausendwende herum begann.
Deshalb hat die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Ina Heine mit den Voruntersuchungen beauftragt. Die Diplom-Restauratorin für Wandmalerei ist freiberuflich tätig und hat in den vergangenen Monaten etliche Arbeitstage in der kalten Stiftskirche verbracht. Für die in Colnrade lebende Heine ist die Arbeit in Bassum fast schon ein Heimspiel. Im Rahmen ihrer Tätigkeit fördert sie in ganz Niedersachsen alte Kunstwerke zutage.
Alte Fotos helfen bei der Suche nach überstrichenen Kunstwerken in der Kirche
Woher sie weiß, an welchen Stellen sich die Malereien unter dem weißen Anstrich der Stiftskirche befinden? „Anhand von historischen Fotos. Es gibt viele schöne Aufnahmen von früher“, erklärt sie und deutet auf ein dickes, rot eingeschlagenes Fotoalbum, das unten auf einer Kirchenbank liegt. Doch auch ohne Fotos könne sie abschätzen, wo sie zu suchen hat. „Es gibt ja Vorstellungen davon, wie Kirchen früher ausgesehen haben. Daran kann man sich entlanghangeln.“
Dann beginnt für sie eine echte Sisyphus-Arbeit. Mit Skalpell und Pinsel entfernt sie die nachträglich aufgebrachte weiße Farbe. Schwierig sei die körnige Oberflächenstruktur der Wände in der Stiftskirche, aufgrund derer die Expertin besonders vorsichtig arbeiten müsse. Heine bezeichnet ihre Aufgabe als „Millimeterarbeit“.
Eine ganze Arbeitswoche sei so in die teilweise Freilegung der Malerei vor ihr geflossen, hoch oben unter dem Dach des Kirchenschiffs. An einer anderen Stelle hat sie einen nur wenige Zentimeter schmalen Bereich über mehrere Höhenmeter vom weißen Anstrich befreit. Auf dieser sogenannten „Freilegungsachse“ lassen sich die Farbverläufe der Wandmalereien erkennen.

Die Arbeitsbedingungen waren jedoch alles andere als angenehm. In der Kirche herrschten in den vergangenen Wochen Temperaturen im einstelligen Celsius-Bereich. Zuletzt versagte auch noch die Heizung ihren Dienst. „Im Sommer ist das angenehmer“, sagt Heine und lacht. Mit Skihose und Heizdecke habe sie sich gegen Kälte und Feuchtigkeit gewappnet, denn: „Ich kann mich während der Arbeiten nicht viel bewegen und arbeite ganz fein mit den Händen.“
Nun ist Ina Heines Job in der Stiftskirche getan, die Vorarbeiten sind beendet. „Demnächst steht ein Termin mit dem kirchlichen Amt für Bau und Kunstpflege und dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege an“, erklärt Knut Laemmerhirt das weitere Vorgehen. „Dann wird ein Konzept festgelegt – und dann die Kosten abgeschätzt.“ Wie hoch die am Ende sein werden, das vermag der Vorstandsvorsitzende nicht zu beurteilen. Er geht allerdings von einer sechsstelligen Summe aus.
Doch der Aufwand lohnt sich laut Restauratorin Ina Heine. „Das Schöne ist: Man hat immer ein Ergebnis.“ Und mit einem Blick auf das sichtbar gewordene Kunstwerk vor ihm fügt Knut Laemmerhirt hinzu: „Hier hat es sich richtig gelohnt!“