1. Startseite
  2. Lokales
  3. Bremen

Bremen: Acht Jahre Haft für Armbrust-Schützen und Unterbringung in Psychiatrie

Erstellt:

Von: Ralf Sussek

Kommentare

Der Angeklagte (vorn) mit seinen Anwälten Thomas Domanski (l.) und Manar Taleb.
Der Angeklagte (vorn) mit seinen Anwälten Thomas Domanski (l.) und Manar Taleb. © Sussek

Wegen versuchten Mordes hat das Landgericht Bremen den Armbrust-Schützen (21) aus Bremerhaven zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wird in der Psychiatrie untergebracht.

Bremen – Mit einem Schuldspruch ist am Montag das Verfahren gegen einen 21-Jährigen aus Bremerhaven zu Ende gegangen. Acht Jahre Haft wegen versuchten Mordes verhängten die Richter der Großen Strafkammer 22 für eine Tat, die auch bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte. Es war der Tag, als Berkan S. mit einem vermeintlichen Amoklauf im Bremerhavener Lloyd-Gymnasium am 19. Mai 2022 die ganze Stadt in Aufruhr brachte; Schüler und Lehrer verbarrikadierten sich in den Klassenzimmern, Polizeibeamte rüsteten sich mit Maschinenpistolen aus, bevor sie die Schule betraten, ein Sondereinsatzkommando rückte aus Bremen an.

Armbrust-Schütze: Ein Leben in Suizid-Foren

Was auf den ersten Blick wie ein „School Shooting“ erschien, war schließlich die verzweifelte Einzeltat eines jungen Mannes, der sich nach seinem schulischen Scheitern jahrelang zurückzog, eine Sozialphobie und Depressionen entwickelte, dessen Leben sich im Internet und in Suizid-Foren abspielte. Eine „Entfremdung von der Realität“ nennt das die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Wegen der psychischen Störungen des Angeklagten nahm das Gericht eine verminderte Schuldfähigkeit an. So wird Berkan S. nun in einer Psychiatrie untergebracht, weil eine Sachverständige ihn weiterhin für gefährlich ansieht. In der Forensik muss er dann eine mehrjährige Therapie absolvieren, und zwar „hochanspruchsvoll unter JVA-Bedingungen“, wie es die Vorsitzende beschreibt.

„Das war keine Spontantat“, heißt es in der Urteilsbegrüdung. Der junge Mann kaufte sich vorbereitend Waffen im Internet, darunter eine Repetier-Armbrust, und ging in seine alte Schule, in der ihm vor drei Jahren die Zulassung zum Abitur versagt worden war. Dort verletzte er eine Schulsekretärin mit zwei Pfeilen schwer, bevor er Richtung Innenstadt ging und dort mehrfach wahllos mit seiner Armbrust und einer Schreckschusspistole schoss. Am Ende legte er die Waffen beiseite, sich bäuchlings auf den Boden und ließ sich widerstandslos festnehmen.

Die Staatsanwaltschaft hatte elf Jahre und acht Monate Haft wegen versuchten Mordes für den ersten Tatkomplex in der Schule gefordert, für das wahllose Schießen in der Stadt Freispruch, weil kein Vorsatz für eine Verletzungsabsicht nachweisbar sei. Einer der Verteidiger („ich habe keine Vorstellung von der Strafe“) beantragte „nicht mehr als vier Jahre“ wegen gefährlicher Körperverletzung.

In seiner mehr als 90-minütigen Urteilsbegründung gab das Gericht tiefe Einblicke in die Beweisaufnahme und die persönlich Geschichte des Angeklagten. Nach dem Abgang von der Schule sei er „aus allen Bezügen gefallen“, die Trennung der Eltern verschlechterte seine psychosoziale Situtation. Er habe mit seinem martialischen Auftreten „bewusst ein Szenario größtmöglichen Schreckens“ gewählt; laut eigener Einlassung (und das belegen auch Internet-Chats) war sein Plan, seinen Tod zu provozieren („Suicide by Cop“ – Suizid durch Polizisten).

Richterin im Prozess um Armbrust-Schüsse: Die Tat bleibt unerklärlich

„Eine suizidale Krise und eine psychische Ausnahmesituation“ sah das Gericht in der Tat, man wolle daher keine Schlüsse zu Lasten des Angeklagten ziehen. Der Angeklagte hatte sich am vorherigen Verhandlungstag zum Tatgeschehen geäußert, und „das wirkte gar nicht einstudiert“, erkennt die Vorsitzende an, zumal er sich auch selbst belastet habe. Dennoch: „Die Tat bleibt unerklärlich“, sagt die Richterin.

Ausführlich begründet sie, warum die Kammer das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe ablehnte, die Heimtücke aber bejahte und so wegen versuchten Mordes (und nicht versuchten Totschlags) verurteilte. Die Kernfrage des Verfahrens war nämlich, ob der Angeklagte trotz der verminderten Schuldfähigkeit einen sogenannten Eventualvorsatz hatte, er also die Möglichkeit, dass die Schulsekretärin sterben könnte, erkannte und billigte. Der Angeklagte und seine Verteidiger hatten das bestritten. Es sei keine einfache Aufgabe gewesen, ein angemessenes Strafmaß zu finden, sagt die Vorsitzende; auf der einen Seite der bislang rechtstreue junge Mann, der entwicklungsverzögert ist, sich bei den Verletzten entschuldigt und ein Schmerzensgeld gezahlt hat, auf der anderen Seite die Folgen für viele Menschen – die verletzte Frau, Lehrer, Schüler, Angehörige. Sie hoffe, dass die Betroffenen einen Weg fänden, mit dem Ereignis zu leben, endet die Vorsitzende, „es gibt so viele Betroffene – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“.

Auch interessant

Kommentare